Der hellte sich jedoch auf, als er Ambiorix mit seinem federnden Gang näher kommen sah.
Dieser hob lässig die rechte Hand zum Gruß. „Ich habe schon gehört, dass die Legion in ihrer Weisheit dir eine verantwortungsvolle Aufgabe zugewiesen hat!“
Er ließ den Blick über Schaufeln und Körbe wandern. Lucius verzog das Gesicht, als ob er Essig getrunken hätte. Ambiorix hob die linke Hand, in der er einen torquis , einen Halsring, hielt.
„Ich habe ein Abschiedsgeschenk für dich!“
Lucius nahm das Geschenk erstaunt und gerührt entgegen. Der Ring lag schwer und kühl in seiner Hand. Es waren einige kunstvolle Muster eingraviert und in der Sonne glänzte er.
„Dies ist nur ein kupfernes Erinnerungsstück und kein reiches Geschenk. Schließlich bin ich kein Häuptling oder gar König, sondern nur ein Centurio“, rief Ambiorix lachend. „Er soll dich an unseren gemeinsamen Feldzug erinnern!“
„Warum Abschied?“, fragte Lucius erstaunt.
„Unsere Einheit kehrt mit der Gemina über die Alpen zurück, um die letzten Widerstandsnester der Raeter auszuheben!“
Lucius packte den Kelten an den Schultern und suchte nach Worten des Dankes. Ambiorix wies die Dankesbezeugungen mit einem Kopfschütteln zurück, sah Lucius noch einmal freundlich mit seinen grauen Augen an, wandte sich um und ging.
Lucius’ Männer hatten verstohlen zugehört und begannen nun hektisch weiterzugraben.
Zwei neue Contubernia waren der Centurie zugeteilt worden. Wie immer hatten die Männer zunächst gedacht, dass sie mit dem jungen Möchtegern-Centurio leichtes Spiel haben würden, aber recht schnell wurden die ersten von ihnen auf Gerste gesetzt und ihre Weinrationen gestrichen. Wenn sie gedacht hatten, bei den anderen Contubernia Unterstützung zu finden, mussten sie zu ihrem Erstaunen feststellen, dass sie auf sich allein gestellt waren. Zu allem Überfluss wurden sie auch noch als erste Contubernia zu den Grabungsarbeiten eingeteilt.
Lucius war von seiner neuen Aufgabe beim Aufbau der colonia wenig angetan und dementsprechend schlecht war seine Laune. Ambiorix’ plötzlicher Abschied tat ein Übriges, um seine Stimmung auf den Tiefpunkt zu bringen.
Die neuen Legionäre waren daher auf der Hut, denn eines wussten sie: Egal, ob junger oder alter Centurio, ein schlecht gelaunter Centurio bedeutete in der Regel Prügel, so sicher wie auf den Sommer der Winter folgen würde. Und da keiner der Erste sein wollte, der Prügel bezog, schuftete jeder, so schnell er konnte. Nach Beendigung der Grabungsarbeiten mussten die Maulesel mit Pionierwerkzeugen beladen werden, da noch zahlreiche weitere Arbeiten in und um Basilia erledigt werden sollten. Die Septembersonne brannte heiß und unerbittlich. Alle ächzten vor Durst und benötigten dringend eine Pause, aber niemand wagte den Centurio darauf hinzuweisen.
Lucius drehte sich zu den Männern um und sah, wie sie ihn verstohlen beobachteten. Er sah ihre durchgeschwitzten Tunicen und ihre unsicheren Bewegungen.
„Pause!“, rief er zu ihnen hinüber.
Sie seufzten erleichtert auf und sahen zu, dass sie in den Schatten kamen. Dort kauerten sie sich nieder und tranken gierig. Lucius stand abseits und beobachtete sie. Sie flüsterten miteinander, und dann kam einer von ihnen auf ihn zu. Es war ein schmaler Mann mittleren Alters, der Duilius hieß. „Centurio“, begann er, „wir wollten dich fragen, ob du wegen der Hitze die Pause um eine Stunde verlängern könntest? Wir würden dann heute Abend ein wenig länger arbeiten.“
Kommt überhaupt nicht in Frage, wollte Lucius ihn anfahren, aber der andere ergriff schon wieder das Wort.
„Wir wissen, dass diese Bitte für dich eine Zumutung ist!“
Wohl wahr, dachte Lucius.
„Und würden dich daher für deine Mühen auch entschädigen!“ Er hielt ihm einen Beutel hin.
Hm, eine Bestechung. Warum eigentlich nicht? Das gehörte immerhin zu den angenehmen Seiten des Daseins als Centurio, an denen er bisher kaum hatte partizipieren können.
