Ein Leck…“ Er sprang zum Zähler. Der Doppelt stand bisher unbeweglich da und ließ seinen Blick über die Apparate schweifen. Als er sich jedoch dem Tisch näherte, rasselte der Zähler in langen Serien, wie ein Trommler, der einen langen Wirbel schlägt. „Er ist es!“ rief der Physiker, ergriff den Geigerzähler mit beiden Händen und richtete ihn auf den Riesen. Das Gerät schnarrte. „Er ist radioaktiv? Was bedeutet das?“ fragte der Kybernetiker entsetzt. Der Doktor erblaßte. Er trat an den Tisch, sah den zitternden Zeiger an, nahm dem Physiker das Gerät aus der Hand und bewegte es um den Doppelt herum. Das Trommeln wurde schwächer, je höher er ihn hielt. Als er ihn an die dicken, unförmigen Beine des Ankömmlings führte, schnarrte die Membran. Ein rotes Feuerchen flammte auf der Scheibe des Gerätes auf.
„Radioaktive Verseuchung…“, murmelte der Physiker. Der Doppelt ließ erstaunt die Augen von einem zum anderen wandern, war aber offensichtlich nicht beunruhigt durch das für ihn unbegreifliche Benehmen der beiden. „Er ist durch die Bresche gekommen, die der Beschützer geschlagen hat“, sagte der Doktor leise. „Dort ist eine radioaktive Stelle. Da ist er durchgegangen …„„Komm nicht zu nah an ihn heran!“ rief der Physiker. „Er strahlt mindestens ein Milliröntgen pro Sekunde aus! Warte, wir müssen ihn… Wenn wir ihn mit Keramitfolie umwickeln, kann man esriskieren…“
„Es geht hier ja gar nicht um uns!“ sagte der Doktor. „Es geht um ihn! Wie lange kann er auf der Stelle gewesen sein? Wieviel Röntgen hat er abbekommen?“
„Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen?…“ Der Physiker starrte nach wie vor auf den tickenden Zähler. „Du mußt etwas unternehmen! Ein essigsaures Bad, Hautabrasion — da, sieh mal, er begreift das nicht!“ Der Doktor rannte wortlos aus dem Labor. Nach einer Weile kehrte er mit einer Kassette für Erste Hilfe bei radioaktiven Verseuchungen zurück. Der Doppelt wollte sich anfangs gegen die unverständlichen Maßnahmen wehren, ließ jedoch dann alles mit sich geschehen. „Zieh die Handschuhe an!“ schrie der Physiker, weil der Doktor die Haut des liegenden Doppelts mit bloßen Händen angefaßt hatte. „Sollen wir die anderen wecken?“ überlegte der Kybernetiker laut. Er stand ratlos an der Wand.
Der Doktor streifte die dicken Handschuhe über. „Wozu?“ Er bückte sich tief. „Vorläufig nichts zu sehen… Eine Rötung wird erst in zehn bis zwölf Stunden auftreten, sofern…“
„Wenn wir uns mit ihm verständigen könnten“, murmelte der Physiker.
„Eine Bluttransfusion? Aber wie? Woher das Blut nehmen?“ Der Doktor starrte blicklos vor sich hin.
„Der andere!“ rief er plötzlich. Er überlegte. „Nein“, fügte er leiser hinzu. „Das geht nicht. Man müsste zuerst das Blut beider untersuchen, um festzustellen, ob es gerinnt. Sie können verschiedene Gruppen haben.“
„Hör zu.“ Der Physiker zog ihn beiseite. „Das ist eine schlimme Sache. Ich befürchte… Verstehst du? Er muss über die Stelle gegangen sein, als die Temperatur gerade nachgelassen hatte. Am Rand einer kleinen Annihilationsreaktion entstehen immer verschiedene Radioisotope. Rubidium, Trontium, Yprium und all die anderen. Seltene Erden. Vorläufig spürt er noch nichts, frühestens morgen, so denke ich. Hat er weiße Blutkörperchen?“
„Ja, aber sie sehen ganz anders aus als beim Menschen.“
„Alle sich stark vermehrenden Zellen sind stets auf die gleiche Weise betroffen, ganz gleich, wie die Gattung ist. Er müsste eine etwas größere Widerstandskraft haben als der Mensch, aber…“
„Woher willst du das wissen?“
„Weil hier die normale Radioaktivität des Bodens fast zweimal so hoch ist wie auf der Erde. In gewisser Weise sind sie also angepaßt. Deine Antibiotika werden wahrscheinlich nichts taugen?“
„Natürlich nicht. Es muss hier ganz andere Bakterien geben…“
„Das habe ich mir auch gedacht. Weißt du was? Wir müssten uns mit ihm vor allem auf einer allgemeineren Basis verständigen. Die Wirkung tritt frühestens in einigen Stunden ein.“
„Ach so!“
Der Doktor sah ihn rasch an und senkte den Blick. Sie standen fünf Schritt von dem auf der Seite liegenden Doppelt entfernt, er beobachtete sie aus seinen blaßblauen Augen. „Um soviel wie möglich von ihm zu erfahren, eh's mit ihm zu Ende geht?“
„So habe ich das nicht gemeint“, erwiderte der Physiker gereizt. „Ich nehme an, dass er sich ähnlich wie ein Mensch verhalten wird. Seine psychische Leistungsfähigkeit wird er sich vielleicht noch ein paar Stunden bewahren, dann folgt Apathie. Du weißt doch, jeder von uns würde an seiner Stelle vor allem an die Erfüllung der Aufgabe denken.“
Der Doktor zuckte mit den Schultern, sah ihn schief an und musste unwillkürlich lächeln. „Jeder von uns, sagst du? Ja, möglich, wenn er wüßte, was geschehen ist. Aber er wurde ja durch uns verseucht.
