Falkners Raupenfahrzeug knirschte unverdrossen vorwärts. Albuquerque blieb zurück, und Falkner ging auf Nordwestkurs in Richtung auf den Cibola-Nationalpark. Zu seiner Linken konnte er die Scheinwerfer der Wagen sehen, die die Bundesstraße 40 entlanghuschten. Er näherte sich dem Rio Puerco, der jetzt, nach einem regenlosen Herbst, nur noch ein trockenes Geröllbett war. Die Sterne waren außergewöhnlich klar zu sehen. Die Luft roch nach Schnee, aber er wußte, daß in dieser Nacht noch keiner fallen würde. Das Fahrzeug rumpelte über Unebenheiten, brach durch Gestrüpp. Mißgelaunt wies Falkner seinen Fahrer an, das Tempo zu verlangsamen.
Die Öffentlichkeit war beunruhigt. Die Öffentlichkeit! Da brauchte bloß ein Hubschrauber durch die Gegend zu fliegen, und hunderttausend Leute rasten an ihre Telefone, um der Polizei von Fliegenden Untertassen zu erzählen. Dieses kleine himmlische Schauspiel heute abend, dachte Falkner ärgerlich, hatte der Telefongesellschaft wahrscheinlich ein kleines Vermögen an Extraeinnahmen eingebracht. Die halbe Nacht waren alle Leitungen blockiert. Der ganze Schwindel war nur ein Verkaufstrick, den die Leute von der Telefongesellschaft ausgeknobelt hatten.
Was Falkner bei den Geschichten über UFOs beunruhigte, war die zunehmende Zahl der gemeldeten Beobachtungen. Hinzu kam, daß die Qualität der Beobachter sich veränderte. Anfangs stammten die meisten Untertassengeschichten von alten Jungfern, die unter den Beschwerden der Wechseljahre litten, oder von kropfbehafteten Landbewohnern mit Nickelbrillen und abergläubischen Neigungen, aber mit der Zeit rückte dieses offenkundig schrullige Segment der Bevölkerung in den Hintergrund und machte jenen Platz, deren Wort mehr Gewicht hatte. Als auch Bankpräsidenten, Polizisten, Kongreßabgeordnete und Physikprofessoren anfingen, runde Objekte am Himmel zu sehen, war die Sache aus dem Stadium heraus, in dem man sie noch als Halluzination verwirrter Köpfe abtun konnte, das mußte Falkner zugeben. Besonders seit 1975 war die Zahl der Beobachtungen und die Zahl der glaubwürdigen Zeugen kräftig angestiegen. Verrückte Randfiguren, die behaupteten, in einer Fliegenden Untertasse geflogen zu sein, waren immer da. Falkner ignorierte sie. Die anderen konnte er nicht ignorieren.
Falkner war emotionell mit seiner Arbeit verbunden, aber auf eine negative Weise. Er konnte sich nicht erlauben, den Glauben gewisser Leute zu teilen, nach dem die sogenannten Untertassen mehr als natürliche Phänomene waren. Wenn es sich wirklich um Schiffe aus dem Weltraum handelte, dann war seine Arbeit für das AFAO eminent wichtig, und die Bitterkeit, die wie ein Stachel in seiner Seele saß, wäre unbegründet. Tom Falkner aber brauchte diesen Stachel als Ansporn. Und so empfand er eine instinktive Feindseligkeit gegen jede Andeutung, seine Arbeit könne für die Sicherheit seines Landes von Bedeutung sein.
Er überprüfte die Suchgeräte an Bord, besonders den Metalldetektor, eine Art weiterentwickeltes Minensuchgerät zur Feststellung metallischer Gegenstände.
Nichts. In der Wüstensteppe waren keine ungewöhnlichen Objekte auszumachen.
Er sprach mit Bronstein, der inzwischen achtzig Meilen südlich von ihm war, in der Gegend von Acoma Pueblo.
»Neuigkeiten? Haben Sie was entdeckt?«
»Fehlanzeige«, sagte Bronstein. »Allerdings haben sie in Acoma den Lichtstreifen gesehen. Auch in Laguna. Der Häuptling sagt, viele von seinen Leuten seien verängstigt.«
»Sagen Sie ihnen, es gebe keinen Anlaß zur Besorgnis.«
»Das habe ich getan. Es hilft nichts. Sie sind verstört, Tom.«
Falkner gähnte. »Wissen Sie eigentlich, daß auch das Weiße Haus verstört ist? Der arme Weyerland ist in Druck. Er will Resultate.«
»Ich weiß. Er hat mich angerufen.«
Falkners Miene verdüsterte sich. Es gefiel ihm nicht, daß sein Vorgesetzter mit seinem Adjutanten konferierte. Für solche Situationen gab es den Dienstweg. Er unterbrach die Verbindung und schaltete auf einen anderen Kanal. Das Geländefahrzeug rasselte westwärts. Auf seinem Dach wippten Antennen, und darunter rotierte der Thermaldetektor, der jeden lebenden Körper über Rattengröße an seiner Infrarotstrahlung ausmachen konnte.
