Seine Reaktion war ein weiteres Anzeichen dafür, daß etwas nicht stimmte. Er stand nicht auf. Er hob nur den Kopf, blickte mich mit einer Miene wie der des Gefangenen von Zelda [78] Anthony Trollope, The Prisoner of Zelda. — Anm. d. Ü.
an, und senkte ihn wieder.
»Cyril, was hast du? Stimmt was nicht?« Ich griff nach seinem Halsband. »Bist du krank?« Da sah ich die Kette.
»Gott im Himmel«, sagte ich. »Terence hat sie doch nicht etwa geheiratet?«
Cyril schaute mich weiter trostlos an. Ich löste die Kette. »Komm mit, Cyril«, sagte ich. »Wir werden die Sache klären.«
Er torkelte hoch und folgte mir gottergeben, als ich aus dem Stall und ums Haus herum zur Vordertür ging, um Terence zu finden. Schließlich entdeckte ich ihn unten am Anlegesteg der Merings, wo er im Boot hockte und aufs Wasser starrte, den Kopf beinahe so tief hängend wie Cyril, als er zurückgelassen worden war, um das Boot zu bewachen.
»Was machst du hier?«
Apathisch schaute er hoch. »›Ein Riß durchfuhr den Spiegel quer‹«, sagte er. »›Fort flog das Netz, trieb weit umher‹«, was die Sache auch nicht klarer machte.
»Cyril war im Stall angekettet«, sagte ich.
»Ich weiß.« Terence starrte weiter auf den Fluß. »Mrs. Mering erwischte mich, als ich ihn letzte Nacht in mein Zimmer schaffen wollte.«
Also war mindestens ein ganzer Tag und eine Nacht vergangen, und ich dachte mir besser rasch eine Erklärung für meine Abwesenheit aus, bevor mich Terence fragte, wo ich gewesen sei. Doch er fuhr nur fort, aufs Wasser zu starren. »Er hatte nämlich recht. Damit, wie es zuschlägt.«
»Wie was zuschlägt?«
»Das Schicksal«, sagte Terence bitter.
»Cyril war angekettet«, wiederholte ich.
»Daran wird er sich gewöhnen müssen.« Terences Stimme klang teilnahmslos. »Tossie duldet keine Tiere im Haus.«
»Tiere?« fragte ich. »Wir reden hier über Cyril. Und was ist mit Prinzessin Arjumand? Sie schläft im Bett.«
»Ich frage mich, wie sie an jenem Morgen erwachte, glücklich wie eine Lerche und keine Ahnung, daß ihr Schicksal bereits besiegelt war.«
»Wer? Prinzessin Arjumand?«
»Ich hätte nämlich keine Ahnung, auch nicht, als wir in den Bahnhof einfuhren. Professor Peddick erzählte von Alexander dem Großen und der Schlacht von Issus, irgendwas über den entscheidenden Moment, und trotzdem hatte ich keine Ahnung.«
»Du hast Professor Peddick doch nach Oxford zurückgebracht?« fragte ich, plötzlich besorgt. »Oder ist er irgendwo aus dem Zug geklettert, um nach Fischgründen zu suchen?«
»Nein«, erwiderte Terence. »Ich habe ihn in die Arme seiner Lieben abgeliefert. In die Arme seiner Lieben!« wiederholte er gequält. »Und eben noch rechtzeitig. Professor Overforce brachte gerade seine Grabrede vorbei.«
»Wie reagierte er?«
»Er fiel in Ohnmacht«, sagte Terence, »und als er wieder zu sich kam, warf er sich Professor Peddick zu Füßen, stammelte so etwas wie, daß er es sich nie verziehen hätte, wenn Professor Peddick ertrunken wäre, und daß er seinen Fehler einsähe, daß Professor Peddick recht damit habe, daß eine einzige gedankenlose Handlung den Lauf der Geschichte ändern könne und daß er, Professor Overforce, vorhabe, schnurstracks nach Hause zu gehen und Darwin zu verbieten, weiterhin von Bäumen herabzuspringen. Und gestern verkündete er, daß er seine Kandidatur für den Haviland-Lehrstuhl zugunsten Professor Peddicks zurückziehe.«
»Gestern?« fragte ich. »Wann hast du Professor Peddick nach Oxford gebracht? Vorgestern?«
»Gestern?« überlegte Terence. »Oder war es vor Äonen? Oder vor einem kurzen Moment? ›Und im Nu, in einem winz’gen Augenblick, sind wir nicht mehr die, die wir gewesen.‹ [79] Aus: Sir Aubrey de Vere, A Song of Faith. — Anm. d. Ü.