Durch unsere Schuld!“
„Also was? Möchtest du Sühne leisten? Mach dich nicht lächerlich!“ Rote Flecke traten auf sein Gesicht.
„Nein“, sagte der Doktor. „Ich bin nicht einverstanden. Begreifst du nicht? Das da ist ein Kranker“ — er deutete auf den Doppelt — „und das“ — er schlug sich an die Brust — „ein Arzt. Außer dem Arzt hat jetzt hier niemand etwas zu suchen.“
„Meinst du?“ erwiderte der Physiker dumpf. „Das ist doch unsere einzige Chance. Wir tun ihm ja nichts Böses. Es ist nicht unsere Schuld, dass er…“
„Das stimmt nicht! Er wurde verseucht, weil er der Spur des Beschützers gefolgt ist! Und nun genug. Ichmuss ihm Blut abnehmen.“ Der Doktor trat mit der Spritze an den Doppelt heran, stand eine Weile zögernd vor ihm, ging dann zum Tisch, um eine zweite Spritze zu holen. In beide setzte er Nadeln, die er dem Gamma-Sterilisator entnommen hatte. „Assistiere mir“, sagte er zum Kybernetiker. Er näherte sich dem Doppelt und entblößte den Arm vor seinen Augen. Der Kybernetiker führte ihm die Nadel in die Vene, entnahm ihr etwas Blut und trat zurück. Der Doktor ergriff die zweite Spritze, berührte damit die Haut des Liegenden, suchte das Gefäß heraus, schaute ihm in die Augen und stach dann die Nadel hinein. Der Kybernetiker sah ihm zu. Der Doppelt hatte nicht einmal gezuckt. Sein hellrubinrotes Blut lief in den gläsernen Zylinder. Der Doktor zog geschickt die Nadel heraus, drückte etwas Watte auf die blutende Wunde und ging mit hoch erhobener Spritze hinaus. Die beiden anderen wechselten einen Blick miteinander. Der Kybernetiker hielt noch die Spritze mit dem Blut des Doktors in der Hand. Er legte sie auf den Tisch. „Was nun?“ fragte der Kybernetiker. „Er könnte uns alles sagen!“
Der Physiker war wie im Fieber. „Aber der… der…“ Er sah dem Kybernetiker in die Augen.
„Sollte man sie vielleicht doch wecken?“ fragte der Kybernetiker. „Das führt zu nichts. Der Doktor wird ihnen dasselbe sagen wie mir. Es gibt nur eine Möglichkeit. Er muss selbst entscheiden. Wenn er es wollte, kann sich der Doktor ihm nicht widersetzen.“
„Er?“ Der Kybernetiker sah ihn plötzlich verblüfft an. „Nun gut, aber wie soll er denn entscheiden? Er weiß doch nichts. Und wir können es ihm nicht sagen!“
„Doch, wir können.“ Der Physiker betrachtete noch immer den gläsernen Zylinder mit dem Blut, der neben dem Sterilisator lag. „Wir haben fünfzehn Minuten Zeit, bis der Doktor seine Blutkörperchen gezählt hat. Gib mal die Tafel her!“
„Aber das hat doch keinen Sinn…“
„Gib die Tafel her!“ rief der Physiker und sammelte die herumliegenden Kreidestückchen. Der Kybernetiker nahm die Tafel von der Wand. Sie stellten sie gegenüber dem Doppelt auf.
„Zuwenig Kreide! Bring die bunte aus der Bibliothek!“ Als der Kybernetiker hinausging, nahm der Physiker das erste Stückchen Kreide und zeichnete damit rasch die große Halbkugel, in der sich die Rakete befand. Er fühlte den blaßblauen unbeweglichen Blick auf sich ruhen und zeichnete immer schneller. Als er fertig war, wandte er sich zu dem Doppelt um, blickte ihm fest in die Augen, klopfte mit dem Finger an die Tafel, wischte sie mit dem Schwamm ab und zeichnete weiter. Die Wand der Halbkugel, noch unversehrt. Die Wand, und davor der Beschützer. Der Rüssel des Beschützers und das herausfliegende Geschoß. Er suchte ein Stück lila Kreide, beschmierte damit einen Teil der Wand vor dem Beschützer, zerrieb die Kreide mit dem Finger, so dass darin eine Öffnung entstand. Die Gestalt des Doppelt. Er trat an den liegenden Doppelt heran, berührte seinen Rumpf, kehrte zur Tafel zurück, klopfte mit der Kreide auf den gezeichneten Doppelt, wischte alles so vehement ab, dass Wasser auf den Fußboden spritzte, malte rasch noch einmal die Bresche in der Wand, dick mit lila Farbe umgeben, und in der Öffnung den Doppelt. Dann wischte er alles ringsherum weg. Auf der Tafel blieben nur die Umrisse der großen Gestalt übrig. Der Physiker stellte sich so, dass der Doppelt jede seiner Bewegungen sehen konnte, und begann langsam die zu Pulver zerriebene lila Kreide in die Beine der aufgerichteten Gestalt einzureihen. Er drehte sich um. Der kleine Torso des Doppelt, der vorher an dem vom Doktor aufgeblasenen Gummikissen gelehnt hatte, streckte sich langsam. Sein Gesicht, das gerunzelt war und affenartig wirkte, wandte die vernünftig blickenden Augen von der Tafel ab und richtete sie fragend auf den Physiker.
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