Die offizielle Weihezeremonie fand am nächsten Morgen statt. Die Legionen in Basilia traten an und marschierten zu der neu zu gründenden Stadt. Sie standen um den Platz herum, der später das Forum sein würde.
Die Feldherren Piso, Tiberius und Drusus standen bei den Priestern.
Die Auguren verkündeten ihnen, dass die Zeichen in der Nacht günstig gewesen waren.
Dann wurden auf dem Altar ein Hase und ein Fasan ausgenommen. Der Haruspex sah sich die Lebern der Tiere gründlich an. Er drehte, wendete und befühlte sie sorgfältig. Endlich nickte er dem Jupiterpriester zu.
Dieser trat vor und sprach: „Höre, Janus, höre, Jupiter, höret, Mars und Quirinius!
Vernimm mich, oh Donnerer, der du die Dächer der weiten Stadt vom Tarpeafelsen überblickst! Vernehmet mich, oh troische Hausgötter des Juliergeschlechts! Vernimm mich, geheimnisvoller, entrückter Quirinus, fortgetragen zum Himmel! Gott Jupiter, auf der Thronkuppe von Alba! Herdfeuer der Vesta! Vernimm mich, Roma, als die höchste Gottheit! Seid unserem Beginnen gnädig! Ihr habt unser Opfer angenommen, ihr habt uns günstige Zeichen geschickt. So wird der Imperator Caesar Augustus, Sohn des vergöttlichten Julius, hier nun eine colonia errichten, einen Ableger der ewigen und heiligen Stadt Rom. Lasst euren Segen über diese Stadt und ihre Einwohner kommen! Diese colonia soll künftig unter dem Namen Augusta Raurica bekannt werden!“
Die Legionäre brachen in Jubel und Hochrufe aus. Die Priester führten eine weiße Kuh und einen Stier herbei, die vor einen Pflug gespannt waren. Damit zogen sie die Grenze um die Stadt, wie es einst Romulus getan hatte. Dort, wo die Tore stehen sollten, wurde der Pflug angehoben.
Nach dieser zeremoniellen Weihe der Stadt, die nun offiziell Augusta Raurica genannt wurde, kehrten die Legionen nach Basilia zurück.
Für die Ingenieure begann jetzt die Hauptarbeit: Straßen und Häuser mussten geplant werden. Lucius fand diese Arbeit noch langweiliger als die Vermessungen, die zuvor stattgefunden hatten. Immer wieder wurden imaginäre Punkte anvisiert, Linien auf Pergamente gezeichnet und aufgeregt über die Planungen debattiert. Es ging nur langsam voran. Quälend langsam.
Lucius gähnte herzhaft und zuckte erschrocken zusammen, als der Chefarchitekt ihn entrüstet anfuhr: „Eine Stadt zu planen und zu bauen ist viel besser, als zehn zu zerstören. Zerstören kann jeder, aber aufbauen ist eine Kunst! Doch das werdet ihr Soldaten nie verstehen. Ihr zerstört lieber!“ Der Architekt machte eine Pause und fuhr dann fort: „Als Alexander der Große Indien erreichte, weinte er, weil es nichts mehr zu erobern gab. Augustus fand diese Einstellung töricht und fragte, warum Alexander die Kunst des Eroberns über die, das Eroberte zu regieren, stellte!“
Das war mal eine ganz neue Geschichte, dachte Lucius entnervt. Wie alt war ich, als ich die das erste Mal gehört habe? Aber um den Architekten zu besänftigen, fragte er ihn nach dem künftigen Aussehen der Stadt.
Der Architekt entrollte einen Plan. „Hier am Rand des Abhangs wird die Curia sein“, erklärte er Lucius. „Hier wird das Forum liegen und gegenüber der Curia wird der Jupitertempel stehen. Dort hinten auf dem Hügel ein weiterer Tempel und gegenüber ein Theater.“
Die Augen des Architekten leuchteten vor Begeisterung. Für ihn hatten die Linien auf dem Pergament reale Bedeutung. Von seinem Plan aus erwuchs eine blühende Stadt in seiner Vorstellung. Er hielt Lucius die Skizze unter die Nase, der zunächst nur zusammenhanglose Linien erkennen konnte. Aber nach und nach erkannte auch Lucius ein System und bekam eine Ahnung davon, wie die Stadt aussehen würde.
Den ganzen September und Oktober über war Lucius den Architekten und Ingenieuren zugeteilt. Das Wetter wurde schlechter und merklich kühler. Bald schon mussten auch die Vorbereitungen für den Winter getroffen werden. Es wurden Reparaturen an den Baracken durchgeführt und letzte Vorräte angelegt.
