Der tat so, als sei sie Luft für ihn und ließ den Blick durch das mit Hausbar, echtem Perser und Ledersesseln geradezu luxuriös ausstaffierte Séparée schweifen, wobei Louis-XV-Tapeten und gedämpftes Kerzenlicht dem Ganzen sozusagen den letzten Schliff verliehen. An seinem Gesicht, auf dem ein angewidertes Lächeln aufblitzte, war jedoch genau zu erkennen, was der Kommissar davon hielt.
Wenn sie geglaubt hatte, der Bulle würde sich damit zufriedengeben, sah sich Natascha jedoch getäuscht. »Stammkunde?«, fragte er mit einem Ausmaß an Geringschätzung, das nicht mehr zu überbieten war.
»Der? Bei mir?«
»Mit anderen Worten, der Herr ist Ihnen bestens bekannt!«, ließ sich der Bulle nicht aufs Glatteis führen und steckte das Bild wieder ein. »Darf man fragen, wie sehr?«
»Eben so, wie das bei Stammkunden ist!«, wäre Natascha beinahe der Kragen geplatzt.
»Besonders deshalb, da es sich um einen überaus einflussreichen Kunden gehandelt zu haben scheint. Wer wäre auch so dumm, es sich mit Heydrichs rechter Hand zu verderben!«
Von seinem Beruf hatte dieser Bulle eine Menge Ahnung, das musste ihm der Neid lassen. »Bevor Sie mich danach fragen: Ich kannte nur seinen Namen, mehr war da nicht.«
»Und der wäre?«
»Alfred von Möllendorf.«
»Halten Sie mich wirklich für so dumm, dass ich Ihnen das Märchen von der Edelkurtisane und dem bösen Wolf abkaufe? Ich darf doch wohl annehmen, dass Sie mit Ihrem schwarzen Ritter von der SS etliche Male intim geworden sind. Das löst die Zunge, um es dezent zu sagen. Da erzähle ich Ihnen doch wohl nichts Neues!«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will damit sagen, dass mir das Gerede um den heißen Brei langsam aber sicher auf die Nerven geht! Im Klartext: Ich möchte von Ihnen jetzt alles–aber auch wirklich alles–über Möllendorf erfahren!«
»Wieso eigentlich? Hat er etwas verbrochen?«
Der Bulle lachte kurz auf, und Natascha, die neben ihm auf der Bettkante saß, rückte so weit wie möglich von ihm weg. Dieser Kerl war nicht nur ausgebufft, sondern auch willens, mit allen Mitteln ans Ziel zu kommen. Sogar mithilfe von Methoden, die Polizisten normalerweise nicht anzuwenden pflegten. »Könnte man so sagen! Wobei ich mir sicher bin, dass Sie mehr darüber wissen, als Sie mir Glauben machen wollen. Darum zum Was-weiß-ich-wievielten Mal. Packen Sie endlich aus, sonst sehe ich mich gezwungen, Methoden anzuwenden, die ich im Grunde verabscheue!«
»Also gut. Er war Dienstagabend bei mir.«
»So weit waren wir bereits. Und weiter?«
»Wollen Sie vielleicht, dass ich eine detaillierte Schilderung abgebe, wie ich mit ihm…«
»Dass Sie Ihr Handwerk verstehen, sieht man Ihnen an!«, unterbrach sie der Bulle mit beißendem Spott. »Was mich dagegen interessiert, ist, wann er kam, wie lange er blieb und worüber Sie gesprochen haben. Danach .«
»Wann er kam? So gegen 22.30 Uhr.«
»Gehts vielleicht etwas genauer?«
»Leider nicht.«
»Also gut! Wann ist er wieder gegangen?«
»Relativ spät. Kann sein, dass es schon 3 Uhr war oder so.«
»Oder so!« Der Bulle gab ein verächtliches Schnauben von sich. »Donnerwetter–der gute Herr von und zu muss Sie ja ordentlich in Atem gehalten haben!«
»War ja auch kein Wunder.«
»Wieso?«
»Weil es Dienstag war.«
»Will heißen?«
»Der Tag, an dem für die normale Kundschaft Betriebsruhe ist. An dem Heydrich und Konsorten, unter anderem auch Möllendorf, unter sich waren, wenn Sie verstehen, was ich meine?«
»Folglich der Tag, an dem die Mikrofone ausgeschaltet waren?«
Wieder einmal kalt erwischt, musste sie sich etwas einfallen lassen. Dieser Bulle war nicht nur ausgebufft, sondern brandgefährlich. Einer von der Sorte, die über Leichen ging. »So zu tun, als wüssten Sie von nichts, würde jetzt einen ganz, ganz schlechten Eindruck machen!«, ließ er keinen Zweifel daran, dass er nicht lange fackeln würde. »Falls es Sie beruhigt, darf ich Ihnen mitteilen, dass die Abhöranlage drunten im Keller momentan nicht funktionstüchtig ist.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Und der Pappkamerad, der sie normalerweise bedient, ebenso.«
Keine weiteren Fragen. Natascha schlug die Augen nieder und legte die Hände in den Schoß. Gegen diesen Bullen mit dem Dreitagebart war kein Kraut gewachsen.
