„Eine neue Expedition?“ fragte der Doktor. Der Ingenieur lachte bitter. „Ich gehe immer mit. Wohin? In die Stadt?“
„Das würde gewiß Kampf bedeuten“, gab der Doktor zu bedenken. „Denn anders als mit dem Beschützer kommen wir nicht durch. Und auf der Stufe der Zivilisation, die wir in gemeinsamer Anstrengung zu erreichen vermochten — immerhin steht uns ein Antiprotonenwerfer zur Verfügung — , haben wir eins, zwei, drei zu schießen angefangen. Wir sollten um jeden Preis einen Kampf vermeiden. Der Krieg ist die schlechteste Methode, Kenntnisse über eine fremde Kultur zu sammeln.“
„Ich habe gar nicht an Krieg gedacht“, erwiderte der Koordinator. „Der Beschützer ist eben ein ausgezeichnetes Versteck, weil er soviel aushält. Alle Anzeichen scheinen darauf hinzuweisen, dass die Bevölkerung Edens aus verschiedenen Schichten besteht und dass wir mit der Schicht, die vernünftige Handlungen vollführt, bisher noch keinen Kontakt anknüpfen konnten. Ich verstehe, dass sie einen Ausfall in Richtung Stadt als einen Gegenschlag auslegen könnten. Uns jedoch bleibt die westliche Richtung, die wir überhaupt noch nicht erforscht haben. Zwei Mann genügen zur Bedienung des Wagens vollauf, die anderen bleiben hier und arbeiten in der Rakete.“
„Du und der Ingenieur?“
„Nicht unbedingt. Ich kann natürlich mit Henrik fahren.“
„In diesem Fall brauche ich noch einen Mann, der mit dem Beschützer vertraut ist“, sagte der Ingenieur. „Wer möchte fahren?“
Alle wollten. Der Koordinator musste unwillkürlich lächeln. „Kaum hat der Kanonendonner aufgehört, frißt euch das Gift der Neugier auf.“
„Also, dann fahren wir“, erklärte der Ingenieur. „Der Doktor will natürlich als Vertreter der Vernunft und der Sanftmut mitkommen. Ausgezeichnet. Gut, dass du bleibst“, wandte er sich an den Koordinator. „Du kennst die Reihenfolge der Arbeiten. Am besten, ihr stellt den Schwarzen gleich bei einem Lastautomaten an, beginnt aber nicht mit den Grabungen unter der Rakete, bevor wir zurückgekehrt sind. Ich will noch die statischen Berechnungen überprüfen.“
„Als Vertreter der Vernunft möchte ich mich nach dem Ziel dieses Ausflugs erkundigen“, sagte der Doktor. „Dadurch, dass wir uns den Weg bahnen, treten wir, ob wir wollen oder nicht, in eine Konfliktphase ein.“
„Dann mach bitte einen Gegenvorschlag“, erwiderte der Ingenieur. Um sie herum rauschte leise, fast melodisch die wachsende Hecke, die stellenweise schon Mannshöhe erreicht hatte.
In ihren sehnigen Verflechtungen brach sich mit weißen, irisierenden Funken die Sonne.
„Ich habe keinen“, gestand der Doktor. „Die Ereignisse kommen uns immer zuvor, bisher haben alle unsere Pläne nicht hingehauen. Vielleicht wäre es am vernünftigsten, überhaupt keine Ausflüge mehr zu unternehmen. In wenigen Tagen ist die Rakete startklar. Wenn wir den Planeten in geringer Höhe umkreisen, können wir vielleicht ohne Behinderung mehr als jetzt erfahren.“
„Das glaubst du doch selbst nicht“, widersprach der Ingenieur. „Wir erfahren ja schon jetzt nichts, wo wir die Dinge aus derNähe untersuchen, was kann uns dann ein Flug außerhalb der Atmosphäre geben? Und von wegen vernünftig, du lieber Himmel… Wären die Menschen vernünftig, hätten wir uns hier nie eingefunden! Was ist an Raketen vernünftig, die zu den Sternen fliegen?“
„Das ist Demagogie“, brummte der Doktor und schritt langsam an dem Glaszaun entlang. „Ich habe ja gewusst, dass ich euch nicht überzeugen werde.“ Die anderen kehrten zur Rakete zurück.
„Rechne nicht mit sensationellen Entdeckungen! Ich nehme an, dass sich nach dem Westen hin ein ähnliches Terrain erstreckt wie hier“, sagte der Koordinator zum Ingenieur. „Woher willst du das wissen?“
„Wir können doch nicht mitten in einem Wüstenfleck niedergegangen sein. Im Norden die Fabrik, im Osten die Stadt, im Süden die Hügelkette mit der ›Siedlung‹ im Talkessel. Wahrscheinlich sitzen wir am Rande einer Wüstenzunge, die sich nach Westen ausweitet.“
„Möglich, wir werden ja sehen.“
Wenige Minuten nach vier erbebte die Lastenklappe, senkte sich langsam, wie der Kiefer eines Nußknackers, und blieb wie eine Zugbrücke schräg in der Luft hängen — bis zum Boden fehlte mehr als ein Meter.
