»Ich komme eben von dort. Nicht zu fassen.«
»Wer hätte das gedacht. Die waren mir ja nicht gerade sympathisch, aber dann gleich so was… Sagen Sie, in rechtlicher Hinsicht, wie ist das nun für Sie? Entschuldigen Sie, dass ich so unverblümt frage.«
»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Ich glaube, die beiden Teilhaber hatten die Trägerschaft der Gesellschaft inne. Vermutlich gibt es irgendwelche Erben, aber möglicherweise löst sich die Gesellschaft als solche auf, wenn beide sterben sollten. Und damit auch meine Vertragsbindung. Das nehme ich jedenfalls an.«
»Das heißt, wenn Escobillas, Gott möge mir verzeihen, ebenfalls abkratzt, sind Sie ein freier Mann.«
Ich bejahte.
»Das ist ja vielleicht ein Dilemma…«, murmelte Sempere.
»Es kommt, wie es kommen muss.«
Er nickte, aber ich merkte, dass ihn bei alledem etwas beunruhigte und er das Thema wechseln wollte.
»Na ja. Jedenfalls kommen Sie wie gerufen — ich wollte Sie nämlich um einen Gefallen bitten.«
»Stets zu Diensten.«
»Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass es Ihnen nicht passen wird.«
»Wenn es mir passen würde, wäre es kein Gefallen, sondern ein Vergnügen. Und wenn es ein Gefallen für Sie ist, wird es auch ein Vergnügen sein.«
»Es geht nicht direkt um mich. Ich erzähle es Ihnen, und dann entscheiden Sie. Ohne jede Verpflichtung, einverstanden?«
Sempere stützte sich auf den Ladentisch und setzte seine Erzählermiene auf, die so viele Kindheitserinnerungen in mir wieder aufleben ließ.
»Es geht um ein junges Mädchen, Isabella. Sie dürfte etwa siebzehn sein. Sehr aufgeweckt. Sie kommt dauernd vorbei, und ich leihe ihr Bücher aus. Sie sagt, sie wolle Schriftstellerin werden.«
»Kommt mir bekannt vor«, sagte ich.
»Jedenfalls hat sie mir vor einer Woche eine ihrer Erzählungen gegeben, nichts Umfangreiches, zwanzig oder dreißig Seiten, und mich um meine Meinung gebeten.«
»Und?«
Sempere senkte die Stimme, als sei die Angelegenheit so vertraulich wie ein Ermittlungsgeheimnis.
»Meisterlich. Besser als neunundneunzig Prozent von allem, was in den letzten zwanzig Jahren veröffentlicht wurde.«
»Ich hoffe, Sie zählen mich zum verbleibenden Prozent, sonst betrachte ich meine Eitelkeit als mit Füßen getreten und hinterhältig gemeuchelt.«
»Darauf wollte ich hinaus. Isabella betet Sie an.«
»Betet mich an? Mich?«
»Ja, als wären Sie die schwarze Madonna von Montserrat und das Jesuskind in einem. Sie hat Die Stadt der Verdammten zehnmal von Anfang bis Ende gelesen, und nachdem ich ihr Die Schritte des Himmels gegeben hatte, sagte sie, wenn sie ein solches Buch zustande brächte, könnte sie dem Tod beruhigt entgegensehen.«
»Das klingt nach einer Falle.«
»Ich wusste ja, dass Sie sich mir entwinden würden.«
»Ich entwinde mich nicht. Sie haben mir noch nicht gesagt, worin der Gefallen besteht.«
»Das können Sie sich doch vorstellen.«
Ich seufzte. Sempere schnalzte mit der Zunge.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, es werde Ihnen nicht passen.«
»Dann bitten Sie mich um etwas anderes.«
»Sie sollen nur mit ihr sprechen. Sie ermutigen, ihr Ratschläge geben… Sie anhören, etwas von ihr lesen und sie einweisen. Das wird Ihnen doch nicht so schwerfallen. Das Mädchen ist blitzgescheit. Sie wird Ihnen außerordentlich gefallen, Sie werden Freunde werden. Und sie kann als Ihre Assistentin arbeiten.«
»Ich brauche keine Assistentin. Und schon gar keine, die ich nicht kenne.«
»Dummes Zeug. Und überhaupt — Sie kennen sie bereits. Das sagt sie wenigstens. Sie sagt, sie kenne Sie seit Jahren, aber Sie würden sich sicherlich nicht an sie erinnern. Anscheinend sind ihre Einfaltspinsel von Eltern überzeugt, dass ihre literarischen Ambitionen sie entweder in die Hölle bringen oder als alte Jungfer enden lassen, und wollen sie deshalb ins Kloster stecken oder mit irgendeinem Schwachsinnigen vermählen, damit er ihr acht Kinder macht und sie dann auf ewig unter Pfannen und Töpfen begräbt. Wenn Sie sie nicht retten, grenzt das an Mord.«
»Dramatisieren Sie die Sache nicht, Señor Sempere.«
»Schauen Sie, ich würde Sie nicht darum bitten — ich weiß ja, dass Selbstlosigkeit zu Ihnen etwa so passt wie Sardanas tanzen, aber immer wenn ich sie hereinkommen und mich mit diesen Äuglein anschauen sehe, die ihr vor Intelligenz und Unternehmungslust fast aus dem Kopf purzeln, und dann an die Zukunft denke, die sie erwartet, zerreißt es mir das Herz. Was ich ihr beibringen kann, habe ich ihr bereits beigebracht. Das Mädel lernt rasch, Martín. Wenn sie mich an etwas erinnert, dann an Sie als jungen Burschen.«
Ich seufzte abermals.
