„Und wozu sollten sie diese ›Porträts‹ benötigen?“„Für wissenschaftliche oder religiöse Zwecke. Das können wir allerdings auch in der längsten Diskussion nicht entscheiden. Jedenfalls ist das kein unerklärliches Phänomen. Wir haben wohl eher ein kleineres Zentrum gesehen, in dem schöpferische Arbeiten ausgeführt werden. Vielleicht haben wir auch ihre Spiele und Unterhaltungen beobachtet und gesehen, wie ihre ›Kunst‹ funktioniert. Oder einen normalen Straßenverkehr?. Ferner Arbeiten an einer Anlegestelle und bei jenen fallenden Gegenständen, die uns unverständlich vorkommen.“
„Das ist eine prima Definition“, warf der Doktor sarkastisch ein. „Da waren wohl auch noch ›Szenen aus dem Soldatenleben‹. Wahrscheinlich sind die mit den silbernen Hüllen Militärs. Die Szene am Ende ist unklar. Das konnte natürlich die Bestrafung eines Individuums sein: Es hatte gegen die herrschende Ordnung verstoßen, indem es eine Strecke entlang ging, die für Brummkreisel bestimmt ist.“
„Findest du nicht, dass die sofortige Exekution als Strafe für das unbefugte Betreten eines Bahndamms etwas zu hart ist?“ fragte der Doktor.
„Warum versuchst du alles ins Lächerliche zu ziehen?“
„Weil ich weiterhin behaupte, dass wir gerade so viel gesehen haben, wie Blinde sehen können.“
„Hat noch jemand etwas zu sagen“, fragte der Koordinator, „abgesehen von Bekenntnissen zum Agnostizismus?“
„Ich“, meldete sich der Physiker.
„Es sieht aus, dass sich die Doppelts nur in Ausnahmefällen zu Fuß bewegen, worauf übrigens schon das Mißverständnis zwischen der Größe der Extremitäten und der Körpermasse hinweist. Mir scheint, es wäre höchst aufschlußreich, wenn wir den möglichen Entwicklungsbaum zu skizzieren versuchten, der so geartete Individuen hervorgebracht hat. Ist euch ihre lebhafte Gestikulation aufgefallen? Aber keiner hat mit den Händchen ein Gewicht gehoben, etwas gezogen oder geschleppt. In einer Stadt auf der Erde sind solche Bilder doch an der Tagesordnung. Vielleicht dienen ihnen die Hände zu anderen Zwecken.“
„Zu welchen?“ fragte der Doktor interessiert. „Ich weiß es nicht. Das ist dein Gebiet. Hier ist jedenfalls noch viel aufzuholen. Vielleicht hatten wir es zu eilig damit, gleich den Aufbau ihrer Gesellschaft begreifen zu wollen, wir hätten lieber darangehen sollen ihre einzelnen Bausteine zu untersuchen.“
„Das ist richtig“, sagte der Doktor. „Die Hände — stimmt, das ist sicherlich ein wichtiges Problem. Der Entwicklungsbaum auch. Wir wissen nicht einmal, ob sie Säuger sind. Ich würde es auf mich nehmen, solche Fragen binnen weniger Tage zu beantworten, aber das, was mich an diesem Schauspiel am meisten beeindruckt hat, fürchte ich, werde ich nicht beantworten können.“
„Und das ist?“
„Der Umstand, dass ich keinen einzigen einsamen Fußgänger gesehen habe. Keinen einzigen. Ist euch das nicht aufgefallen?“
„Doch, da war einer — ganz am Schluß“, sagte der Physiker.
„Ja, eben.“ Sie schwiegen alle eine Zeitlang.
„Wir müssen uns den Film noch einmal ansehen“, sagte der Koordinator zögernd. „Ich glaube, der Doktor hat recht. Einsame Fußgänger hat es nicht gegeben, sie haben sich zumindest paarweise bewegt. Obschon am Anfang einer da war. Er hat am Hafen gestanden.“
„Er saß in dem kegelförmigen Apparat“, sagte der Doktor. „In den Scheiben sitzen sie auch einzeln. Ich habe von Fußgängern gesprochen. Nur von Fußgängern.“
„Viele waren es nicht.“
„Mehrere hundert bestimmt. Stell dir die Straße einer Stadt auf der Erde aus der Vogelperspektive vor. Der Prozentsatz an einsamen Fußgängern wird bestimmt groß sein. Zu gewissen Zeiten bilden sie sogar die Mehrheit, und hier fehlen sie ganz.“
„Was hat das zu bedeuten?“ fragte der Ingenieur.
