Marcos und Castelo schauten mich an, als hätten sie nichts als Lügen von mir gehört.
»Könnten Sie mir zum Schluss noch schildern, worum es in diesem Gespräch ging, das Sie gestern Abend mit diesem Verleger unbestimmter Nationalität führten?«
»Señor Corelli hatte mich zu sich bestellt, um mir ein Angebot zu unterbreiten.«
»Ein Angebot welcher Natur?«
»Beruflicher Natur.«
»Aha. Ein Buch zu schreiben vielleicht?«
»Genau.«
»Sagen Sie, ist es üblich, dass man nach einer geschäftlichen Besprechung beim, nun, beim Vertragspartner zuhause übernachtet?«
»Nein.«
»Aber Sie sagen mir, Sie hätten die Nacht bei diesem Verleger zuhause verbracht.«
»Ich bin dortgeblieben, weil ich mich nicht wohlfühlte und mir den Heimweg nicht zutraute.«
»Ist Ihnen vielleicht das Essen schlecht bekommen?«
»Ich hatte in letzter Zeit gesundheitliche Probleme.«
Grandes setzte eine bestürzte Miene auf und nickte.
»Schwindelanfälle, Kopfschmerzen«, ergänzte ich.
»Aber ich gehe recht in der Annahme, dass Sie sich mittlerweile besser fühlen?«
»Ja. Viel besser.«
»Freut mich. Jedenfalls sehen Sie beneidenswert aus. Ist es nicht so?«
Castelo und Marcus nickten bedächtig.
»Man könnte fast meinen, Ihnen sei ein großer Stein vom Herzen gefallen«, bemerkte der Inspektor.
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Ich meine die Schwindelanfälle und Beschwerden.«
Es war zum Verzweifeln, wie sehr Grandes bei dieser Farce das Tempo vorgab.
»Entschuldigen Sie meine Ignoranz hinsichtlich der Details Ihrer beruflichen Tätigkeit, Señor Martín, aber ist es nicht so, dass Sie mit den beiden Verlegern einen Vertrag unterschrieben hatten, der erst in sechs Jahren ausläuft?«
»In fünf.«
»Und hat Sie dieser Vertrag nicht sozusagen exklusiv an den Verlag von Barrido und Escobillas gebunden?«
»So lauteten die Bestimmungen.«
»Warum sollten Sie dann mit einem Konkurrenten ein Angebot besprechen, wenn Ihnen Ihr Vertrag verbietet, es anzunehmen?«
»Es war nur ein Gespräch. Nichts weiter.«
»Das aber in einen Abend bei diesem Herrn zuhause gemündet ist.«
»Mein Vertrag verbietet mir nicht, mit Drittpersonen zu sprechen. Oder die Nacht außer Haus zu verbringen. Es steht mir frei, zu übernachten, wo ich will, und zu sprechen, mit wem ich will und worüber ich will.«
»Natürlich. Ich wollte auch nichts anderes andeuten, aber danke, dass Sie diesen Punkt geklärt haben.«
»Kann ich sonst noch etwas klären?«
»Nur eine Kleinigkeit. Sollte der Verlag nach dem Tod von Señor Barrido und, falls er sich nicht erholt — aber da sei Gott vor —, dem von Señor Escobillas aufgelöst werden, so würde dasselbe auch mit Ihrem Vertrag passieren. Oder täusche ich mich?«
»Ich bin nicht sicher. Ich weiß nicht genau, nach welchem Modell der Verlag gegründet wurde.«
»Aber wahrscheinlich wäre es so?«
»Möglicherweise. Das müssten Sie den Anwalt der Verleger fragen.«
»Das habe ich bereits getan. Und er hat mir bestätigt, dass es so wäre — sollte eintreten, was wir uns alle nicht wünschen, und Señor Escobillas das Zeitliche segnen.«
»Dann haben Sie ja Ihre Antwort.«
»Und Sie die volle Freiheit, das Angebot von Señor…«
»Corelli.«
»… von Señor Corelli anzunehmen. Sagen Sie, haben Sie es schon angenommen?«
»Darf ich fragen, was das mit der Brandursache zu tun hat?«, gab ich zurück.
»Nichts. Reine Neugier.«
»Ist das alles?«, fragte ich.
Grandes schaute seine Kollegen an und dann mich.
»Für meine Person ja.«
Ich wollte aufstehen. Die drei Ermittler blieben auf ihren Stühlen kleben.
