Ich eilte hin, so schnell mich meine Füße trugen. Der Brandgeruch war bis zu den Ramblas wahrzunehmen. Auf dem Platz vor dem Gebäude hatte sich eine Schar von Anwohnern und Neugierigen versammelt. Weiße Rauchfäden stiegen von einem Schutthaufen vor dem Eingang auf. Ich erkannte mehrere Verlagsangestellte, die das wenige, das übrig war, aus den Trümmern zu retten versuchten. Auf der Straße stapelten sich Kisten mit angesengten Büchern und von den Flammen Versehrte Möbel. Die Fassade war rußgeschwärzt, die Fenster waren von der Hitze des Feuers geborsten. Ich durchbrach den Kreis der Gaffer und ging ins Haus. Ein beißender Geruch setzte sich mir im Hals fest. Einige Verlagsangestellte, die sich mit der Bergung ihrer Habseligkeiten abrackerten, erkannten mich und grüßten mich niedergeschlagen.
»Señor Martín… Was ein Unglück«, murmelten sie.
Ich ging quer durch den ehemaligen Empfangsraum zu Barridos Büro. Die Teppiche waren den Flammen zum Opfer gefallen und die Möbel bis auf glühende Skelette verbrannt. In einer Ecke war die Wandtäfelung heruntergefallen und ließ einen Lichtstrahl vom Hinterhof hinein. Asche hing in der Luft. Wie durch ein Wunder hatte ein Stuhl den Brand überlebt. Mitten im Raum saß darauf die Giftige und weinte. Ich kniete mich vor sie hin. Sie erkannte mich und lächelte durch die Tränen hindurch.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich.
Sie nickte.
»Er hat mich heimgeschickt, weißt du. Er sagte, es sei schon spät und ich solle schlafen gehen, weil heute ein langer Tag würde. Wir haben die Buchhaltung für den ganzen Monat abgeschlossen… Wenn ich auch nur eine Minute länger geblieben wäre…«
»Was genau ist denn geschehen, Herminia?«
»Wir hatten bis spät gearbeitet. Es war schon fast Mitternacht, als Señor Barrido sagte, ich solle nach Hause gehen. Die Verleger haben auf einen Herrn gewartet, der sie besuchen wollte…«
»Um Mitternacht? Was für ein Herr?«
»Ein Ausländer, glaube ich. Es hatte was mit einer Offerte zu tun, was weiß ich. Ich wäre gern geblieben, aber es war schon sehr spät, und Señor Barrido sagte…«
»Herminia, dieser Herr — erinnerst du dich an seinen Namen?«
Die Giftige sah mich befremdet an.
»Alles, woran ich mich erinnere, habe ich schon dem Inspektor gesagt, der heute früh gekommen ist. Er hat sich auch nach dir erkundigt.«
»Ein Inspektor? Nach mir?«
»Sie reden mit allen.«
»Ja, natürlich.«
Die Giftige starrte mich misstrauisch an, als versuchte sie meine Gedanken zu lesen.
»Es ist nicht sicher, ob er überleben wird«, flüsterte sie. Sie meinte Escobillas. »Alles ist zerstört, die Archive, die Verträge — alles. Mit dem Verlag ist es aus.«
»Das tut mir leid, Herminia.«
Ein verschlagenes Lächeln trat auf ihre Lippen.
»Es tut dir leid? Aber hattest du nicht genau das gewollt?«
»Wie kannst du so was denken?«
Sie schaute mich argwöhnisch an.
»Jetzt bist du frei.«
Ich wollte ihr die Hand auf den Arm legen, aber Herminia stand auf und wich einen Schritt zurück, als machte ihr meine Gegenwart Angst.
»Herminia…«
»Geh«, sagte sie.
Ich ließ sie in den rauchenden Trümmern zurück. Als ich wieder auf die Straße hinaustrat, stieß ich auf eine Gruppe kleiner Jungen, die in den Schutthaufen herumstocherten. Einer hatte ein Buch aus der Asche ausgegraben und musterte es neugierig und verächtlich zugleich. Der Deckel war von den Flammen versengt, und die Seiten waren an den Rändern geschwärzt, aber sonst war es noch intakt. An der Rückenprägung erkannte ich, dass es sich um einen Band aus der Reihe Die Stadt der Verdammten handelte.
