Vorläufig gab es keine Überraschungen. Vorn, wo sich die Bündel der Scheinwerfer zu grauem Nebel zerstäubten, huschte etwas vorüber, ein hoher Strich, ein zweiter, ein dritter, ein vierter. Es waren die Masten, deren Reihe sie kreuzten. Der Doktor versuchte vor dem Hintergrund des Himmels zu beobachten, ob die Spitzen der Masten ständig von zitternder Luft umgeben seien, doch dazu war es zu dunkel. Die Sterne blinzelten ruhig. Der Doppelt hinter ihm rührte sich nicht. Nur einmal rückte er etwas zur Seite, als sei er durch die Haltung ermüdet. Diese so menschliche Regung berührte den Doktor eigenartig. Die Reifen sprangen über Querfurchen. Sie fuhren nunmehr über eine längs gewellte Ebene talabwärts. Der Koordinator drosselte die Fahrt ein wenig. Hinter einer vorspringenden Kalkaufschüttung sah er bereits im Lichtkegel die nächsten Furchen. Von links vernahm er lauter werdendes Pfeifen, ein entsetzliches dumpfes Rauschen. Dann kreuzte eine wogende Masse ihren Weg, glänzte mit ihrer ungeheuer großen Form im Scheinwerferlicht auf und verschwand. Die Bremsen quietschten heftig. Ein Ruck. Auf ihren Gesichtern spürten sie einen heißen, bitteren Hauch. Ein neues Pfeifen nahte. Der Koordinator schaltete die Scheinwerfer aus.
Dunkelheit brach herein, darin flogen posaunenartige Gebilde wenige Schritte vor ihnen vorbei, eines nach dem anderen. Phosphoreszierende Gondeln rasten hoch über dem Boden dahin, umweht von unsichtbaren Wirbelscheiben. Sie neigten sich ein wenig, als sie eine nach der anderen in eine Kurve bogen. Die Männer zählten: acht, neun, zehn… Nach der fünfzehnten folgte eine Pause, sie konnten weiterfahren. Der Doktor sagte: „So vielen sind wir noch nie begegnet.“ Wieder war etwas zu hören.
Ein neuer, unbekannter Laut, viel tiefer. Er nahte langsamer. Der Koordinator schaltete den Rückwärtsgang ein und stieß ein Stück zurück, hangwärts. Die Reifen schepperten über den Kalkboden, als der Wagen bremste. In der Finsternis glitt ein Gebilde von undefinierbarer Form vorüber, begleitet von tiefem Baßgetöse, das den Wagen erbeben ließ. Das Licht der Sterne hoch über den Bäumen wurde dunkler, und der Boden schwankte, als wälze sich eine Lawine darüber hinweg.
Wie ein riesiger Käfer zog brummend die nächste Erscheinung vorbei, dann noch eine. Die Gondel war nicht zu sehen, nur der unregelmäßige, an den sternartigen Enden zugespitzte Umriß eines Gegenstandes, der rötlich glomm und sich entgegengesetzt zur Bewegungsrichtung langsam drehte.
Wieder herrschte Stille. In der Ferne verhallte leises an— und abschwellendes Rauschen.
„Das waren Kolosse! Habt ihr die gesehen?“ rief der Chemiker. Der Koordinator wartete noch eine Weile, dann schaltete er die Scheinwerfer wieder ein und löste die Bremsen. Der Wagen rollte durch sein Eigengewicht von allein abwärts. Zwar war es bequemer, in den Furchen zu fahren, weil sie den größeren Unebenheiten auswichen, aber er wollte nichts riskieren. Eines der durchsichtigen Ungeheuer könnte von hinten auf sie auffahren. Durch leichtes Drehen des Lenkrads versuchte er die Fahrtrichtung der Vehikel einzuhalten, die ihren Weg gekreuzt hatten. Sie waren von Nordwesten gekommen und hatten sich nach Osten hin entfernt. Doch was hieß das schon. Sie machten Kurven, und sie konnten mehrere solcher Kurven gemacht haben. Er sagte nichts, doch er war unruhig.Es war schon zwei Uhr durch, als vor ihnen das spiegelnde Band im Scheinwerferlicht aufglänzte. Der Doppelt hatte sich nicht gerührt, als sie den eigenartigen Gebilden begegnet waren. Nun aber betrachtete er schon seit einer Weile die Umgebung, nachdem er seinen Kopf herausgeschoben hatte. Als sie den Spiegelgürtel erreichten, hustete er plötzlich und schnaufte, begann sich stöhnend aufzurichten und drängte nach der einen Seite, als wollte er aus dem Wagen springen. „Halt! Halt!“ schrie der Doktor. Der Koordinator bremste. Sie blieben einen Meter vor dem Spiegelband stehen. „Was ist los?“
„Er will fliehen!“
„Warum?“
„Keine Ahnung, vielleicht deswegen hier. Schalte die Scheinwerfer aus!“ Der Koordinator gehorchte.
