»Angenehm!«, flüsterte ihm Irene von Möllendorf ins Ohr. »Und was kann ich für Sie tun?«
»Nichts!«, beteuerte der Marder, obwohl er wusste, dass das exakte Gegenteil zutraf.
»Mit… mit Verlaub, aber das kaufe ich Ihnen nicht ab.« Ein schmerzerfülltes Stöhnen entrang sich ihrer Kehle und hallte zwischen den Wänden der Zelle wider. Die Luft war stickig, roch nach Blut, Eiter und Schweiß. »Um Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch zu nehmen. Ich denke, es gibt da etwas, das Sie bestimmt interessiert.«
»Und was sollte das sein?«
»Das, wonach alle hier suchen.«
So zu tun, als wisse er von nichts, hatte jetzt keinen Zweck mehr. »Heydrichs Geheimakten?«, fragte der Marder, bemüht, möglichst ahnungslos zu klingen.
Die Andeutung eines Lächelns flog über Irene von Möllendorfs Gesicht. »Sie sagen es!«, keuchte sie.
Der Marder hörte gespannt zu. Aus Erfahrung wusste er, dass der alles entscheidende Moment gekommen war.
Und wurde nicht enttäuscht.
»Eigentlich war alles so wie immer«, begann sie. »Mit dem Unterschied, dass Alfred dieses Mal zu weit gegangen war.«
»Frauengeschichten?«
»Das auch. Wobei ich gelernt hatte, damit umzugehen. Womit ich allerdings nicht fertig geworden bin, ist, dass er sich immer wieder vor… vor Heydrichs Karren hat spannen lassen. Um es dezent auszudrücken.«
»So auch vergangenen Dienstag?«
»Genau. Leider war Alfred ein schwacher Mensch. Und das sollte ihm zum Verhängnis werden.«
»Die Mitschnitte auf Band?«
Irene von Möllendorf nickte. »Er ist blindlings in Himmlers Falle getappt. Zu denken, er könne ihm das Wasser reichen–einfach lächerlich! Wie dem auch sei. Am Mittwochmorgen, kurz vor Dienstbeginn, gerieten wir in Streit. So heftig wie nie zuvor. Es war wieder einmal sehr spät geworden–aber Schwamm drüber! Daran, wie gesagt, hatte ich mich ja… hatte ich mich bis zu einem gewissen Grad gewöhnt.«
»Und dann?«
»Dann ist er damit herausgerückt. Heydrichs Geheimunterlagen zu vernichten, weil der Herr Obergruppenführer um das Wohl seiner Familie besorgt ist–welch ein Wahnsinn.«
»Fast so wahnsinnig, wie sie verschwinden zu lassen und zu gegebener Zeit Kapital daraus zu schlagen.«
»Sprechen Sie es ruhig aus: um die gesamte Führung damit zu erpressen.«
»Und wen genau?«
»Alle. Angefangen bei Ribbentrop, bis hin zu Goebbels, Göring, Himmler und… und…«
»Den Führer?«
Kein Kommentar. Aber auch so war Irene von Möllendorfs Schweigen aussagekräftig genug. Der Marder räusperte sich. Die Sache stand auf des Messers Schneide. »Und wo…«, tat er sich mit seiner Frage ungemein schwer, »und wo hat er die Geheimunterlagen verschwinden lassen?«
»Auf dem Anhalter Bahnhof. Bevor… bevor er zu seinem allwöchentlichen Bordellbesuch aufbrach.« Die Frau befreite sich aus seinen Armen und lehnte sich an die Rückwand der Zelle. Sie war bleich wie der Tod und wohl auch nicht mehr allzu weit davon entfernt.
»Und wo genau?«
»Das weiß ich nicht.«
Die Züge des Marders verhärteten sich. »Keine Andeutung, kein Hinweis, kein Indiz?«
»Nicht, dass ich wüsste. Es sei denn…« Kaum noch imstande, sich aufrecht zu halten, kehrte plötzlich Leben in das von Schwellungen, Blutergüssen und Schürfwunden entstellte Gesicht zurück.
»Es sei denn, was?«
»Es sei denn, es hat etwas mit der Erinnerungsplakette zu tun. Die mit dem Eichenlaub und der kaiserlichen Flagge darauf.«
»Welche Erinnerungsplakette?«
»Kurz bevor wir miteinander in Streit geraten sind, habe ich… habe ich Alfred dabei überrascht, wie… wie er…« Die Stimme der Frau geriet ins Stocken und verstummte dann ganz. Die Augen weit aufgerissen, starrte sie ins Leere.
»Der Schlüssel!«, stieß der Marder dank einer plötzlichen Eingebung hervor. »Wo hat er den Schlüssel zu seinem Versteck verschwinden lassen?« Dass es sich dabei um ein Gepäckfach handelte, lag fast auf der Hand.