»Schön, dass Sie bereit sind, Vernunft anzunehmen.«
Und Gedanken lesen konnte er zu allem Überfluss auch. Natascha streifte ihre hochhackigen roten Lackschuhe ab, verpasste ihnen einen Tritt und wandte sich dem Mann zu, der sie wie kein Zweiter in die Enge getrieben hatte. Und noch weiter in die Enge treiben würde. »Fragen Sie, und Sie werden Ihre Antwort bekommen. Insofern ich eine weiß.«
»Schön, dass Sie es einrichten können! Und deshalb mache ich es auch ganz kurz. Damit Sie sich wieder den Freuden des Lebens zuwenden können.« Mit dem Wort ›geringschätzig‹ war der Blick, den ihr der Bulle zuwarf, nur unzureichend umschrieben. »Und darum, Gnädigste, nur noch eine einzige Frage–mit der Bitte um eine präzise Antwort. Worüber genau hat Möllendorf mit Ihnen gesprochen?«
»Geprahlt hat er, und nicht zu knapp. Von wegen er hätte sie alle in der Hand und so.«
»Wen genau?«
»Na, wen wohl–die ganz hohen Tiere!«
»Wie hoch?«
»Bis es höher nicht mehr geht.«
»Erpressung?«
»So was in der Art!«
»Ich verstehe.«
Natascha warf Sydow einen flüchtigen Seitenblick zu, erhob sich und sah zum Fenster hinaus. Die drückende Schwüle hatte etwas nachgelassen, und von Osten her zog eine Gewitterfront herauf. »Der Coup seines Lebens, hat er gesagt.«
»Und weiter nichts?«
»Doch.« Natascha holte tief Luft, bevor sie weitersprach. »Dass sich das Staatsgeheimnis schlechthin in seinem Besitz befände, zwecks späterer Verwendung sozusagen. In einem seiner Meinung nach todsicheren Versteck.«
»Das waren seine Worte?«
Natascha nickte.
»Und wo?«
»Keine Ahnung!«, warf Natascha achselzuckend ein.
»Wirklich nicht?«
»Wenn ichs Ihnen doch…!«, brach es aus Natascha hervor, bevor ihr die Luft wegblieb, weil sie die Mündung einer Walther PPK an der Schläfe spürte.
»Jetzt hören Sie gut zu, Gnädigste!«, verschärfte der Bulle unüberhörbar den Ton. »Entweder Sie packen aus, oder Sie werden Ihr blaues Wunder erleben. Dass Sie mir nichts vormachen können, dürften Sie ja wohl mitgekriegt haben! Also, wo hat dieser Dreckskerl die Geheimdossiers gebunkert?«
»Ich weiß es nicht, verdammt noch mal!«
»Falls Sie mit dem Gedanken spielen, auf eigene Faust zu operieren: Geben Sie sich keine Mühe!«, fuhr sie der Bulle an und hielt ihr einen Safeschlüssel vor die Nase, den er kurz darauf wieder verschwinden ließ.
»Fehlt also nur noch die Schatzkarte.«
»Du hast es erfasst, Süße!«, antwortete der Bulle, riss sie herum und drückte ihr den Lauf auf die Stirn. »Und jetzt raus mit der Sprache–deine Zeit läuft ab!«
Zu ihrem eigenen Erstaunen war Natascha völlig ruhig, und als ihr der rote Fleck knapp oberhalb der Gürtellinie auffiel, der sich langsam, aber unaufhaltsam auf seinem Hemd ausbreitete, lächelte sie, schob die Walther PPK zur Seite und bedachte Sydow mit einem triumphierenden Blick: »Falls Sie es noch nicht gemerkt haben sollten, Herr Kommissar–«, höhnte sie, »Ihre wahrscheinlich auch!«
30
Berlin-Friedrichshain, Proskauer Straße | 20.08h
Der letzte halbe Kilometer war der schlimmste. Sydow machte eine kurze Verschnaufpause, biss die Zähne zusammen und schleppte sich weiter.
Nur ein Streifschuss, hatte er anfangs gedacht. Zu Recht. Und sich nicht weiter drum gekümmert. Klinke hatte seine Hilfe nötiger gehabt. Aber er war zu spät gekommen, wie so oft.
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