»Ich weiß«, sagte ich. »Kommt, wir gucken Meine Lieder – meine Träume .«
»Schon wieder?«, fragte Annie.
»Klar, warum nicht?« Ich hoffte, die beiden würden in meinem Bett einschlafen. Heute Nacht wollte ich nicht allein sein.
»Okay … ich kann auch morgen fertig packen.«
»Finde ich auch. Dann zieh deinen Schlafanzug an. Ich mache Popcorn, und wir treffen uns im Schlafzimmer.«
Beide Kinder schliefen dann wirklich bald ein, noch bevor das Unwetter über dem Haus der von Trapps niederging und Maria »My Favorite Things« sang. When the dog bites, when the bee stings. When I’m feeling sad … When the husband dies. When the ex-wife tries … to take away my kids … I simply remember my favorite things . Und dann die Konfrontation mit dem stattlichen Kapitän von Trapp und Marias Plan, aus den Gardinen Kleider zu machen.
Lucy rief an, um zu hören, was es Neues gab. Ich erzählte ihr, was ich mir gerade ansah.
»Schon wieder?«
»Maria. Was für eine Stiefmutter, ein echtes Vorbild! Andererseits musste sie auch nie fürchten, dass die Mutter zurückkommt, weil die nämlich tot ist.«
»Eine wahre Geschichte.«
»Stimmt, das ist es wirklich «, sagte ich. »Ich könnte auch eine Mutter Oberin brauchen, die mich mit einem ergreifenden Lied wissen lässt, was ich machen soll. Nein, ich muss die Mutter Oberin sein . Die alles überragende Mutter in den Augen des Gerichts von Sonoma County.«
»Aber du bist eindeutig die Mutter Oberin, meine Liebe. Oh, diese herrliche Szene in der Gartenlaube. Mein Gott, Christopher Plummer. Ich liebe ihn, seit ich sechs bin. Ruf mich später an.«
Ich legte auf. Joe lebte nicht mehr, doch es gab immer noch ein paar Dinge, die ich liebte: Mit meinen Kindern im Garten zu graben, mit meinen Kindern Eier einzusammeln, neben meinen radelnden Kindern in die Stadt zu laufen. Spielknete und Fingerfarben und Perlen, Buntstiftspan zwischen Wachspapier zu bügeln – all die Unordnung produzierenden Dinge, die ich so gern mit ihnen machte. Und noch eine ganze Menge anderes außer Meine Lieder – meine Träume anzuschauen … schon wieder, wie Annie und sogar Lucy bemerkt hatten.
Dr. Irving Boyle hatte recht. Dank Annie und Zach hatte ich viele Gründe zu leben. Ich war nicht nur ihre Mutter, ich war eine gute Mutter, eine bessere Mutter. Wir mussten einfach nur immer das tun, was wir liebten. Ein Wochenende mit Paige konnte das, was wir drei Jahre lang miteinander aufgebaut hatten, nicht zunichte machen. Und Gwen Alterman hatte ebenfalls recht: Es würde unserer Sache nur förderlich sein. Ich stellte mir Paige vor, ihre manikürten Fingernägel voll kotziger Fingerfarbe. Ha!
Annie, Zach und ich saßen auf dem Sofa in unserer Nicht-so-Guten-Stube. Callie wanderte von einem zum anderen, drückte Kopf und Hinterteil an uns und schlug schnaufend mit dem Schwanz. Der rosa Koffer stand randvoll gepackt neben Zachs Thomas-die-kleine-Lokomotive-Koffer bei der Tür. Um fünfzehn Minuten nach zehn Uhr – genau wie angekündigt – bog Paige mit ihrem Mietwagen in unsere Einfahrt. Callie lief mit Annie den Flur entlang, während Zach, seinen Bubby im Arm, dastand und mich ansah. Ich wischte mit den Handflächen über die Jeans und versuchte, meine Haare glattzustreichen.
Zach sprang auf meinen Schoß. »Bella«, sagte er und drückte mir einen Kuss auf die Wange, »du siehst toll aus.«
Ich lachte und übersäte sein Gesicht mit Küssen. Den Satz hatte er von Joe aufgeschnappt – meine Unsicherheit war anscheinend so offensichtlich, dass ein drei Jahre altes Kind sich bemüßigt fühlte, mir ein Kompliment zu machen. Er wand sich von meinem Schoß, und ich stand auf, gemahnte mich, tief in den Bauch zu atmen, ging in die Küche und nahm das Geschirrtuch, damit es aussah, als wäre ich beschäftigt. Ich hatte schon den ganzen Morgen Ordnung gemacht, doch das Haus sah immer noch unaufgeräumt aus. Wahrscheinlich würde sie nicht einmal hereinkommen.
Doch da kam sie schon den Flur entlang in die Küche.