Noch einmal marschierten die Legionen aus Basilia zu der neuen colonia , als man zum Armilustrium die Waffen der Legionäre, die durch das Blut der Feinde verunreinigt worden waren, rituell reinigte. Alle waren in Hochstimmung. Sie hatten einen Feldzug abgeschlossen, vor kurzem war Zahltag gewesen und die Saturnalien standen bevor; der Drill würde im Winter eingeschränkt werden und sie würden endlich Urlaub bekommen. Herz, was willst du mehr!
Lucius aber stand der nächste Ärger ins Haus. Er musste sich mit einem neuen Optio auseinandersetzen, denn Drusillus war zum Centurio befördert worden. Leider hatte Lucius bei der Auswahl des neuen Optio kein Mitspracherecht gehabt, denn sonst hätte Celsonius diesen Posten nicht bekommen. Da hatte Valens seine Hand im Spiel, dessen war Lucius sicher. Wann würde dieser Bastard endlich aufhören, Lucius Steine in den Weg zu legen und ihn zu triezen?
Wenigstens durfte er die nächste Personalentscheidung treffen. Aus den Reihen seiner Legionäre sollte ein neuer Tesserarius ernannt werden. Celsonius und Mallius hatten ihm schon Voluminius als ihren Kandidaten genannt. Lucius war sich sicher, dass die beiden von diesem ein paar Sesterzen versprochen bekommen hatten, dafür, dass sie sich für ihn verwandten.
Lucius hatte aber schon längst seinen eigenen Kandidaten im Kopf. Ripanus war freudig überrascht, als er von seiner Ernennung erfuhr. Er hatte nicht gewagt, auf eine Beförderung zu hoffen. Als er zum ersten Mal die Parole ausgab, sah Lucius in gehobener Stimmung zu. Das Gefühl, einem der Seinigen die verdiente Beförderung ausgesprochen zu haben, war einmalig. Ja, es war ein geradezu berauschendes Machtgefühl.
„Wenn man unter dem Adler dient, muss man mit allem rechnen, Ripanus,“ hatte Lucius ihm schmunzelnd gesagt, als er Ripanus die Beförderung angetragen hatte. Das hatte er ja selbst dieses Jahr zur Genüge erfahren.
Lucius fand die Aussichten auf einen langen, kalten und einsamen Winter trübe, aber es gab einen kleinen Hoffnungsschimmer für ihn. Bei einem Händler hatte er einen glücklichen Fund gemacht.
Dabei hatte er zuerst die Waren nur gleichgültig gemustert. Dann war sein Blick auf einige Rollen gefallen. Bücher! Seit fast zwei Jahren hatte er kein Buch mehr gelesen. Seine Hand schoss vor und ergriff eine der Rollen. Er zog sie auseinander und warf einen Blick auf die Überschrift. Ab urbe condita liber XXI . Das 21. Buch der römischen Geschichte von Livius, stellte er begeistert fest. Er begann mühsam die ersten Zeilen zu entziffern.
„Einem Teil meines Werkes darf ich vorausschicken, was sehr viele Historiographen sonst am Beginn ihrer gesamten Abhandlung angekündigt haben: Ich werde über den denkwürdigsten aller Kriege, die jemals geführt wurden, schreiben.“
Das klang doch schon vielversprechend.
„Über den Krieg nämlich, den die Karthager unter ihrem Feldherrn Hannibal gegen das römische Volk geführt haben.“
HANNIBAL! Lucius hätte beinahe vor Entzücken aufgeschrien. Ausgerechnet die Bücher über den zweiten punischen Krieg waren ihm in die Hände gefallen. Schnell griff er nach den anderen Rollen. Liebesgedichte! Weg damit! Von der Bedeutung des Ackerbaus für den Senator, von Cato dem Zensor. Er stöhnte innerlich auf. Da! Ab urbe conidate liber XXIII! Schnell griff er zu.
Er las die erste Zeile. „Als Hannibal nach der Schlacht von Cannae das Lager eingenommen hatte …“ Nach der Schlacht von Cannae? Er musste unbedingt Buch 22 finden. Leider suchte er vergeblich. Leicht enttäuscht wandte er sich an den Händler, um die beiden Bücher zu bezahlen. Der hatte natürlich das große Interesse seines Kunden bemerkt. Schnell verdoppelte er insgeheim den Preis, den er ursprünglich hatte fordern wollen. Dann besah er sich seinen Kunden näher. Jung und literaturinteressiert, also musste er ein Tribun sein. Rasch verdoppelte er den Preis noch einmal.
Читать дальше