Eine Sekunde lang glaubte er, der Turm breche ein. Der Beschützer stöhnte, seine Stoßdämpfer quietschten, der Panzer dröhnte wie eine Glocke. Der Bildschirm verdunkelte sich sekundenlang, flammte dann wieder auf. Das Krachen ließ nicht nach, es war, als hämmerten hundert höllische Hämmer wie versessen gegen die Deckenpanzerung. Dann flaute der ohrenbetäubende Lärm etwas ab, die Schläge fielen in immer größeren Abständen, einigemal zerschnitt noch ein kantiger Arm pfeifend die Luft. Plötzlich scheuerte niederstürzendes Eisen dumpf rasselnd am Panzer entlang, und mehrere armartige Gebilde, träge die spinnenartigen Glieder zusammenkrampfend und wieder geradebiegend, fielen vor dem Beschützer nieder. Eines davon trommelte noch ein paarmal rhythmisch auf den Panzer, als wollte es ihn streicheln. Aber auch diese Bewegung wurde immer schwächer und hörte schließlich ganz auf. Der Ingenieur versuchte anzufahren, doch die Ketten gehorchten den Lenkbewegungen nur unvollkommen und verklemmten sich knirschend. Er schaltete den Rückwärtsgang ein. Nun ging es. Wie ein Krebs schlängelte und wühlte sich das Fahrzeug aus den Trümmern. Plötzlich ließ der Druck nach, ein metallisches Klirren, die Maschine sprang befreit nach hinten. Das Wrack sah vor der feurigen Wand der brennenden Schonung aus wie eine dreißig Meter hohe zertretene Spinne. Ein Armstumpf stocherte noch fieberhaft im Boden. Zwischen den langen, spitzen Beinen war eine kantige Kuppel zu erkennen, silbrig schimmernde Gestalten sprangen aus ihr heraus.
Der Ingenieur überprüfte instinktiv, ob die Schußlinie frei war, und drückte aufs Pedal. Abermals zerriß eine Sonne donnernd die Lichtung. Die Wrackteile flogen heulend und pfeifend nach allen Seiten. In der Mitte fuhr eine Säule aus siedendem Lehm und Sand in die Höhe. Große Rußflocken segelten durch die Luft. Plötzlich überkam den Ingenieur ein Schwächegefühl. Er spürte: Noch einen Augenblick, und er würde sich in Krämpfen winden. Eiskalter Schweiß rann ihm in den Nacken. Er legte gerade die verkrampfte Hand auf den Hebel, als er den Doktor schreien hörte: „Kehr um, hörstdu! Kehr um!“
Rot leuchtender Rauch schlug aus der brennenden Grube hoch, als habe sich dort, wo zuvor die Schonung gestanden hatte, ein Vulkan geöffnet. Siedende Schlacke floß den Hang hinab und setzte die Reste des niedergewalzten, zermalmten Dickichts in Flammen.
„Ich bin ja schon dabei“, sagte der Ingenieur. „Ich kehre um.“ Aber er rührte sich nicht.
Schweißtropfen rannen ihm übers Gesicht. „Was hast du?“ Wie aus weiter Ferne hörte er die Stimme des Doktors, dann erblickte er über sich sein Gesicht. Er schüttelte den Kopf, riss die Augen auf.
„Wie? Nein, nichts“, stammelte er. Der Doktor zwängte sich wieder nach hinten. Der Ingenieur schaltete den Motor ein. Der Beschützer erbebte, drehte sich auf der Stelle. Sie hörten nichts. Alle Laute wurden von dem Rauschen des riesigen Brandes verschlungen. Sie fuhren denselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Der Strahl des einzigen Scheinwerfers — den mittleren hatten sie beim Zusammenstoß verloren — huschte über Leichname und Denkmalstrümmer. Über allem lag ein metallischer grauer Niederschlag. Sie fuhren zwischen den Bruchstücken zweier weißer Figuren hindurch und bogen nach Norden ab. Wie ein Schiff, das ins Wasser gleitet, zerschnitt der Beschützer das Dickicht. Ein paar weiße Gestalten flüchteten in Panik aus dem Bereich des Lichts. Der Beschützer brauste mit wachsender Geschwindigkeit weiter und schüttelte seine Insassen mächtig durcheinander. Der Ingenieur atmete schwer und presste die Kiefer zusammen, um nicht schwach zu werden. Er hatte noch immer die wirbelnden Rußflecken vor Augen — das war alles, was von den herausspringenden, silbrig schimmernden Gestalten übriggeblieben war. Er riss die Augen auf. Gelber Lehm zeigte sich jetzt im Licht, ein schräger, buckliger Hang. Der Beschützer hob die Nase und stürmte hinauf. Zweige peitschten gegen den Panzer. Die Ketten rollten knirschend über etwas Unsichtbares. Der Beschützer jagte immer schneller dahin, mal aufwärts, mal abwärts. Das Gelände wurde ab und zu von kleinen Schluchten durchschnitten. Sie tauchten in gewundene Hohlwege und brachen baumartiges Gestrüpp nieder. Wie ein Sturmbock brauste der Wagen durch eine Schonung spinnenartiger Bäume. Ihre stachligen Insektenleiber bombardierten den Panzer mit kraftlosen, weichen Schlägen. Das Krachen und Zischen der zermahlenen Stängel und Äste hörte sich entsetzlich an. Auf den hinteren Bildschirmen flammte noch die Feuersbrunst. Allmählich wurde sie trüber.