Da sitzt eine Person auf einer Insel, webt so vor sich hin und — bauz — im nächsten Moment weiß sie, daß… Ich habe die ganze Poesie vorher nicht richtig verstanden. Ich dachte immer, das wäre nur so dahingesagt.«
»Was?«
»Poesie. Das ganze Gerede, daß man aus Liebe sterben möchte. Und Spiegel, die zerspringen. Aber sie tun es wirklich. Quer rüber.« Bedrückt schüttelte er den Kopf. »Ich habe nie verstanden, warum sie nicht einfach nach Camelot ruderte und Lancelot sagte, daß sie ihn liebte.« Sein umflorter Blick richtete sich wieder aufs Wasser. »Na ja, jetzt weiß ich es. Er war bereits mit Guinevere verlobt.«
Nun, nicht richtig verlobt, da Guinevere bereits mit König Artur verheiratet war. Außerdem gab es Wichtigeres zu besprechen.
»Cyril ist zu sensibel. Er verkraftet das Anketten nicht«, sagte ich.
»Wir liegen alle, alle in Ketten. Gebunden, hilflos und tobend, in den diamantenen Ketten des Schicksals. Schicksal!« Seine Stimme war bitter. »Oh, elendes Schicksal, das uns zu spät zusammentreffen ließ! Ich dachte, sie sei eine von diesen schrecklich modernen Mädchen in Knickerbockers, ein Blaustrumpf halt. Er sagte mir, ich würde sie mögen. Mögen!«
»Maud!« Endlich dämmerte es mir. »Du hast Professor Peddicks Nichte Maud getroffen!«
»Da stand sie, auf dem Bahnsteig in Oxford. ›Liebt ich wohl je? Nein, schwör es ab, Gesicht! Du sahst bis jetzt noch wahre Schönheit nicht!‹« [80] Aus: William Shakespeare, Romeo und Julia. Akt I, 5. Szene. — Anm. d. Ü.
»Der Bahnsteig«, sagte ich nachdenklich. »Du hast sie auf dem Bahnsteig in Oxford getroffen. Das ist doch wunderbar!«
»Wunderbar!« fragte er erbittert. »›Zu spät begann ich dich zu lieben, o Schönheit, ewig alt und immer jung!‹ [81] Aus Augustinus von Hippo, Bekenntnisse. — Anm. d. Ü.
Ich bin mit Miss Mering verlobt.«
»Aber kannst du die Verlobung nicht lösen? Miss Mering wird dich bestimmt nicht heiraten wollen, wenn sie weiß, daß du Maud Peddick liebst.«
»Ich bin nicht frei, irgend jemanden anderen zu lieben. Ich habe meine Liebe an Miss Mering gebunden, als ich ihr mein Wort gab, und Miss Peddick wird eine Liebe ohne Ehre nicht wollen, eine Liebe, die ich bereits einer anderen versprochen habe. Oh, wenn ich doch bloß Miss Peddick an jenem Tag in Oxford getroffen hätte, wie anders wäre…«
»Mr. Henry, Sorrr!« Jane kam auf uns zugeeilt, das Häubchen verrutscht, daß sich ihre roten Haare lösten. »Haben Sie Colonel Mering gesehen?«
O nein, dachte ich. Verity ist auf ihrem Weg die Treppe hoch Mrs. Mering in die Arme gelaufen. »Was ist passiert?« fragte ich.
»Ich muß zuerst Colonel Mering finden«, sagte Jane. »Er hat gesagt, ich soll es dem Colonel zuerst geben, beim Frühstück, aber er war nicht dort, und die Post ist da und alles…«
»Ich sah den Colonel zum Fischteich gehen«, sagte ich. »Ihm was geben? Was ist geschehen?«
»O Sorrr, Mr. Henry. Sie beide gehen am besten ins Haus«, erwiderte Jane gequält. »Sie sind im Wohnzimmer.«
»Wer? Ist Verity da? Was ist geschehen?« fragte ich wieder, aber sie hatte bereits mit wehenden Röcken zu einem Spurt zum Fischteich angesetzt.
»Terence!« sagte ich eindringlich. »Welcher Tag ist heute?«
»Ist das noch wichtig?« fragte Terence. »›Morgen und morgen und dann wieder morgen, kriecht so mit kleinem Schritt von Tag zu Tag, und alle unsre Gestern führten Narr’n den Pfad des stäub’gen Todes!‹ [82] Aus: William Shakespeare, Macbeth. Akt V, 5. Szene. — Anm. d. Ü.
Narren!«
»Es ist wichtig!« Ich zerrte ihn auf die Füße hoch. »Das Datum, Menschenskind!«
»Montag«, antwortete er. »Der achtzehnte Juni.«
O Gott, wir waren drei Tage fort gewesen! Ich rannte zum Haus, Cyril mir dicht hinterdrein.
»›Der Fluch hat uns ereilt‹«, zitierte Terence, »›rief das Fräulein von Shalott.‹«
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