»Señor Martín, eh ich’s vergesse«, sagte Grandes. »Können Sie bestätigen, dass die Herren Barrido und Escobillas Sie vor einer Woche in Ihrer Wohnung in der Calle Flassaders Nr. 30 in Gesellschaft des vorhin erwähnten Anwalts aufgesucht haben?«
»Ja, das taten sie.«
»War das ein freundschaftlicher oder gar ein Höflichkeitsbesuch?«
»Die Verleger sind gekommen, um ihrem Wunsch Ausdruck zu verleihen, ich möge meine Arbeit an einer Reihe wieder aufnehmen, die ich hatte liegen lassen, um mich einige Monate einem anderen Projekt zu widmen.«
»Würden Sie das Gespräch als herzlich und entspannt bezeichnen?«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand einen ungebührlichen Ton angeschlagen hätte.«
»Und wissen Sie noch, dass Sie ihnen geantwortet haben, und ich zitiere wörtlich, ›in einer Woche sind Sie tot‹? Natürlich ohne einen ungebührlichen Ton anzuschlagen.«
Ich seufzte.
»Ja«, gab ich zu.
»Was meinten Sie damit?«
»Ich war verärgert und sagte das Erstbeste, was mir durch den Kopf schoss, Inspektor. Das heißt nicht, dass ich es ernst meinte. Manchmal sagt man Dinge, die man nicht meint.«
»Danke für Ihre Aufrichtigkeit, Señor Martín. Sie waren uns eine große Hilfe. Guten Tag.«
Als ich ging, spürte ich ihre Blicke wie Dolche im Rücken und war mir sicher, dass ich, hätte ich auf jede Frage des Inspektors gelogen, mich nicht schuldiger hätte fühlen können.
Der üble Nachgeschmack meiner Begegnung mit Víctor Grandes und seinen beiden Basilisken überdauerte kaum hundert Meter des Spaziergangs, den ich danach bei Sonnenschein in einem nicht wiederzuerkennenden Körper unternahm: voller Kraft, ohne Schmerzen und Schwindelgefühle, ohne Ohrensausen und mörderische Stiche im Schädel, ohne Müdigkeit und kalte Schweißausbrüche. Ohne die geringste Erinnerung an die Gewissheit meines baldigen Todes, die mich vor kaum vierundzwanzig Stunden noch zu ersticken gedroht hatte. Irgendetwas sagte mir, dass mich die Tragödie der vergangenen Nacht, Barridos Tod und Escobillas’ so gut wie sicheres Ableben, mit Gram und Kummer hätte erfüllen müssen, aber mein Gewissen und ich waren außerstande, etwas anderes als angenehme Gleichgültigkeit zu empfinden. An diesem Julivormittag waren mir die Ramblas ein Fest und ich selbst der Fürst.
Der Spaziergang führte mich zur Calle Santa Ana, wo ich Señor Sempere einen Überraschungsbesuch abstatten wollte. Als ich den Laden betrat, stimmte der Buchhändler hinter dem Ladentisch Konten ab, während sein Sohn auf einer Leiter die Regale neu ordnete. Bei meinem Anblick lächelte Sempere senior herzlich, und mir wurde klar, dass er mich im ersten Augenblick nicht erkannt hatte. Eine Sekunde später verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht, und er kam offenen Mundes um den Tisch herum auf mich zu, um mich zu umarmen.
»Martín? Sind Sie es? Heilige Muttergottes — Sie sind ja nicht wiederzuerkennen! Ich habe mir schon große Sorgen gemacht. Wir haben mehrmals bei Ihnen vorbeigeschaut, aber Sie haben nie aufgemacht. Dann habe ich in Krankenhäusern und auf Polizeirevieren nachgefragt.«
Sein Sohn starrte mich von der Leiter herunter ungläubig an. Es kam mir in den Sinn, dass sie mich eine gute Woche zuvor in einem Zustand gesehen hatten, mit dem ich gut ins Leichenschauhaus des fünften Bezirks gepasst hätte.
»Tut mir leid, dass ich Ihnen Sorgen gemacht habe. Ich war aus beruflichen Gründen ein paar Tage weg.«
»Aber — Sie haben auf mich gehört und sind zum Arzt gegangen, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Es war eine Lappalie. Wie das mit dem Blutdruck so ist. Ich habe einige Tage ein Tonikum genommen, und danach war ich wie neugeboren.«
»Da müssen Sie mir aber den Namen dieses Tonikums nennen, darin will ich baden… Wie schön, Sie so zu sehen, und was für eine Erleichterung!«
Die Euphorie verflog rasch, als die Nachricht des Tages aus ihm hervorbrach.
»Haben Sie das mit Barrido und Escobillas gehört?«, fragte der Buchhändler.
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