Er unterdrückte ein Lächeln und starrte in das unrasierte Gesicht des Legionärs, der auf Grund der langen Stille unsicher wurde. Gerade, als den Arm wieder sinken lassen wollte, nahm Lucius ihm den Beutel ab. Er warf einen gespielt gleichgültigen Blick hinein und brummte: „Na schön!“ Dann ließ er den Beutel in seiner Tunica verschwinden. Die Sesterzen konnte er gut gebrauchen. Bis zur nächsten Soldzahlung waren es noch ein paar Wochen, aber er musste seine neuen Tunicen bezahlen. Während des Feldzuges hatten einige seiner Kleider Schaden genommen und waren nun nicht mehr zu gebrauchen. Ende des Jahres würde neue Kleidung an die Legionäre ausgegeben werden, aber er wollte nicht auf so ein billiges Teil für 16 Sesterzen warten, sondern eine bessere Qualität haben. Er hatte in Basilia bereits mehrere Tunicen bestellt, doch allein die Anwesenheit der Armee hatte den Preis auf elf Denare für eine gute Tunica hochschnellen lassen.
Der September blieb heiß, und den ganzen Tag in der Sonne zu stehen war eine Strapaze. Lucius sah den Ingenieuren zu, die quälend langsam arbeiteten. Ihre Gehilfen rannten mit Stangen scheinbar ziellos einige Schritte nach links, dann wieder nach rechts. Jetzt hielt einer von ihnen seine Stange hoch und brüllte etwas. Der Mann an der Groma sah über den Balken und brüllte zurück. Endlich steckte der Gehilfe den Stab in den Boden. Er versuchte es zumindest, jedoch ohne Erfolg. Er winkte Lucius zu. Dieser stieß einen seiner Männer an, der sofort losrannte, an der bezeichneten Stelle den Boden aufhackte und ein wenig Wasser darauf schüttete. Dann erst konnte die Stange gesetzt werden. Danach ging das Theater für die nächste Himmelsrichtung von vorne los.
Jupiter, für eine Himmelsrichtung hatten sie eine halbe Stunde gebraucht, und es gab vier!
Bis sie fertig waren, würden alle in ihrem eigenen Schweiß ertrunken sein! Lucius seufzte.
Ein Wagen, der sich der Baustelle näherte, lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Eine seltsame Prozession begleitete ihn. An seiner rechten Seite erkannte Lucius den Haruspex, den Eingeweideschauer. Dahinter liefen ein Fetialpriester und zwei Auguren. Sie alle waren gut an ihrer Kleidung zu erkennen. Überrascht bemerkte Lucius hinter dem Wagen auch die Priester der Staatsgottheiten Jupiter, Mars, Quirinius und des Divis Julius. Die Anwesenheit eines solchen Aufgebots heiliger Männer bedeutete, dass eine wichtige Zeremonie bevorstehen musste. Doch niemand hatte Lucius darüber informiert.
Er ging der Prozession entgegen. Die Priester erwiderten seinen Gruß unwillig – offensichtlich gefiel es ihnen auch nicht, bei dieser Hitze hier zu sein.
„Kann ich euch behilflich sein?“, fragte er.
Einer der Auguren nickte ungeduldig und wies ihn an: „Lass deine Männer unsere Zelte aufbauen! Heute Nacht werden die Omen für die Zukunft der colonia gedeutet!“
Lucius winkte eilig seine Legionäre herbei, damit sie den Priestern die Zelte aufbauten.
Die Ingenieure waren derweil mit ihrer Arbeit fortgefahren. Der Architekt, der die Arbeiten leitete, trat zu den Priestern und neigte zur Begrüßung sein Haupt.
„Dort drüben ist der locus gromae . Ihr könnt sofort damit beginnen, euren Altar zu errichten.“
Die Priester nickten und holten aus dem Wagen allerlei Gerätschaften hervor. Ihre Gehilfen begannen, in unmittelbarer Nähe des locus gromae Steine aufzuschichten.
Bis zur Dämmerung hatten die Ingenieure die beiden Hauptstraßen und das Forum endlich abgesteckt. Als es dunkelte, packten sie ihre Messinstrumente ein und machten sich auf den Rückweg, ohne sich von den Priestern zu verabschieden. Diese waren bereits in ihre Zeremonie vertieft. Der Jupiterpriester sagte gerade seine Gebete auf und die Arbeiter und Legionäre schlichen vorsichtig von ihm weg, um ihn nicht zu stören. Ein Fehler, eine Unterbrechung, und die ganze Zeremonie musste von vorne beginnen.
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