Sie standen unter der Rakete zu beiden Seiten des Eingangs und blickten nach oben. Breite Raupenketten erschienen in der klaffenden Öffnung und schoben sich mit wachsendem Brummen vor, als wollte die mächtige Maschine in die Luft springen. Einige Sekunden lang sahen sie noch ihren graugelben Boden, dann schwankte der Riese über ihren Köpfen, neigte sich nach unten, schlug mit beiden Raupenketten auf die Brücke, dass es dröhnte, und fuhr darauf hinunter. Sie überschritt die meterhohe Lücke, packte den Boden vorn mit den Raupenketten. Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als würden sich die beiden langsam mahlenden Bänder mit den Profilklappen nicht weiterbewegen, doch dann ruckte der Beschützer an, hob seinen abgeflachten Kopf in die Horizontale, fuhr ein Dutzend Meter über ebenen Boden und kam mit melodischem Brummen zum Stehen. „So, und jetzt, liebe Leute“, rief der Ingenieur, dessen Kopf aus der hinteren Einstiegsluke herausragte, „versteckt euch in der Rakete, es wird nämlich heiß, und laßt euch frühestens in einer halben Stunde wieder sehen. Am besten, ihr schickt den Schwarzen vorher hinaus, damit er den Boden auf restliche Radioaktivität untersucht.“
Die Klappe schloss sich. Die drei Männer verschwanden in dem Tunnel und nahmen den Automaten mit. Den Tunneleingang sicherten sie von innen mit einem luftdicht schließenden Schild. Der Beschützer stand regungslos da.
Der Ingenieur wischte die Bildschirme ab und überprüfte die Armaturen. Schließlich sagte er ruhig: „Wir fangen an.“ Der kurze, dünne, mit einer ringförmigen Wulst versehene Rüssel des Beschützers schob sich langsam vor. Der Ingenieur richtete das schwarze Fadenkreuz auf das massive Glas der Hecke, blickte zur Seite, um die Lage der drei kleinen Scheiben, der weißen, roten und blauen, festzustellen, und drückte auf das Pedal. Der Bildschirm war für den Bruchteil einer Sekunde schwarz, wie mit Ruß überschüttet. Der Beschützer schwankte, als wäre ein mächtiger Brecher auf ihn niedergegangen, und gab einen Ton von sich, als hätte ein Riese in der Erde „umpf“ gesagt. Der Bildschirm wurde wieder hell.
Eine flammende, kugelförmige Wolke dehnte sich nach allen Seiten aus, die Luft wogte wie flüssigesGlas. Die Spiegelhecke war in einer Breite von zehn Metern verschwunden. Aus einer Senke mit gewundenen, kirschrot glühenden Rändern wirbelte Dampf auf. Wenige Schritte vor dem Beschützer sah der Boden wie verglast aus und funkelte in der Sonne. Weiße Asche rieselte auf den Beschützer herab. Ich habe etwas zuviel gegeben, überlegte der Ingenieur, sagte aber nur: „Alles in Ordnung, wir fahren.“ Der untersetzte Rumpf erbebte, rollte seltsam leicht auf die Bresche zu und schaukelte sanft, als sie hindurchfuhren. Am Boden erstarrte eine flammende Flüssigkeit — geschmolzene Kieselerde.
Eigentlich sind wir Barbaren, ging es dem Doktor durch den Sinn. Was habe ich hier zu suchen…?
Der Ingenieur korrigierte den Kurs und beschleunigte das Tempo. Der Beschützer flitzte wie über eine Autobahn dahin. Es schmatzte leise, wenn die elastischen Innenflächen der Kettenglieder über die Gleitrollen liefen. Sie fuhren fast sechzig, ohne es zu spüren. „Kann man aufmachen?“ fragte der Doktor aus der Tiefe des kleinen Sessels. Der gewölbte Bildschirm über seiner Schulter glich einem Bullauge.
„Natürlich können wir, aber…“ Der Ingenieur betätigte den Kompressor. Vom Turmkranz spritzte nadelscharf eine farblose Flüssigkeit über den Panzer und spülte die Reste der radioaktiven Asche herunter. Dann wurde es hell, der gepanzerte Kopf öffnete sich, sein Deckel glitt nach hinten, die Seiten versanken im Rumpf. Nun waren sie nur noch durch eine dicke, gebogene Scheibe geschützt, die rings um die Sitze verlief. Von oben blies der Wind herein und zauste den drei Männern das Haar.
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