Stanislaw Lem - Fiasko

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Mit „Fiasko“ knüpft Lem an jene Phase seines literarischen Schaffens an, die mit Romanen wie „Der Unbesiegbare“ (1967) und „Solaris“ (1972) seine bisher größten erzählerischen Erfolge aufwies. „Fiasko“, ein Buch von grandiosem pessimistischem Zuschnitt, nimmt eine Idee auf, die die intellektuelle Science-fiction bislang gemieden hat: die Möglichkeit der Selbstzerstörung unseres Planeten. Den Ausgangspunkt der Geschichte, die Lem ins 22. Jahrhundert datiert, bildet der Versuch eines Raumfahrtkommandos, mit einer außerirdischen Zivilisation Kontakt aufzunehmen, doch kristallisiert sich als das eigentliche Thema des Romans bald der fatale Zustand jener fremden Zivilisation heraus. Im Verlauf eines hundertjährigen kalten Krieges und Wettrüstens ist das ganze Planetensystem, m welchem sich auch der Planet Quinta — Ziel des Raumschiffs „Hermes“ — befindet, „militarisiert“ worden und bildet nun eine gewaltige „Sphäromachie“, in der unzählige hochautomatisierte Satelliten sich gegenseitig in Schach halten.
Unwissentlich gerät das Unternehmen Hermes zwischen die Fronten und beschwört durch eine fatale Demonstration der Stärke die kosmische Katastrophe herauf: „ein Lehrstück über den Wahnwitz von SDI und Star-Wars-Träumen“ („Die Zeit“).

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Stanislaw Lem

FIASKO

Inhalt

I Birnams Wald

II Die Beratung

III Der Verunglückte

IV SETI

V Beta Harpyiae

VI Die Quinta

VII Auf Fang

VIII DerMond

IX Die Verkündigung

X Der Angriff

XI Demonstration der Stärke

XII Der Paroxysmus

XIII Kosmische Eschatologie

XIV Das Märchen

XV Sodom und Gomorrha

XVI Die Quintaner

I

Birnams Wald

„Diese Landung hast du ja noch mal sauber hingekriegt. Der Mann, der das sagte, sah den Piloten, der im Raumanzug, den Helm unterm Arm, vor ihm stand, nicht mehr an, sondern trat an eine der gläsernen Wände, die den runden Kontrollraum mit seinen hufeisenförmig angeordneten Steuerpulten umschlossen. Man erkannte von hier aus trotz der Entfernung die Größe des zylindrischen Raumschiffs und den Ruß an seinen Düsen, aus denen immer noch ein schwärzlicher Auswurf auf den Beton kleckerte. Der andere Fluglotse, ein vierschrötiger Mann, der eine Baskenmütze auf dem Kahlkopf trug, ließ die Bandaufzeichnungen rückwärtslaufen und schielte dabei nach dem Ankömmling nur aus den Augenwinkeln, wie ein Vogel mit reglosen Lidern. Er hatte Kopfhörer auf und vor sich eine Reihe chaotisch flimmernder Monitore.

„Es ging zu machen“, warf der Pilot hin. Er stemmte sich leicht gegen die vorstehende Kante eines Pultes, als brauchte er das, um die schweren Handschuhe mit den doppelten Säumen auszuziehen. In Wahrheit hatte er nach dieser Landung noch weiche Knie. „Was war denn los?“

Der Kleine am Fenster, der ein Mausgesicht hatte, unrasiert war und in einer schäbigen Lederjacke steckte, klopfte auf der Suche nach Zigaretten die Taschen ab. „Eine Deflexion des Schubs“, brummelte der Pilot, den diese ganze phlegmatische Begrüßung ein wenig verblüfft hatte. Der andere hatte seine Zigarette inzwischen im Mund, nahm einen Zug und fragte durch den ausgeatmeten Rauch: „Aber warum? Wissen Sie das nicht?“

„Nein“, wollte der Pilot antworten, aber er verschluckte es, weil ihm schien, er hätte es wissen müssen. Das Band war abgelaufen, sein Ende raschelte um die wirbelnde Trommel. Der Große stand auf, nahm den Kopfhörer ab, nickte dem Besucher jetzt erst zu und sagte heiser: „Ich bin London, und das ist Gosse.

Willkommen auf dem Titan. Was trinken wir? Wir haben Kaffee und Whisky da.“ Der junge Pilot wurde verlegen. Er kannte diese Männer mit Namen, hatte sie aber nie gesehen und willkürlich angenommen, Gosse, der Chef, müsse der Große sein, nun aber war es umgekehrt. Er traf im Kopf die notwendige Umstellung und entschied sich für Kaffee.

„Was für Fracht? Karborundköpfe?“ fragte London, als sie zu dritt an einem aus der Wand gezogenen Tisch saßen. Der Kaffee dampfte in Gefäßen, die an Laborgläser erinnerten — sie hatten Tüllen.

Gosse spülte mit dem Kaffee eine gelbe Tablette hinunter, er atmete tief durch, mußte husten und schneuzte sich, daß ihm die Tränen kamen.

„Und Strahler haben Sie auch gebracht, nicht?“ wandte er sich dem Piloten zu.

Dieser, von neuem erstaunt, daß seine Leistung kein größeres Interesse fand, bejahte nur mit einem Nicken. Schließlich passiert es nicht alle Tage, daß es einer Rakete bei der Landung den Schub abwürgt. Statt der Frachtliste hatte er den fertigen Bericht auf den Lippen gehabt, wie er, ohne erst lange die Düsen durchzuspülen oder den Hauptschub zu erhöhen, sofort die Automatik abgeschaltet und nur mit den Boostern aufgesetzt hatte, ein Kunststuck, das er außerhalb des Simulators noch nie probiert hatte, und auch das war lange her. Er mußte seine Gedanken also erneut umstellen. „Habe ich“, sagte er aus alledem heraus und verspurte sogar Genugtuung, denn es hatte nicht schlecht geklungen. So lakonisch nach überstandener Gefahr! „Aber nicht dorthin, wo sie hingehörten“, lächelte Gosse, der Kleinere.