»Señor Martín?«
Ich wandte mich um und sah mich drei Männern in schäbigen Anzügen gegenüber, kaum die richtige Kleidung bei dieser feuchtklebrigen Hitze, die in der Luft flimmerte. Einer der Männer, offensichtlich der Vorgesetzte, trat einen Schritt vor und lächelte mich an wie ein routinierter Verkäufer. Die beiden anderen, deren Konstitution und Temperament einer hydraulischen Presse ähnelte, starrten mich mit unverhüllter Feindseligkeit an.
»Señor Martín, ich bin Inspektor Víctor Grandes, und das sind meine Kollegen, die Beamten Marcos und Castelo vom Ermittlungs- und Observationsdienst. Ob Sie wohl freundlicherweise einige Minuten für uns hätten?«
»Aber selbstverständlich.«
Der Name Víctor Grandes war mir noch aus meiner Zeit bei den Vermischten Meldungen bekannt. Vidal hatte ihm die eine oder andere Kolumne gewidmet, und ich erinnerte mich besonders an eine, wo er ihn als den kommenden Mann des Polizeidienstes bezeichnet hatte, als einen, an dem man nicht vorbeikäme und der für den Anspruch einer neuen Generation von Elitebeamten stehe, besser ausgebildet als ihre Vorgänger, unbestechlich und stahlhart. So hatte Vidal es formuliert. Vermutlich war Inspektor Grandes seither in der Polizeidirektion unaufhaltsam aufgestiegen, und seine Anwesenheit an diesem Ort bezeugte, dass man den Brand bei Barrido und Escobillas ernst nahm.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, gehen wir in ein Café, wo wir uns ungestört unterhalten können«, sagte Grandes, ohne dass sich sein professionelles Lächeln auch nur ein wenig verlor.
»Wie Sie wünschen.«
Grandes führte mich zu einem kleinen Lokal in der Calle Doctor Dou, Ecke Pintor Fortuny. Marcos und Castelo gingen hinter uns, um mich im Auge zu behalten. Grandes bot mir eine Zigarette an, die ich ablehnte, und steckte die Schachtel wieder ein. Er tat den Mund nicht auf, bis wir in dem Lokal angekommen waren, wo ich zu einem Tisch im Hintergrund eskortiert wurde und die drei sich um mich herum setzten. Hätte man mich in ein dunkles, modriges Verlies geführt, die Atmosphäre wäre mir freundlicher vorgekommen.
»Señor Martín, ich glaube, Sie haben bereits Kenntnis erhalten von dem, was heute Nacht geschehen ist.«
»Ich weiß nur das, was in der Zeitung zu lesen war. Und was mir die Giftige erzählt hat.«
»Die Giftige?«
»Entschuldigung. Señorita Herminia Duaso, Mitarbeiterin der Geschäftsleitung.«
Marcos und Castelo wechselten einen vielsagenden Blick. Grandes lächelte.
»Interessanter Spitzname. Sagen Sie, Señor Martín, wo waren Sie gestern Abend?«
Heilige Einfalt — die Frage überrumpelte mich.
»Das ist eine Routinefrage«, erklärte Grandes. »Wir versuchen bei allen Personen, die in den letzten Tagen mit den Opfern Kontakt gehabt haben könnten, festzustellen, wo sie waren.«
»Ich war bei einem Freund.«
Sowie ich den Mund auftat, bereute ich meine Wortwahl. Grandes bemerkte es.
»Einem Freund?«
»Es ist eigentlich weniger ein Freund als jemand, der mit meiner Arbeit zu tun hat. Ein Verleger. Gestern Abend war ich mit ihm zu einem Gespräch verabredet.«
»Können Sie uns sagen, bis wann Sie mit dieser Person zusammen waren?«
»Bis spät am Abend. Tatsächlich habe ich dann sogar die Nacht bei ihm verbracht.«
»Ich verstehe. Und die Person, von der Sie sagen, sie hätte mit Ihrer Arbeit zu tun — wie heißt sie?«
»Corelli. Andreas Corelli. Ein französischer Verleger.«
Grandes notierte sich den Namen in einem kleinen Heft.
»Der Name klingt eher italienisch«, bemerkte er.
»Ich weiß gar nicht genau, welcher Nationalität er ist.«
»Verstehe. Und dieser Señor Corelli, welcher Nationalität er auch sein mag, könnte bestätigen, dass er sich gestern Abend mit Ihnen getroffen hat?«
Ich zuckte die Schultern.
»Vermutlich schon.«
»Vermutlich?«
»Ganz sicher sogar. Warum sollte er es nicht tun?«
»Ich weiß es nicht, Señor Martín. Gibt es irgendeinen Grund, warum er es Ihrer Meinung nach nicht tun sollte?«
»Nein.«
»Dann wäre das Thema also erledigt.«
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