»Die Erinnerungsplakette!«, presste die Frau mit letzter Kraft hervor.
Der Marder dachte fieberhaft nach. Wo zum Teufel hatte er während des Verhörs heute Morgen eine Plakette hängen sehen?
Dann, wider Erwarten, fiel es ihm doch noch ein. »Die neben dem Bild, das ihn zusammen mit seinem Offiziersjahrgang zeigt?«, fragte er, aufs Äußerste erregt.
Doch die Antwort auf seine Frage blieb aus. Kaum war sie verklungen, als sich Irene von Möllendorf aufbäumte, zur Seite kippte und leise wimmernd in der Schwärze der Ohnmacht versank.
Eine Ohnmacht, aus der sie nie mehr erwachen sollte.
24
Schlesischer Bahnhof | 15.55h
»Nerven hast du ja, Tom, das muss dir der Neid lassen!«, fiel die Reaktion auf Sydows Anruf alles andere als positiv aus. Aber mit etwas anderem hatte er auch nicht gerechnet. Diesbezüglich war er Realist genug.
»Wieso?«
»Na, du machst mir vielleicht Spaß! Tust so, als seist du über beide Ohren verknallt, spielst den Rosenkavalier, sülzt mir die Ohren voll–und lässt dich über ein halbes Jahr nicht mehr blicken! Nicht genug damit, kriege ich anschließend raus, dass du stolzer Besitzer eines Harems bist! Wie heißt denn des Paschas neue Favoritin, wenn man fragen darf? Oder ist sie vielleicht sogar verheiratet?«
»Jetzt komm schon, Veronika, hab dich nicht so.«
»Heißt das etwa, du willst…«
»Mit dir reden, ganz recht!«, konnte Sydow den Kopf gerade noch aus der Schlinge ziehen. Ärger hatte er weiß Gott schon genug am Hals.
»Soso, auf einmal!«, hatte die Empörung seiner Gesprächspartnerin den Zenit glücklicherweise überschritten. »Und wieso?«
»Veronika–der Lenz ist da!«
»Deine Witze werden auch immer schlechter.«
»Einfach so. Der alten Zeiten wegen!«, ergänzte Sydow nervös. Der wild gestikulierende Mann vor der Telefonzelle, in der er sich gerade befand, trug ebenfalls nicht zu seiner Beruhigung bei.
»Das kannst du deiner Großmutter erzählen. Komm schon, Tom. Machen wir uns nichts vor. Du steckst in der Klemme, stimmts?«
Ohne den Mann zu beachten, wandte sich Sydow ab, fingerte in der Jackentasche herum und dämpfte den Ton. »Vorsichtig ausgedrückt.«
»Schulden?«
»Blödsinn. So gut solltest du mich wenigstens kennen.«
»Frauengeschichten?«
»Jetzt hör mir gut zu, Veronika, wenn du denkst, ich rufe einfach so zum Spaß bei dir an, dann…«
»Wie bitte? Nicht zum Spaß?«, fiel ihm die Frau am Telefon mit unüberhörbarer Ironie ins Wort. »Ja, wenn das so ist, musst du ja bis zum Hals…«
»... in der Scheiße stecken!«, platzte Sydow fast der Kragen. »Du hast es erfasst, mein Schatz!«
Endlich. Sein Dienstausweis. Mal sehen, ob die Nummer wirken würde.
»Und jetzt kannst du mich mal!« Sie tat es. Kaum klebte der Ausweis hinter der Scheibe, schrumpfte der Choleriker mit den Segelohren auf Normalgröße und trat den Rückzug an.
»Was hast du da eben gesagt?«
»Natürlich nicht du, Zuckerpüppchen, wo denkst du hin!«
»Sydow, Sydow, wenn du so weitermachst, nimmt es ein böses Ende mit dir.«
»Du weißt gar nicht, wie recht du damit hast.« Sydow sah sich hastig um. Obwohl die Bahnsteighalle fast leer war, wurde er sein ungutes Gefühl nicht los. »Also, was ist? Lust auf ein kleines Stelldichein?«
»Unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Dass du zur Abwechslung mit offenen Karten spielst, Tom.«
»Also gut. Arbeitest du immer noch in der Telefonzentrale?«
»Bei Heydrich und Co.? Na klar.« Kaum waren die Worte verhallt, kehrte Totenstille ein. Sydow wollte schon aufhängen, als er erneut die Stimme seiner Gesprächspartnerin vernahm. »Moment mal–«, sagte sie in deutlich verändertem Ton, »willst du etwa damit sagen, du hast irgendetwas mit…«
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