Der Chemiker und der Doktor schritten unterdessen langsam zwischen den Denkmälern dahin. Der Ingenieur leuchtete ihnen vom Beschützer aus. Eine ganze Weile schon glaubte er aus der Ferne ein weinerliches Jammern zu hören, da ihn jedoch der ungewöhnliche Anblick gefangenhielt, achtete er nicht auf die Laute, die so schwach und so undeutlich waren, dass er nicht einmal erraten konnte, woher sie kamen. Der Lichtkegel schwebte über den Köpfen der beiden Männer und holte neue Figuren aus der Dunkelheit. Plötzlich hörten sie in der Nähe ein giftiges Zischen. Zwischen dem Spalier der Denkmäler schwammen langsam zerfließende graue Wolken. Eine Schar Doppelts hetzte mit lang anhaltendem Stöhnen, Husten und Wimmern durch sie hindurch. Irgendwelche Lumpen und Fetzen flatterten über ihnen, während sie blindlings dahinstürmten, einander rempelten und umrissen.
Der Ingenieur drehte sich auf seinem Sitz herum, griff nach dem Hebel und wollte instinktiv seinen Gefährten nachfahren. Etwa hundert Schritt vor sich, am Ende der kleinen Allee, sah er die blassen Gesichter des Doktors und des Chemikers, die verblüfft den hastenden Gestalten nachstarrten. Er konnte jedoch nicht anfahren, denn die Flüchtenden stürzten, ohne auf das Fahrzeug zu achten, dicht an ihm vorbei. Mehrere große Körper brachen zusammen. Das entsetzliche Zischen war ganz nahe, esschien aus der Erde zu dringen.
Zwischen den nächsten, von den Scheinwerfern des Beschützers erhellten Postamenten kroch ein biegsames Rohr mehrere Zentimeter hoch über den Boden dahin, daraus spritzte ein Strahl kochenden Schaums, der die Erde bedeckte, heftig dampfte und die Umgebung in nebliges Grau hüllte. Als die ersten Schwaden den Turm umwehten, hatte der Ingenieur das Gefühl, als zerrissen ihm Tausende von Stacheln die Lunge. Tränen stürzten ihm aus den Augen, er stieß einen dumpfen Schrei aus und drückte, würgend und vor Schmerz schluchzend, ungestüm auf den Beschleuniger. Der Beschützer schoss nach vorn, stürzte das schwarze Denkmal um und rollte brüllend über die Trümmer hinweg.
Der Ingenieur bekam kaum noch Luft, doch er schloss den Turm nicht, denn vorher mussten die anderen noch herein. Er fuhr weiter, ohne dabei mit den tränenden Augen wahrzunehmen, wie der Beschützer auch die anderen Denkmäler niederwalzte. Die Luft wurde reiner. Er hörte es eher, als dass er es sah, wie der Chemiker und der Doktor aus dem Dickicht schnellten und den Panzer erklommen. Er wollte „Einsteigen!“ rufen, aber nur ein Krächzen entrang sich seiner verbrannten Kehle. Die beiden sprangen hustend herein. Blindlings drückte er auf den Hebel. Die Metallkuppel schloss sich, doch der Nebel, der ihnen in der Kehle würgte, füllte noch den Innenraum. Der Ingenieur stöhnte und öffnete mit letzter Kraft den Hahn an einer Stahlrohrleitung. Sauerstoff schoss unter hohem Druck aus dem Reduktor. Er fühlte seinen Schlag im Gesicht. Das Gas war so stark komprimiert, dass es ihn wie eine Faust zwischen die Augen traf. Es scherte ihn wenig. Der belebende Zustrom half. Die beiden anderen hingen ihm keuchend über den Schultern. Die Filter arbeiteten. Der Sauerstoff vertrieb den giftigen Schwaden. Sie konnten wieder sehen, aber sie atmeten noch immer schwer. In der Brust spürten sie einen bohrenden Schmerz, als striche bei jedem Atemzug jemand über offene Wunden in der Luftröhre. Aber das gab sich bald. Nach ein paar Sekunden konnte der Ingenieur wieder gut sehen. Er schaltete den Bildschirm ein. In der Seitenallee, an die er nicht herangekommen war, zuckten zwischen den Postamenten der dreieckigen Denkmäler noch ein paar Körper. Die meisten rührten sich nicht mehr. Händchen, kleine Torsos, Köpfe, alles miteinander vermengt, verschwand hinter den träge dahinfließenden grauen Schwaden und tauchte wieder daraus hervor. Der Ingenieur schaltete das Außenhörgerät ein. Ein schwächer werdendes fernes Hüsteln und Heulen drang an ihr Ohr. Hinter ihnen stampfte etwas. Noch einmal wehte ein Chor brüchiger Laute aus der Richtung der miteinander verflochtenen weißen Figuren heran, doch außer dem Wogen des grauen Nebels war dort nichts mehr zu sehen. Der Ingenieur vergewisserte sich, dass der Turm hermetisch abgeschlossen war, und betätigte dann mit zusammengebissenen Zähnen einige Hebel.
