«Soll noch einer sagen, wir wären kein bunter Haufen hier. Also: Der Umkleideraum, falls ihr ihn braucht?«
Karin schüttelt den Kopf.
«Ich würde gerne so bleiben. «Kerstin hat ein merkwürdiges Bedürfnis zu sprechen, so als würde ihr das Halt geben auf dem schwankenden Grund, über den sie geht.
Zum ersten Mal liegt etwas anderes als die Freundlichkeit der Hausherrin in Gabis Blick, als sie sagt:
«Das sieht sehr schön aus. «Das unsichtbare Ausstrecken einer Hand? Die Andeutung eines Du würdest aber auch sehr schön aussehen ohne … ? Kein doppelter Boden, nur Liegeflächen und ein bisschen Spielzeug . Nur ein bisschen Nichts muss, aber wo wir schon mal hier sind … Die Schwerkraft ist sowieso stärker als wir, dafür muss man nicht Einstein sein, das versteht auch Gabi Müller. Die hebt sogleich die Hände für den wichtigen Teil:»Dort hinten gibt es auch eine Damentoilette, die größer ist als die andere in der Bar. Also zum Schminken. «Sie lässt ihren Blick zwischen ihren Gästen hin und her gehen und scheint sich ein bisschen an Karins Lächeln aufzuwärmen, bevor sie wieder Kerstins Skepsis begegnet.
«Übrigens hab ich vergessen, euch Masken anzubieten. So ganz kleine, nur für die Augen. Manche Gäste wollen das gerne, aber heute sind bislang alle unmaskiert. Also?«
«Nein danke.«
«Ein andermal vielleicht«, sagt Karin.
«Ist auch schwierig mit Make-up. «Gabi nickt ein weiteres Mal in ihrer beider Richtung.»Schön, dann schlage ich vor, wir gehen mal in den Club.«
Kerstin lässt die beiden anderen vorgehen und fühlt den Wunsch, sich für irgendwas zu entschuldigen, sich zu einer Verfehlung zu bekennen, am besten bei ihrer Mutter, die in einem kahlen Krankenzimmer liegt, während sie … Aber dann streift der Vorhang über ihre Wangen, und als er sich hinter ihr schließt, glaubt sie einen Moment lang gar nichts zu sehen oder zu hören. Oasenartige Ruhe hüllt sie ein. Sie spürt ihren Herzschlag und erkennt Joe Cockers kaputte Stimme, tief und fern, aber kein Pfeifen erreicht ihr Ohr, kein Da sind ja die Süßen, oder was sie sonst erwartet hat. Diskret und für sich, wie Statisten im Theater, verteilen sich die anderen Gäste im Raum. Kleine Sitzgruppen und eine Bar. Der erste Blick, den sie auf sich spürt, kommt von dem Mann hinter der Theke, einem vollbärtigen Hünen mit offener Lederweste über der behaarten Brust. Mitten im Raum produziert ein kleiner Brunnen leises, gleichmäßiges Plätschern. Eine Art Schock der Erleichterung legt sich über ihre Sinne, vor denen das Bohème nur langsam Gestalt annimmt: größer als erwartet, mit warmem Licht und hohen Pflanzen. Spiegeln anstelle von Fenstern. Gabis Hand an ihrem Ellbogen führt sie die letzten Schritte zur Theke. Eigentlich sind es zwei Räume, denn hinter dem Brunnen, zwischen zwei großen Yucca-Palmen, öffnet sich ein Durchgang ins Dunkle, dort schimmert Kerzenlicht auf schwarzen Sitzgarnituren. Die Theke hat Hufeisenform, aber wer an der gegenüberliegenden Seite sitzt, kann sie nicht erkennen, denn der Hüne stützt sich mit ausgebreiteten Armen auf die Ablage und wird von Gabi vorgestellt:
«Das ist Gerd, mein Mann, das sind Kerstin und Karin, ich bin die Gabi und schlage vor, du machst uns drei Kir Royal.«
«Joh. «Gerd hat die Stimme, nach der sein Aussehen verlangt. Man kann ihn sich gut vorstellen, wie er nach dem letzten Hieb mit der Axt einem Baum beim Fallen zusieht. Unterarme von der Stärke einer Frauenwade. Die Frage, ob er zu späterer Stunde in den hinteren Räumen des Bohème mitmischt, schiebt Kerstin mit einem Lächeln von sich.
«Hallo.«
«Meine Frau trinkt ja sonst nur Eierlikör«, sagt Gerd. Während er drei Sektgläser vom Regal über der Theke nimmt und sie prüfend gegen das Licht hält, setzt Kerstin sich auf einen der hohen Hocker. Der kurze Gang von der Tür bis zur Bar ist ihr wie ein Hochseilakt vorgekommen, und sie ist froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Fehlt nur noch ein Glas, um ihre Hände zu beschäftigen. Immer noch tippt ihr ein unsichtbarer Finger gegen die Herzgegend.