Kaum war es dunkel, sackte der Doppelt auf seinen Sitz zurück. Sie fuhren mit gelöschten Lichtern weiter. Eine Sekunde lang spiegelten sich zu beiden Seiten des Wagens die Sterne in den schwarzen Platten. Nun rollte der Wagen wieder über Sandboden. Die Scheinwerfer strahlten von neuem in die Nacht. Sie befanden sich auf der Ebene. Der Wagen raste nun dahin, dass alles an ihm vibrierte. Die kleinen Kalkfelsen und ihre sich im Sand wie um eine senkrechte Achse drehenden großen Schatten flogen nach hinten. Sand spritzte unter den Reifen hervor. Die kalte Luft, die ihnen ins Gesicht schlug, biß beim Atmen geradezu. Der Antrieb summte, rauschte. Steine klirrten gegen das Fahrgestell. Der Chemiker duckte sich, um mit dem Kopf, so gut es ging, hinter der Windschutzscheibe Deckung zu suchen. Sie fuhren über ebenen Boden. Das Tempo nahm ständig zu. Jeden Augenblick hofften sie, die Rakete zu erblicken. Sie hatten verabredet, dass die Zurückbleibenden eine Laterne am Heck der Rakete aufhängen sollten. Sie suchten dieses flimmernde Licht, jedoch die Minuten verrannen. Der Wagen verlangsamte etwas die Fahrt, zog eine Kurve. Sie fuhren nun in nordöstlicher Richtung, doch ringsum herrschte gleichmäßige Finsternis. Seit geraumer Zeit fuhren sie schon mit kleinem Licht.
Nun schaltete der Koordinator auch das noch aus und nahm damit das Risiko in Kauf, mit einem Hindernis zusammenzustoßen. Einmal gewahrten sie ein kleines flimmerndes Licht und rasten mit größter Geschwindigkeit darauf zu, doch schon nach wenigen Minuten mussten sie sich davon überzeugen, dass es einfach ein tiefstehender Stern war. Die Uhr zeigte zwanzig nach zwei.
„Vielleicht ist die Laterne kaputt“, meinte der Chemiker. Er bekam keine Antwort. Nach fünf Kilometern machten sie wieder eine Kurve. Der Doktor erhob sich von seinem Sitz und starrte in die Dunkelheit. Plötzlich machte der Wagen einen Satz, zuerst mit den Vorder-, dann mit den Hinterrädern. Sie hatten einen Graben überquert. „Fahr links“, sagte der Doktor. Der Wagen bog ab.
Sandbuckel zeigten sich im Schein des inzwischen wieder eingeschalteten kleinen Lichtes. Sie übersprangen eine zweite Furche, die etwa einen halben Meter tief war. Nun entdeckten alle auf einmal einen verschwommenen Schein und davor einen länglichen, schrägen Schatten, dessen Gipfel eine Sekunde lang von einer Aureole umgeben war. Als sie verschwand, verloren sie ihn aus den Augen. Der Wagen fuhr mit voller Fahrt darauf zu. Ein neues Aufblitzen der Laterne am Heck des Raumschiffes ließ drei winzige Gestalten erkennen. Der Koordinator schaltete die Scheinwerfer ein.
Die drei rannten ihnen mit erhobenen Händen entgegen. Der Koordinator bremste und hielt, als die Ankommenden den Weg freigaben, wenige Meter hinter ihnen an. „Seid ihr da? Alle drei?“ rief der Ingenieur und trat an den Wagen heran, wich aber erschrocken zurück, als er die vierte, kopflose Gestalt erblickte, die sich unruhig bewegte.
Der Koordinator legte die eine Hand dem Ingenieur, die andere dem Physiker auf die Schulter, als wollte er sich auf sie stützen. Sie traten in das Licht des seitlichen Scheinwerfers, der Doktor redete leise auf den Doppelt ein. „Bei uns ist alles in Ordnung“, sagte der Chemiker. „Und bei euch?“
„Wie man's nimmt“, antwortete der Kybernetiker. Sie sahen einander eine Weile an. Keiner sprach.
„Wollen wir berichten, oder gehen wir schlafen?“ fragte der Chemiker.„Du kannst schlafen? Das ist ja großartig!“ rief der Physiker. „Schlafen! Du lieber Gott! Sie waren hier, wißt ihr das?“
„Ich hatte es mir gedacht“, sagte der Koordinator. „Ist es zu einem Kampf gekommen?“ — „Nein. Und bei euch?“
„Auch nicht. Ich glaube, der Umstand, dass sie die Rakete entdeckt haben, kann wichtiger sein als das, was wir gesehen haben. Erzählt! Vielleicht machst du den Anfang, Henrik…“
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