Marina setzte sich auf die Bank. Zwei sehr junge Kellner in weißen Jäckchen eilten mit Tellern und Besteck und Servietten herbei. Sie bauten die Gläser auf. Rückten alles zurecht. Marina schaute Gregory zu, wie er sich wieder an seinen Platz auf der Bank schob. Der maitre d’ kam und schnalzte mit der Serviette. Marina ließ alles geschehen. Aufmerksam. Sie nahm die Speisekarte nicht. Sie nähme nur einen Salat. Mit shrimp. Ob man ihr das machen könne. Der maitre d’ beugte zustimmend seinen Kopf. Ob Madam ihren Salat mit der Hauptspeise nähme oder mit der Vorspeise.»Pigging out?«, fragte Marina Gregory. Gregory zuckte mit den Achseln. Wenn er nun schon hier wäre. What would be the point to sit in the» Savoy Grill «and not eat anything. Der maitre d’ stand abwartend da. Marina schüttelte unwillig den Kopf. Das sei ja ganz gleichgültig. Mit der Hauptspeise. Bei Amalia könnte sie es ja verstehen, sagte sie dann. Die wachse ja wahrscheinlich noch. So groß, wie Amalia wirke.
«I hope not. «sagte sie. Es war wie immer. Marina musste etwas über ihr Aussehen sagen. Über ihren Körper. Sie machte Marina wütend. So, wie sie aussah. Sie war nun schon die zweite Generation, der der Vater unbekannt war und von der man nicht wusste, woher das Aussehen kam. Ohne Vergleiche gab es nur Überraschungen. Ihre Großmutter hatte schon nicht erzählt, wer der Vater ihrer Mutter gewesen war. Ihre Mutter hatte nicht die geringste Ahnung, wer ihr Vater gewesen sein hätte können. Marina war klein. Kleinwüchsig. Winzig. Sie war groß. Großgewachsen. Sehr groß. Sehr schlank. Marina hätte sich das für ihre Tochter gewünscht. Von der war der Vater zwar bekannt. Er war aber mit der mittleren Erbschaft von Marina längst über alle Berge. Die erste hatte sie noch vor ihm fest angelegt gehabt. Marinas Tochter Selina kannte den Namen ihres Vaters. Getroffen hatte sie ihn auch nie. Jedenfalls nicht als halbwegs erwachsene Person. Aber es gab Fotografien. Wenigstens. Und man konnte sagen, woher die großen Ohren kamen.
Marina starrte sie an. Sie schaute Gregory an. Gregory beobachtete Marina. Was war zwischen diesen beiden. Gregory lehnte sich zurück. Er habe nicht erwartet, dass Marina kommen würde, murmelte er. Sonst hätte er natürlich gewartet. Naturally. Marina reagierte nicht. Sie wolle mit Amalia reden. Sie müsse mit Amalia reden. Ob Amalia sich im Klaren sei, was sie da anrichte. Mit ihrer Weigerung. Ob ihr klar wäre, was das für ein Kunstwerk darstelle. So eine Restitutionsvereinbarung mit dem österreichischen Staat. Sie habe gute Lust und gäbe ihr ein paar Ohrfeigen. Slaps. She could slap Amalia. Gregory solle ihr Wein einschenken. Sie bräuchte jetzt ein Glas Wein. Zur Beruhigung. Wenn sie sich nicht beruhigte. Es konnte passieren, dass sie Amalia schlagen müsste. Silly stupid unreliable Amalia. Die perfekte Tochter dieser zwei Schlampen in Wien. Sluts. Verwandte. Relations. Die dümmste Erfindung überhaupt. Marina trank das Glas in einem Zug aus. Beim Abstellen des Glases war es zu sehen. Das Wutzittern.
Sie solle sich beruhigen. Amy sei ja jetzt da. Sie könne alles besprechen. Aber in Ruhe. Gregory beugte sich über den Tisch und zischte Marina an. Marina sah sich um. Diese paar Leute, sagte sie laut. Wenn das alle seien, die der» Savoy Grill«überreden konnte, ihren lunch hier zu nehmen, dann würde Gordon Ramsay noch einen Konkurs zu seinen bisherigen hinzufügen können. Gregroy verdrehte die Augen. Marina sah das. Sie fuhr auf ihn los. Wie es komme, dass Fiona nicht mit hiersäße. Ob er immer lunches mit Frauen nähme, die seine Töchter sein könnten. Gregory schaute Marina amüsiert an. Er habe Amy für sie hierhergeholt. Sie. Marina habe verlangt, er mache einen Termin mit Amy in London. Damit Marina nicht nach Nottingham fahren müsse. So eilig könne es mit der Sache mit den Wiener Bildern nicht sein, wenn es Marina nicht der Mühe wert war, Amy in Nottingham aufzusuchen. Sie habe zu jedem Zeitpunkt gewusst, wo Amy sich aufgehalten hatte. Er habe nicht gesehen, dass Marina sich beeilt hätte, Amy zu finden.