«Ich trinke manchmal Eierlikör«, sagt Gabi mehr zu sich selbst.
Ein Spottbedürfnis wagt sich aus dem Schneckenhaus von Kerstins Nervosität hervor. Je weniger unwohl sie sich fühlt in dieser heimeligen Harmlosigkeit, desto stärker verlangt ihr Stolz nach Abgrenzung: Haare wachsen in der Gegend von Gerds Steißbein, und er würde gut daran tun, seine Jeans mit einem Gürtel in Stellung zu halten. Karin und Gabi sind beide dieser dralle Frauentyp, den man gerne im Dirndl sieht: Keine Taille, dafür viel Brust. Und einen Moment lang glaubt sie gar nicht, dass es noch andere Räume gibt in diesem Club, dass man von der Bar aus nur ein paar Schritte machen muss, um sich zu zweit, zu fünft oder zu zehnt auf ein Matratzenlager zu werfen. Sie hört auch nichts, das auf derartige Aktivitäten hindeutet.
Karin bewundert das metallene Armband an Gabis Oberarm, fährt mit der Fingerspitze dessen Wellen-, Flammen- oder Schlangenform entlang und bekommt auf die Frage, wo man so was bekomme, zur Antwort:
«Auf Bali.«
«Oder bei Obi«, brummt der Bär hinter der Bar.
Kerstin fühlt sich sicher genug, um den Blick ein wenig durch die thekenfernen Gefilde des Bohème schweifen zu lassen. Trotz der warmen Farben atmet der Raum etwas von der Sterilität einer Saft-Bar in einem Sonnenstudio. Die Pflanzen spenden ein eher lebloses Grün, und die kleinen Sitzgruppen entpuppen sich als Gartenmöbel aus Kunststoff. Bis jetzt sieht sie überall nur Paare, die entweder so gekommen sind oder sich schon gefunden haben. Ein jüngeres Paar an einem der Gartentische scheint sich bereits zu langweilen. Sie in knielangen Leggins und bauchfreiem Top, mit gepierctem Nabel und sehr blondem Haar. Er mit freiem Oberkörper, trainiert, gebräunt, rasiert und geölt, jedenfalls sieht es im Dämmerlicht so aus. Anfang dreißig, schätzt Kerstin, und ihren Mienen nach nicht zufrieden mit dem Angebot im Bohème . Zwischen ihren Cocktailgläsern liegt ein Handy, auf dessen Display beide ab und an ungeduldige Blicke werfen.
Am Tisch daneben trägt ein Mann mit fliehendem Haaransatz sein Hawaiihemd offen, hält die Hand einer fülligen Frau im kurzen seidenen Morgenmantel, küsst ihre Fingerkuppen und flüstert zwischendurch Dinge, die seiner Partnerin ein kehliges, an Anita erinnerndes Lachen entlocken.
Viktorias Adlernase sieht sie nicht, vermutet sie aber in dem nicht einsehbaren Bereich hinter den Yucca-Palmen.
«So, drei Mal süß und spritzig für die Damen. «Gerd stellt die Gläser auf die Theke und nimmt wieder seine Stellung von vorher ein: breitarmig, eine Hand auf den Bierhahn, die andere auf die Ablage neben der Spüle gestützt. Eine Goldkette um seinen Hals reicht bis in das dichte Schwarz der Brustbehaarung. Der Kir Royal schmeckt so, wie er gesagt hat: süß und spritzig, nach Johannisbeere und etwas zu warmem Champagner. Sie hätte gerne was Stärkeres gehabt. Mit ein bisschen mehr Alkohol würde es ihr vielleicht gelingen, sich wohl zu fühlen an diesem merkwürdigen Ort, jedenfalls solange die solide Holzkonstruktion der Theke ihr das Gefühl gibt, jederzeit in Deckung gehen zu können.
«Ihr zwei kennt euch schon richtig lange, oder? Merkt man sofort. «Gabi steht zwischen Karins und Kerstins Barhocker und hält ihr Glas in beiden Händen.
«Wir sind Nachbarn«, sagt Karin.
«Schon seit einigen Jahren.«
Nach Freundschaft fürs Leben klingt das nicht, aber Gabi nickt und nimmt es als Bestätigung.
«Wir müssen ja immer drauf achten, dass der Herrenüberschuss nicht zu groß wird. Bei den Mitgliedern haben wir schon einen Aufnahmestopp für Single-Männer verhängt, sonst bleiben uns mittwochs die Stammgäste weg.«
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