»Isabella und wie noch?«
»Gispert. Isabella Gispert.«
»Kenne ich nicht. Diesen Namen habe ich im Leben nicht gehört. Man hat Ihnen einen Bären aufgebunden.«
Der Buchhändler schüttelte den Kopf.
»Isabella wusste, dass Sie genau das sagen würden.«
»Talentiert und Hellseherin. Und was hat sie sonst noch gesagt?«
»Dass Sie vermutlich ein sehr viel besserer Schriftsteller als Mensch seien.«
»Ein richtiges Schätzchen, diese Isabella.«
»Kann ich ihr sagen, sie dürfe Sie aufsuchen? Ohne jede Verpflichtung?«
Ich gab mich geschlagen und willigte ein. Sempere lächelte triumphierend und wollte den Pakt mit einer Umarmung besiegeln, aber ich ergriff die Flucht, ehe der alte Buchhändler mir das Gefühl geben konnte, ich sei ein guter Mensch.
»Sie werden es nicht bereuen, Martín«, hörte ich ihn sagen, als ich schon zur Tür hinausging.
Als ich vor meinem Haus eintraf, saß Inspektor Víctor Grandes auf der Stufe zum Eingang und paffte seelenruhig eine Zigarette. Bei meinem Anblick lächelte er sein charmantes Lächeln, als wäre er ein alter Freund, der mir überraschend einen Besuch abstattete. Ich setzte mich neben ihn, und er hielt mir das offene Zigarettenetui hin. Gitanes, stellte ich fest. Ich nahm eine. »Und Hansel und Gretel?«
»Marcus und Castelo hatten keine Zeit. Wir haben einen anonymen Wink bekommen, und sie haben sich einen alten Bekannten aus dem Pueblo Nuevo geschnappt, dessen Gedächtnis wahrscheinlich ein wenig aufgefrischt werden muss.«
»Armer Teufel.«
»Wenn ich ihnen gesagt hätte, dass ich Sie aufsuche, wären sie sicher mitgekommen. Sie waren ihnen außerordentlich sympathisch.«
»Ja, Liebe auf den ersten Blick, ich hab es schon bemerkt. Was kann ich für Sie tun, Inspektor? Darf ich Sie oben zu einem Kaffee einladen?«
»Ich würde es nicht wagen, in Ihre Privatsphäre einzudringen, Señor Martín. Ich wollte Ihnen die Nachricht einfach persönlich überbringen, bevor Sie auf anderem Weg davon erfahren.«
»Welche Nachricht?«
»Escobillas ist heute am frühen Nachmittag im Hospital gestorben.«
»Mein Gott. Das wusste ich nicht.«
Grandes zuckte die Schultern und rauchte schweigend weiter. Dann sagte er:
»Es war ja abzusehen. Da kann man nichts machen.«
»Haben Sie etwas über die Brandursache ermitteln können?«, fragte ich.
Er schaute mich lange an und nickte dann.
»Alles scheint darauf hinzudeuten, dass jemand Señor Barrido mit Benzin übergossen und dann angezündet hat. Die Flammen haben sich ausgebreitet, als er in Panik aus seinem Büro zu entkommen versuchte. Sein Partner und der Angestellte, die ihm zu Hilfe eilten, sind dabei ebenfalls von den Flammen erfasst worden.«
Ich biss mir auf die Lippen. Grandes lächelte beruhigend.
»Der Anwalt der Verleger hat mir heute Nachmittag gesagt, aufgrund der in Ihrem Vertrag mit den beiden festgehaltenen persönlichen Bindung zu ihnen gelte dieser beim Ableben der Verleger als aufgelöst, aber die Erben behalten die Rechte an den bereits publizierten Werken. Vermutlich wird er Ihnen das in einem Brief mitteilen, aber ich dachte, Sie möchten es vielleicht schon vorher wissen, falls Sie bezüglich des Angebots des von Ihnen erwähnten Verlegers eine Entscheidung zu treffen haben.«
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