Der Pilot wußte nicht, ob das ein Scherz sein sollte. „Wieso nicht? Ihr habt mich doch angenommen. Angefordert habt ihr mich“, korrigierte er. „Das mußten wir.“

„Ich verstehe nicht.“

„Sie sollten doch im Gral landen.“

„Wozu habt ihr mich dann vom Kurs geholt?“ Ihm wurde heiß, die Aufforderung hatte einen kategorischen Klang gehabt. Zwar hatte er unterwegs einen Funkspruch des Grals über einen Unfall aufgefangen, aber wegen des Störrauschens wenig davon verstanden. Er flog den Titan nämlich vom Saturn aus an, um durch dessen Gravitation die Geschwindigkeit zu drosseln und Treibstoff zu sparen. Das Raumschiff hatte die Magnetosphäre des Riesen gestreift, so daß es auf allen Wellenlängen nur so prasselte. Gleich darauf war der Ruf vom hiesigen Kosmodrom gekommen, der Flugkontrolle hat der Navigator zu gehorchen, und nun ließen sie ihn nicht einmal den Raumanzug ausziehen, sondern nahmen ihn gleich ins Verhör.

Im Geiste war er immer noch im Steuerraum, die Gurte schnitten ihm scheußlich in Brust und Rucken, als die Rakete mit den ausgefahrenen Landestelzen auf den Beton knallte, die noch nicht leergebrannten Booster Feuer spien und den ganzen Rumpf durcheinanderrüttelten.

„Worum geht es? Wo sollte ich eigentlich landen?“

„Ihr Stuckgut gehört dem Gral“, erklärte der Kleine und putzte sich die gerötete Nase. Er hatte Schnupfen. „Wir haben Sie oberhalb der Umlaufbahn abgefangen und hierher gerufen, weil wir Killian brauchen, Ihren Passagier.“

„Killian“, wunderte sich der junge Pilot. „Der ist nicht bei mir an Bord. Bei mir ist nur Sinko, mein Kopilot.“ Die beiden waren verdattert. „Wo ist Killian?“

„Jetzt bestimmt schon in Montreal. Seine Frau kriegt ein Kind. Er ist vor mir mit einer Güterfähre geflogen, noch vor meinem Start.“

„Vom Mars?“

„Klar, woher sonst… Was Ist tos?“

„Die Schlamperei im All steht der auf der Erde nicht nach“, konstatierte London und stopfte sich die Pfeife mit einer Gewalt, als wolle er sie zerbrechen. Er war wütend, der Pilot nicht minder.

„Fragen konntet ihr mich wohl nicht, was?“

„Wir waren sicher, daß er bei Ihnen an Bord ist. So hieß es im letzten Funkspruch.“ Gosse schneuzte sich erneut und seufzte. „Wegfliegen können Sie jetzt so und so nicht mehr“, meinte er schließlich. „Und Marim konnte die Strahler kaum erwarten. Jetzt wird er alles auf mich schieben.“

„Aber sie sind ja da.“ Der Pilot wies mit einer Kopfbewegung hinaus, wo durch den Dunst die schlanke dunkle Spindel seines Raumschiffs zu sehen war. „Sechs Stück sind es wohl, zwei davon im Gigajoule-Bereich. Sie pusten jeden Nebel und jede Wolke weg wie nichts.“

„Aber ich kann sie nicht auf den Buckel nehmen und zu Marlin schleppen“, gab Gosse zurück, dessen Laune immer schlechter wurde.

Der Pilot war verärgert über die Fahrlässigkeit und Eigenmächtigkeit, mit der ihn nach drei Flugwochen ein untergeordneter Landeplatz — wie dessen Chef sich ausdrückte — „abgefangen“ hatte, ohne sich die Gewißheit verschafft zu haben, daß der erwartete Passagier an Bord war. Er hatte es daher gar nicht eilig mit der Erklärung, daß die Sorge um die Ladung allein ihre Sache war. Vor der Behebung des Schadens konnte er nichts machen, selbst wenn er wollte. Er schwieg.

„Es ist klar, daß Sie bei uns bleiben.“

Mit diesen Worten trank London den Kaffee aus und erhob sich von seinem Aluminiumhocker. Er war gewaltig wie ein Schwergewichtsringer. Als er jetzt vor die gläserne Wand trat, bot die Landschaft des Titan seiner Gestalt einen prächtigen Hintergrund: die leblose Raserei des Gebirges, unirdisch durch seine Farbe in dem roten Glanz, den braune Wolken über den Bergrücken festhielten. Der Fußboden des Towers vibrierte leicht. Die müssen hier einen uralten Trafo haben, dachte der Pilot. Auch er stand auf, um sein Raumschiff zu betrachten. Wie ein Leuchtturm ragte es senkrecht aus dem niedrigen Nebel, dessen Schwaden zwar vom Wind dahingetrieben wurden, die Flecken der überhitzten Stellen an den Düsen jedoch verbargen. Vielleicht lag es aber auch an Entfernung und Dämmerung, oder sie waren ganz einfach erkaltet. „Habt ihr hier Gamma-Defektoskope?“ Das Raumschiff war für ihn wichtiger als ihre Sorgen. Die hatten sie sich ja selbst bereitet.

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