Die Legion zog weiter nach Cambodunum zu den Estionen. Auch hier kamen die Häuptlinge zusammen, um von Varus die Grenzen ihrer Civitas zu erfahren. Auch hier wurde kein Land zum ager publicus ernannt.
Die Licaten hatten nicht so viel Glück. Das Gebiet im Zusammenfluss von Licca und Vinda wurde für Rom beschlagnahmt. Hier ließ Varus weitere Kohorten zurück und zog mit den restlichen Einheiten nach Bratanium weiter. Für die Grenzen der vindelicischen Civitas gab es strenge Auflagen. Innerhalb dieser festgelegten Territorien konnten die vindelicischen Stämme ihre Angelegenheiten selbst regeln, außerhalb dieser Grenzen hatten sie von jetzt an nichts mehr zu suchen. Bei allen Stämmen sorgte die Höhe der Abgaben und die Ankündigung, zukünftig die jungen Männer zur Legion einzuziehen, für heftige Proteste. Alle Krieger im Alter von achtzehn bis fünfundzwanzig Jahren waren verpflichtet, den Dienst für das Imperium zu leisten. Die Krieger und Häuptlinge in den Versammlungen schrien, schimpften und protestierten, aber auch hier galt der Grundsatz: Roma locuta, causa finita . Rom hat gesprochen, der Fall ist entschieden.
Auf dem Marsch durch das Land der Vindelicer ließ Varus die Landschaft immer wieder vermessen und den Boden untersuchen, um die Planung und den künftigen Bau von Straßen zu erleichtern.
Als sich der Sommer dem Ende zuneigte, kehrte Varus mit der Legion zum Castra Rhenus zurück.
Nur wenige Tage später ging eine Nachricht durch das Lager, die die Legionäre aufhorchen ließ.
Die Gefangenen des letzten Jahres waren verkauft worden. Das Geld aus dem Sklavenverkauf stand natürlich dem Feldherrn zu, aber es war üblich, die Legaten, Tribune und Legionäre mit einem Geldgeschenk zu beteiligen. Die Legionäre diskutierten lebhaft, was sie über ihren Feldherrn und ihren Legaten wussten. Tiberius, da waren sich alle sicher, würde ein großzügiges Donativ an seine Soldaten ausgeben. Er war schließlich ein Claudier, und dieses Geschlecht war eng mit dem Aufstieg Roms zum Imperium verbunden. Das verpflichtete ihn. Varus war ein unbeschriebenes Blatt in diesen Dingen. Auf dem Feldzug hatten sie ihn als fähigen Kommandeur kennengelernt, aber wie war das beim Teilen der Beute? Die Legion summte vor Neugier, als der Legat sie antreten ließ. Lucius war wie alle anderen gespannt, die Aussicht auf sein erstes Donativ versetzte ihn in Hochstimmung.
Varus schwang sich gut gelaunt auf die Rednertribüne und begann seine Ansprache. Er lobte die Leistungen der Legion im Feldzug gegen die Vindelicer und im Kampf gegen die Germanen. Sie hätten ihren Standarten Ehre gemacht. Tiberius, ihr Feldherr, würde großzügig auf seinen Anteil an der Beute verzichten.
An dieser Stelle wurde Varus von einem Jubelsturm unterbrochen. Auch Lucius brüllte begeistert mit und stimmte in den Ruf „Tiberius! Tiberius!“ ein.
Varus hob beide Arme und langsam kehrte wieder Ruhe ein.
„Tiberius und ich wurden zu Konsuln des nächsten Jahres ernannt!“, fuhr Varus fort und ein Raunen ging durch die Menge. „Diese Ehre für mich ist gleichzeitig eine Ehre für euch. Ohne eure Tapferkeit wäre mir diese Ehre nicht zuteilgeworden.“
Wieder jubelten die Legionäre, wenn auch, wie Lucius fand, nicht so laut wie beim ersten Mal. „Und daher habe ich beschlossen“, versuchte sich Varus Gehör zu verschaffen, „und daher habe ich beschlossen, auch auf meinen Anteil zu verzichten und alles den tapferen Legionären der Augusta zu überlassen!“
Nun gab es kein Halten mehr. Ein Jubelsturm brandete durch das Lager.
„Varus! Varus! Varus!“, skandierten die Legionäre. Varus lächelte huldvoll und zog sich dann mit seinen Offizieren zurück.
Vergnügt kehrten alle zu ihren Tätigkeiten zurück. Es war ein kurzer Feldzug mit reicher Beute gewesen, und in diesem wie im nächsten Jahr versprach das hier ein ruhiger Posten zu werden. Die Legionäre fanden, auch ohne die Auguren zu Rate ziehen zu müssen, dass die Zeichen gut standen.