Falkner drückte Knöpfe, stellte Skalen ein, schaltete Stromkreise ein und aus, wie er es bei jeder dieser furchtlosen Suchaktionen zu tun pflegte, obgleich er fest davon überzeugt war, daß er nie etwas finden werde. Vor ein paar Monaten war ihm endlich aufgegangen, was er tat, wenn er in dieser krampfhaften Weise mit dem Mechanismus umging: er spielte Astronaut.
Wie er hier in der geheizten Kabine seines Raupenfahrzeugs vor den Instrumenten saß, könnte er genausogut in einer Raumkapsel sitzen und fünfhundert Kilometer höher die Erde umrunden. Außer, natürlich, daß sein Gesäß die Stöße und Schaukelbewegungen des Fahrzeugs allzu deutlich registrierte. Es machte ihn nicht glücklich, an die Parallele zu denken, weil sie ihm wieder die Vergeblichkeit dieser Untertassensucherei vergegenwärtigte, und obendrein noch seine verpfuschte Karriere. Doch er konnte es nicht lassen, mit den Leuchtknöpfen, den Blinklampen und den kleinen Bildschirmen herumzuspielen.
Er sprach wieder mit Topeka. Er plauderte mit den Leuten in den zwei nördlichen Suchfahrzeugen, von denen das eine bereits an Taos vorbei war, während das andere bei den spanischen Dörfern auf der anderen Seite des Nationalparks kreuzte. Er kontrollierte die im Süden zwischen Socorro und Isleta operierenden Männer und tauschte kurze Kommentare mit Bronstein aus, der im abgelegenen leeren Land südlich Acoma Pueblo war und Kurs auf die Zuni-Reservation hielt. Zu jeder vollen Stunde schaltete Falkner die verschiedenen Radio- und Fernsehstationen ein und hörte die Nachrichten ab. Offenbar war das ominöse Wort »Fliegende Untertasse« heute nacht in aller Munde, denn die Sprecher gaben sich große Mühe nachzuweisen, daß es nichts als ein Meteor gewesen sei. Alle Stationen gaben die gleichen leeren Versicherungen ab, und alle zitierten einen gewissen Brotsky vom Palomar-Observatorium. Wer war Brotsky? Ein Astronom vielleicht? Nein, nur vom »technischen Stab«, was immer darunter zu verstehen war. Wahrscheinlich ein Portier. Aber die Massenmedien gebrauchten die Magie seiner Verbindung mit Palomar als eine Art Talisman, um die beunruhigten Hörer wieder zu besänftigen.
Und nun ließen sie auch ein paar Astronomen zu Wort kommen. Einen gewissen Alvarez von der Sternwarte in Ciudad Mexico, und Ohiro Matsuoko, einen führenden japanischen Astronomen. Hatte Alvarez die Erscheinung gesehen? Nichts in seinen Worten deutete darauf hin. Matsuoko konnte sie natürlich nicht gesehen haben. Aber beide verbreiteten sich ausführlich über Meteore, erläuterten den Unterschied zwischen Meteor und Meteorit und erstickten alle Ängste mit einem Schwall beruhigender wissenschaftlicher Terminologie. Um Mitternacht gab das Informationsministerium einige sorgfältig ausgewählte Auskünfte, die angeblich von Radarstationen und Wettersatelliten stammten. Ja, die Augen dort oben hatten den Meteor gesehen. Nein, es war nichts zu befürchten. Rein natürliches Phänomen.
Falkner war angeekelt.
Sein eingefleischter Skeptizismus gegenüber den atmosphärischen Objekten wurde nur von seinem eingefleischten Skeptizismus gegenüber offiziellen Regierungsverlautbarungen übertroffen. Wenn die Regierung sich soviel Mühe gab, die Bevölkerung zu beruhigen, dann mußte da etwas wirklich Großes und Beunruhigendes sein. Soviel war sicher.
Mitternacht war längst vorbei. Falkner betrachtete den dicken Nacken seines Fahrers, der durch eine Glasscheibe von ihm getrennt war, und gähnte herzhaft. Er beschloß, die ganze Nacht durchzufahren. In Albuquerque erwartete ihn nichts als ein ungemachtes leeres Bett und ein Tag voll zerdrückter Zigarettenstummel. Seine Frau machte mit ihrem neuen Mann Urlaub in Buenos Aires. Falkner hatte sich inzwischen ans Alleinsein gewöhnt, aber es gefiel ihm nicht sehr. Andere Männer trösteten sich in solchen Fällen mit ihrer Arbeit, aber Falkners Arbeit war keine Arbeit für einen ausgewachsenen Mann, wie er oft sagte.
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