Der Beschützer drehte sich langsam auf der Stelle, seine Ketten knirschten auf den steinernen Trümmern. Die drei Scheinwerferbündel versuchten die Wolke zu durchstoßen. Er fuhr an den zertrümmerten Denkmälern vorbei und suchte nach dem zischenden Rohr, dessen Versteck er etwa zehn Meter weiter vermutete, dort, wo der Schlamm in die Höhe spritzte. Die schwankende Dampfwoge reichte nun bereits bis an die hoch erhobenen Hände der nächsten Figur. „Nein!“ rief der Doktor. „Nicht schießen! Dort können Lebende sein!“ Zu spät. Der Bildschirm verfinsterte sich für den Bruchteil einer Sekunde. Der Beschützer sprang hoch, wie von einer gewaltigen Faust getroffen, und sackte mit entsetzlichem Knirschen ein. Kaum hatte sich der Wellenstrahl von der Spitze des im Rüssel verborgenen Generators gelöst, war er auch schon im Ziel, das heißt dort, wo der zischende Schaum ausgestoßen wurde. Die Antiprotonen-ladung hatte sich mit der gleichwertigen Menge Materie verbunden. Als der Bildschirm wieder aufblitzte, klaffte zwischen den weit auseinandergeworfenen Trümmern der Postamente ein feuriger Krater. Der Ingenieur sah nicht hin. Er bemühte sich, herauszufinden, was mit dem Rest der Leitung geschehen und wohin sie verschwunden war. Wieder wendete er den Beschützer auf der Stelle um neunzig Grad und fuhr dann langsam die Reihe der umgestürzten Denkmäler entlang. Der graue Nebel löste sich allmählich auf. Sie fuhren an drei oder vier in Lumpen gehüllten Leibern vorbei. Der Ingenieur musste aufpassen, dass er sie nicht zermalmte. Weiter entfernt war ein großes, unbewegliches Gebilde zu erkennen. Dort öffnete sicheine längliche Lichtung, in deren Hintergrund silbrige Gestalten in den Scheinwerferkegeln aufblitzten. Sie flüchteten in die Büsche. Statt der weißen kleinen Torsos hatten sie unheimlich lange, schmale Hüllen oder Helme, die an den Seiten abgeflacht waren und oben in einer Spitze endeten. Etwas prallte dumpf gegen den Bug des Panzers. Der Bildschirm verdunkelte sich und wurde wieder hell. Der linke Scheinwerfer war erloschen.
Der Ingenieur ließ den beweglichen Mittelscheinwerfer über den dunklen Rand der Schonung schweifen und zauberte aus dem Dunkel zwischen den Ästen verschiedene silbern glänzende Flecke hervor, hinter denen etwas immer schneller zu wirbeln begann. Äste flogen nach allen Seiten, Stücke zerfetzter Sträucher, eine große, wirbelnde Masse mahlte im Licht der Scheinwerfer die Luft. Der Ingenieur richtete den Rüssel mitten in die größte Betriebsamkeit und drückte auf das Pedal. Ein dumpfes, machtvolles “Umpf" erschütterte den Turm. Als der Bildschirm wieder aufflammte, drehte der Ingenieur den Turm herum. Ihnen war, als sei die Sonne aufgegangen. Der Beschützer stand beinahe mitten auf der Lichtung. Weiter unten, wo vorher die Schonung gewesen war, hatte sich der Horizont in ein weißes Feuermeer verwandelt. Die Sterne waren verschwunden, die Luft zitterte. Vor dieser schmutzigen Rauchwand rollte eine pralle, im feurigen Schein funkelnde Kugel auf den Beschützer zu. Der Ingenieur hörte nur das Tosen des Brandes. Der Beschützer wirkte wie ein am Boden kauernder Zwerg angesichts der ungeheuren Ausmaße der Kugel, die sich nun in einen haushohen, durch eine schwarze Zickzacklinie in der Mitte unterteilten Strudel verwandelte. Schon hatte der Ingenieur die Kugel in dem Fadenkreuz, als er mehrere hundert Schritt weiter flüchtende blasse Gestalten erblickte.
„Haltet euch fest!“ brüllte er und glaubte zu spüren, wie ihm Nägel in die Kehle drangen. Ein höllisches Knirschen und Krachen, der Beschützer schien zu bersten — sie waren zusammengestoßen.
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