„Leider weiß ich es nicht.“ Der Doktor schüttelte den Kopf. „Das frage ich mich auch.“
„Ein einzelner kam doch mit euch mit“, sagte der Ingenieur. „Ja, aber kennst du die Umstände, die dazu geführt haben?“ Der Ingenieur antwortete nicht. „Hört“, begann der Koordinator. „Solch eine Diskussion artet leicht in einen unfruchtbaren Streit aus. Wir haben keine systematischen Untersuchungen durchgeführt, weil wir keine Forschungsexpedition sind. Wir hatten andere Sorgen, Sorgen vom Typ Kampf ums Dasein. Wir müssen jetzt weitere Pläne festlegen. Morgen wird derBagger in Betrieb genommen, das steht schon fest. Dann werden wir zwei Automaten, zwei Halbautomaten, einen Bagger und den Beschützer haben, der unter Einhaltung der entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen ebenfalls beim Aufrichten der Rakete helfen kann. Ich weiß nicht, ob euch der Plan bekannt ist, den ich mit dem Ingenieur ausgearbeitet habe. Unsere ursprüngliche Konzeption war, dass wir die Rakete in die Horizontale herunterlassen und dann durch Anschütten des Bodens den Rumpf allmählich aufrichten. Diese Methode haben schon die Erbauer der Pyramiden angewendet. Jetzt wollen wir unsere gläserne Mauer in Stücke von geeigneter Größe schneiden und Gerüste daraus bauen. Material werden wir genug haben, wir wissen jetzt auch, dass sich diese Substanz bei hoher Temperatur schmelzen und schweißen läßt. Durch die Verwendung dieses Baustoffs, den uns die Eden bewohner so verschwenderisch geliefert haben, sind wir in der Lage, den ganzen Prozeß radikal zu verkürzen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir in drei Tagen starten können… Moment!“ Er hob die Hand, als er die Bewegung unter den Anwesenden beobachtete.
„Ich wollte euch also bei dieser Gelegenheit fragen, ob wir starten werden.“
„Ja“, sagte der Physiker.
„Nein“, rief der Chemiker fast gleichzeitig. „Noch nicht“, antwortete der Kybernetiker. Eine Pause trat ein. Der Ingenieur und der Doktor hatten sich noch nicht geäußert. „Ich denke, wir sollten fliegen“, sagte der Ingenieur schließlich. Alle sahen ihn verblüfft an.
Als das Schweigen andauerte — als erwarteten alle eine Erklärung von ihm — , sagte er: „Vorher war ich anderer Meinung. Aber es geht um den Preis. Ganz einfach um den Preis. Zweifellos könnten wir noch viel erfahren, aber der Preis dafür könnte zu hoch sein. Für beide Seiten. Nach allem, was geschehen ist, halte ich die friedlichen Versuche einer Verständigung, einer Anknüpfung von Kontakten für irreal. Abgesehen von dem, was wir uns hier gesagt haben, hat wohl jeder, ganz gleich, ob er es wollte oder nicht, eine eigene Auffassung von dieser Welt. Auch ich hatte eine. Mir schien, dass hier ungeheuerliche Dinge geschehen und dass wir deshalb eingreifen sollten. Solange wir Robinsone waren und jedes Stückchen Erde mit der Hand bewegen mussten, habe ich nichts davon gesagt. Ich wollte warten, bis ich mehr erfahre und wir unsere technischen Mittel zur Verfügung haben. Jetzt muss ich bekennen, dass ich keinen überzeugenden Anlaß sehe, meine Ansichten über Eden zu ändern. Und jede Intervention im Dienste desssen, was wir für gut und richtig halten, jeder Versuch dieser Art würde höchstwahrscheinlich genauso enden wie unser heutiger Ausflug. Mit dem Gebrauch des Annihilators. Natürlich werden wir immer die Rechtfertigung finden, dass es Notwehr gewesen sei und so weiter, aber anstatt Hilfe werden wir Vernichtung bringen. So, das wäre alles.“
„Wenn wir nur einen besseren Einblick in das bekämen, was hier wirklich geschieht!“ Der Ingenieur schüttelte den Kopf. „Dann wird sich herausstellen, dass jede Seite ›ihre Gründe‹ hatte…“
„Was macht das schon, dass Mörder ›ihre Gründe‹ haben?“ warf der Chemiker ein. „Nicht ihre Gründe werden uns interessieren, sondern unsere Rettung.“
„Aber was können wir ihnen außer dem Annihilator des Beschützers anbieten? Nehmen wir an, wir äschern den halben Planeten ein, um diese Ausrottungsaktionen, diese unbegreifliche ›Produktion‹, diese Jagden und Vergiftungen einzudämmen — was dann?“
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