Sie stand auf. Ging um das Beistelltischchen zum Weinkühler. Sie hob die Flasche heraus. Hielt die Flasche in die Serviette gewickelt. Wer noch Wein brauche. Sie dringend. Sie schaute die beiden an. Der alte Kellner kam eilig an den Tisch. Er nahm ihr die Flasche aus der Hand und schenkte allen nach. Sie setzte sich wieder.
Die Vorspeisen kamen. Die Kellner stellten die Speisen auf die Platzteller. Gleichzeitig. Sie hoben die hochgewölbten Deckel in die Höhe. Gleichzeitig.»King crab and prawn cocktail«, sagte der maitre d’ und wandte sich ab. Die Kellner gingen hinter ihm her. Eine kleine Prozession. Gregory seufzte und beugte sich über seinen Teller. Sie begannen zu essen. Marina trank Wein. Sie nippte immer wieder. Dazwischen drehte sie das Weinglas.
Sie habe große Probleme gehabt, Amalia zu verstehen. Sie hätte mehrere Wochen ihrer Therapie auf Amalia und ihre Probleme verschwenden müssen. Ihr Therapeut habe ihr wieder klargemacht, dass es sich um ein Muster in ihrer Familiensituation handle. Frauen in ihrer Familie. Kein Mann konnte den ungeheuerlichen Ruf und Ruhm ihres Stammvaters erreichen. Trotzdem würde aber jeder Mann an diesem Übermenschen gemessen werden. Er wäre ja schließlich schon ihr Großvater gewesen. Deswegen hatte sie gedacht, dass das nur für sie gelten würde. Dass das alles aber Amalia nicht mehr betraf. Das wäre alles 100 Jahre zurück und Amalia die Ururenkelin. Sie hätte gedacht, dass das alles längst nicht mehr gültig sein könnte. Sie sei aber nun überzeugt worden, dass solche Familiengeschichten. Dass die eine ewige Wirkung ausüben könnten. Sie verstünde also Amalias Weigerung, sich in die Erbengemeinschaft einzuordnen, als eine Form der Flucht vor dieser Familiengeschichte. Sie appelliere aber an Amalia, gerade aufgrund dieser Familiengeschichte zu unterschreiben. Nur zu unterschreiben. Einen Erbverzicht. Ihren Eintritt in die Erbengemeinschaft. Sie könne ja mit dem Geld machen, was sie wolle. Sie müsse es nicht behalten. Andere könnten nicht so einfach auf dieses Geld verzichten.
Gregory verzog den Mund. Er rümpfte wieder die Nase. Sie aß von der Vorspeise. Es schmeckte süßlich und scharf. Der Hummer in großen Stücken. Die Cocktailsauce samtig. Chili am Grund. Sie hörte zu. Marina machte eine Pause und winkte nach dem Kellner. Sie waren in der Ecke allein. Die restlichen Gäste saßen am anderen Ende. Marina trug ein olivfarbenes Mantelkleid von Dior. Mit gelbem Gürtel. Aus der Militaryserie. Die Knöpfe den Ausschnitt entlang bis zu den Schultern. Sie trug keine Strümpfe unter dem sehr kurzen Rock und die höchsten Absätze, die zu finden waren. Ihre Haare waren zu einer Siebziger-Jahre-Frisur toupiert. Aschblond. Hoch um den Kopf und die Deckhaare glatt ausfrisiert. Marina war sicherlich beim Friseur gewesen. Gerade. Das letzte Mal hatte sie dunkelbraune Haare gehabt. Das helle Blond aber besser. Marina drehte sich herum und schlug zwei Gläser gegeneinander.
«What exactly is the relationship between you two?«, fragte sie. Schaute Gregory und Marina an. Abwechselnd. Fragend. Marina stellte die Gläser zurück. Der alte Kellner kam. Langsam. Es kam ihnen schon niemand mehr in die Nähe, dachte sie und lächelte den alten Mann wieder an. Der schenkte ein. Die Flasche war dann leer. Gregory deutete ihm, eine zweite Flasche zu bringen.
Das sei doch ganz unwichtig, sagte Marina. Jetzt ginge es um diese Angelegenheit. Sie und Gregory hätten gleiche Interessen gehabt. Sie sei nicht so sicher, ob das noch der Fall sei. Sie schaute Gregory wütend an.
Ob das mit den Fusionen zu tun habe, fragte sie. Marina wandte sich ihr scharf zu. Gregory schob seinen Teller weg. Ob man das so besprochen habe. In Nottingham, fragte er. Ob sie da etwas gehört hätte. Er müsse das wissen. Er sprach scharf. Er zischte. Er solle sich da jetzt nicht wichtigmachen. Es ginge um eine Familienangelegenheit. Sie habe gedacht, er sei auf ihrer Seite. Marina war rot im Gesicht geworden.
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