»Annie hat mich hereingelassen.« Sie sah zum Wohnzimmer hinüber. »Ich wollte Ihnen schon das letzte Mal sagen, wie gut es mir gefällt, dass Sie die Wand rausgerissen haben. So sieht es viel besser aus. Das habe ich immer gewusst. Darf ich Ihre Toilette benutzen?«
Ich hatte angefangen, das Bad zu putzen, war aber abgelenkt worden und hatte es dann völlig vergessen. Eine Sekunde lang überlegte ich, nein zu sagen, dass sie auf die Toilette in Ernie’s Tankstelle gehen sollte, doch das ging dann wohl zu weit. »Bitte? Oh, okay. Sie ist – na ja, das wissen Sie ja selbst.«
»Ja«, sagte Paige. Als sie im Bad verschwand, hätte ich mich in den Hintern beißen können, dass ich es nicht geputzt hatte. Natürlich würde sie es benutzen müssen, sie war schließlich den ganzen Weg vom Flughafen hierhergefahren. Ich hatte die neue Tablettenschachtel im Medizinschrank und den dunklen Kalkrand in der Kloschüssel vor Augen; Joes Aftershave, an dem ich schnupperte, wenn die Sehnsucht mich packte. Würde sie die Kappe abmachen und es einatmen, so wie ich, und ein paar Spritzer aufs Handgelenk sprühen? Oder würde sie es ins Klo spülen? Hatte ich meinen Schlüpfer auf dem Boden liegenlassen? Den alten mit den zwei Löchern am Gummiband?
Als sie herauskam, rannte Zach zu mir und umklammerte meine Beine. Ich streichelte ihm über den Rücken und gab ihr die Krankenversicherungskarten der Kinder, die Telefonnummer des Kinderarztes sowie Anweisungen, worauf zu achten war, zum Beispiel Annies Allergie gegen ein bestimmtes Antibiotikum und dass Zach sehr an seinem Bubby hing. Sie roch nicht nach Joes Aftershave, nur nach ihrem eigenen Jasmin-Zitrus-Parfüm, offensichtlich ihre persönliche Duftnote, die nun schon wieder unser Haus erfüllte. Paige nahm die Versicherungskarten, gab mir aber Dr. Magenellis Telefonnummer sowie die Instruktionen zurück. »Danke. Aber Doktor Magic und seine Nummer sind mir bekannt. Und ich weiß auch von Annies Allergie. Was die weiteren Hinweise betrifft, Annie ist so ein kluges Mädchen, sie kann mir bestimmt helfen, wenn es irgendwelche Fragen gibt. Trotzdem danke, wirklich sehr aufmerksam von Ihnen.« Sie schob die Versicherungskarten in ihr elegantes Lederportemonnaie, klappte es zu und steckte es zurück in ihre Umhängetasche. Sie trug weiße Hosen und ein pfirsichfarbenes, seidiges Shirt, das ihre Haut perfekt zur Geltung brachte. Als Teenager hatte sie sich bestimmt nie von Kopf bis Fuß mit Babyöl eingeschmiert und auf einer folienbeschichteten Matte von der Sonne braten lassen. Sie sah ein bisschen anders aus als beim letzten Mal, hatte einen fransig geschnittenen Pony, der ihre Augen noch größer erscheinen ließ.
»Ich hole Ihnen die Kindersitze«, sagte ich.
»Nicht nötig, der Mietwagen hat schon welche. Wir wohnen im Hilton in Santa Rosa.« Sie wandte sich den Kindern zu. »Habt ihr zwei schon eure Koffer gepackt?« Annie und Zach nickten.
»Mit vielen Kleidern«, fügte Annie hinzu.
»Ausgezeichnet.« Paige sah auf ihre Uhr.
»Das ist ein langer Tag für Sie …«, sagte ich.
»Oh, das macht mir nichts aus. Ich bin so glücklich, dass ich Annie und Zach sehen kann. Okay, Kinder, verabschiedet euch von Ella.«
Ella? Netter Versuch. Und meine Kinder aufzufordern, sich von mir zu verabschieden, war auch nicht nötig.
Zach sagte: »Ich will hierbleiben.«
Ich beugte mich zu ihm hinunter und strich ihm die Haare aus der Stirn. »Du kannst mich jederzeit anrufen. Und Annie ist bei dir. Und Bubby. Und morgen bist du schon wieder zurück.« Er fing an, mit Bubby auf den Boden zu schlagen. »Okay, mein Schatz?«
Er sah Paige an und nickte langsam. Annie nahm seine freie Hand, und zu dritt folgten wir Paige die Verandatreppe hinunter. Ich ging in die Hocke und umarmte sie beide, vielleicht etwas zu lang, zwang meine Tränen zu warten.
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