Schließlich herrschte ringsum gleichmäßige Dunkelheit.
Eine Stunde lang rasten sie bereits über die Ebene. Die Nacht war sternklar. Immer seltener flogen Sträucher an der rhythmisch heulenden Maschine vorüber. Schließlich verschwanden auch die letzten.
Nichts war mehr da außer den langen sanften Buckeln, die im Scheinwerferlicht aufzuleben und zu wogen schienen. Der Beschützer nahm sie mit einem Schwung, als wollte er sich in die Luft schwingen. Die Sitze federten weich. Das gleichmäßige Kreischen der Raupenketten erinnerte an den verbissenen Laut eines Bohrers, der sich in Metall frißt. Die Instrumente leuchteten rosa, orangerot und grün. Im Bildschirm suchte der Ingenieur das Signallicht der Rakete.
Was sie vorher gedankenlos hingenommen hatten — dass sie ohne Funkverbindung aufgebrochen waren — , hielt er jetzt für Wahnsinn. Sie hatten sich beeilt, als wären die zum Aufbau eines Senders erforderlichen zwei Stunden zu kostbar dafür gewesen. Er fürchtete schon, die Rakete im Dunkeln verfehlt zu haben und zu weit nach Norden gefahren zu sein. Doch da erblickte er sie. Sie sah aus wie eine eigenartig zerfließende Lichtblase. Er drosselte die Geschwindigkeit. Es war jedes Mal einungewöhnlicher Anblick, wenn das Signallicht der Rakete aufleuchtete und den mehrstöckigen Rumpf in unzählige flammende Regenbögen tauchte. Der Widerschein erhellte weithin den Sand. Da der Ingenieur nicht noch einmal schießen wollte, richtete er die stumpfe Panzernase auf die Stelle, wo sie bei der Abfahrt die Spiegelmauer durchbrochen hatten. Die Lücke in der gläsernen Mauer war von beiden Seiten her wieder zugewachsen. Als einzige Spur ihres ersten Durchbruchs war ein Brocken in Schlacke verwandelten Sandes zurückgeblieben. Der Beschützer stürmte mit der ganzen Masse seiner sechzehn Tonnen gegen die Mauer an. Die Wand hielt stand. Der Ingenieur stieß etwa zweihundert Meter zurück, zielte mit dem Fadenkreuz so tief wie möglich und drückte in dem Augenblick, als die Lichtglocke aus dem Dunkel tauchte, auf das Pedal.
Ohne erst abzuwarten, bis die siedenden Ränder der Bresche wieder erstarrt waren, fuhr er los. Der Turm stieß oben an, doch das erweichte Material gab nach. Der einäugige Beschützer brach in den leeren Kreis ein und rollte mit ersterbendem Brummen an die Rakete heran.
Nur der Schwarze begrüßte sie, aber auch er verschwand sofort. Sie spülten den radioaktiven Belag von der Panzerhaut des Beschützers und prüften die Strahlungsintensität der Umgebung, erst dann konnten sie den engen Innenraum der Maschine verlassen.
Die Lampe flammte auf. Der Koordinator trat als erster aus dem Tunnel. Mit einem Blick erfasste er die schwarzen Flecke auf dem Bug des Beschützers, die demolierten Scheinwerfer und die eingefallenen, blassen Gesichter der Rückkehrer. Dann sagte er: „Ihr habt gekämpft.“
„Ja“, antwortete der Doktor. „Ihr könnt aussteigen. Es sind nur noch 0,9 Röntgen pro Minute. Der Schwarze wird hierbleiben.“
Die anderen schwiegen. Sie stiegen durch den Tunnel in die Rakete hinunter. Der Ingenieur bemerkte einen zweiten, kleineren Automaten, der im Durchgang zum Maschinenraum die Leitungen flickte, aber er hielt sich nicht bei ihm auf. In der Bibliothek brannte Licht. Der kleine Tisch war gedeckt: Aluminiumteller, Besteck, eine Flasche Wein. Der Koordinator sagte: „Das sollte eine kleine Feier werden, denn die Automaten haben den gravimetrischen Regler überprüft. Er ist heil… Die Hauptsäule ist in Betrieb. Wenn wir es fertigbringen, die Rakete aufzurichten, können wir starten.
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