Ende September erreichte Lucius mit der Post eine Überraschung. Marcus hatte geschrieben und teilte ihm mit, dass er mit seiner Familie noch immer in Lugdunum sei. Sie würden noch bis zum nächsten Jahr bleiben und hoffen, ihn bald dort begrüßen zu dürfen. Lucius entwarf schnell ein Antwortschreiben und setzte ein Urlaubsgesuch auf. Während er schrieb, fiel ein Schatten auf den Tisch und als er aufsah, stand Quirinius vor ihm.
Lucius lächelte. „Wenn das nicht Zauberei ist.“ Er winkte mit dem Urlaubsgesuch. „Ich setze gerade ein Gesuch für ein paar Tage Urlaub im kommenden Winter auf!“
„Abgelehnt!“, sagte Quirinius sofort und ohne mit der Wimper zu zucken.
Lucius war so verblüfft, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. „Äh, was?“, war alles, was er herausbrachte.
Quirinius zog eine Schriftrolle hervor und las: „ Von Tiberius Claudius Nero, Legat von Imperator Caesar Augustus, an Lucius Justinius Marcellus, zweiter Centurio der Hastaten in der 8. Kohorte in der XIX Legion Augusta! Und so weiter und so weiter!“ Seine Augen huschten über die Zeilen und suchten eine bestimmte Stelle. „… wird hiermit sofort zur Ala Pomponia, die im Augenblick in der Provinz Belgica stationiert ist, versetzt. Er hat sich mit dem nächsten Transport sofort zur Civitas der Ubier zu begeben, wo die Ala Pomponia ihr Winterquartier aufschlagen wird.“
Lucius starrte den Tribun an. Eine Versetzung? Zu den Hilfstruppen? Zu den Reitern? Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Was hatte das zu bedeuten?
Quirinius musterte ihn und rollte das Pergament zusammen. „Du scheinst Fortunas Günstling zu sein, Marcellus!“, sagte er und hielt ihm die Schriftrolle hin.
Lucius griff automatisch zu. „Fortunas Günstling?“, stieß er hervor. „Eine Versetzung zu den Hilfstruppen ist kaum ein Beweis für Fortunas Gunst!“
„Nein, aber eine Versetzung nach Belgica!“, konterte der Tribun sofort. „Zumindest für Männer, die Karriere machen wollen! Hier südlich des Danuvius wird es in den nächsten Jahren ruhig zugehen. Die nächsten Feldzüge werden am Rhenus gegen die Germanen ausgefochten werden und die Reiter werden eine wichtige Rolle spielen! Weitere Feldzüge, weitere Beute für dich!“
Lucius starrte den Tribun noch immer an, nicht sicher, ob er dem zustimmen konnte.
„Pack sofort deine Sachen zusammen! Ein primi ordinis wird deine Einheit inspizieren, bevor sie von deinem Optio übernommen wird.“
Damit ließ er ihn stehen. Lucius sah ihm hinterher und dachte über das Gesagte nach.
Vielleicht hatte Quirinius recht; alles sah nach Kämpfen am Rhenus aus und er würde daran teilnehmen. Die langweiligen Vermessungsarbeiten beim Aufbau der neuen römischen Siedlungen würden ihm erspart bleiben.
Er winkte Ajax herbei. „Pack meine Sachen ein, auch meine Waffen, mit Ausnahme des Gladius und des Pugio!“, wies er ihn an, während er das Urlaubsgesuch zerriss.
Dann schrieb er schnell den Brief an Marcus zu Ende:
„Ich wurde gerade überraschend an die germanische Grenze versetzt und muss bald aufbrechen. Ich kann nicht nach Lugdunum kommen, grüße alle von mir, ich melde mich bald. Vale, Lucius“
Er versiegelte den Brief und überlegte, was noch zu tun war, bevor er aufbrach. Er musste Mallius und Celsonius informieren und mit ihnen die Übergabe der Centurie besprechen. Er ging in sein Zelt und zog die kleine Truhe heraus, in der er seine Unterlagen aufbewahrte, und sah sie durch. „Centurio Marcellus!“, ertönte da die wohlbekannte, verhasste Stimme von Titus Valens hinter ihm. Lucius schloss die Augen. Ihr Götter, konntet ihr mir dieses Gesicht nicht einmal ersparen? Er richtete sich auf.
„Ja?“, fragte er herausfordernd.
Valens musterte ihn. „Ich soll mich überzeugen, dass deine Einheit und deine Unterlagen in Ordnung sind, bevor du uns verlässt! Du wirst ja schließlich zu den Hilfstruppen gehen!“, sagte er mit der Betonung auf „Hilfs-“.
Читать дальше