Wir müssen unsere Gegner in ihren eigenen Provinzen angreifen. Dort haben wir nichts zu verlieren, sie aber werden in ihren Kampfhandlungen gehemmt sein, denn sie befinden sich inmitten ihres Eigentums und werden sich vor der Unbarmherzigkeit fürchten, die die Vernichtung ihrer Schätze bedeuten würde. Menschen, die in ihren eigenen Mauern kämpfen, sind bereits halb besiegt. Wir haben nichts zu verlieren und können mit jeder Fiber unserer Körper kämpfen.
Sobald die Menschen ihren Besitz in Trümmer sinken sehen, ergreift sie die Panik, und ihre Arme werden schwach. Städte fallen leichter als Schlachtfelder. Wir müssen mit der Demoralisierung rechnen. Außerdem sind unsere Widersacher überfüttert und dekadent. Uns aber hat ein entbehrungsreiches Leben abgehärtet. Ihnen wird mehr daran liegen, die Unversehrtheit ihrer Schätze zu wahren, als einen verlustreichen Sieg zu erringen.
Ich wiederhole nochmals: Wir haben nichts zu verlieren und alles zu gewinnen. Und da wir nur von dem einzigen Gedanken beseelt sind, zu siegen, werden wir gewinnen.“
Und dann unterbreitete er ihnen mit unendlicher Umsicht all seine erstaunlichen Pläne, die er in Gedanken schon längst umrissen hatte. Sie hörten ihn betroffen und bewundernd an, und wieder erfaßte sie wilde Erregung. Schon fühlten sie sich als Sieger. Es fiel ihnen schwer, sich zu beherrschen. Temudschin aber war kalt wie Eis und unerbittlich wie der Tod. Er empfand nicht die leiseste Erregung. Dazu war seine Selbstsicherheit zu groß.
In jener Jurte in dem leeren, grenzenlosen Ödland wurde das Geschick der ganzen Welt entschieden, und die Geschichte stand abwartend daneben, hob die Feder und begann zu schreiben. Sie war selbst davon beeindruckt, daß es in der Hand dieser Barbaren lag, das Los von Millionen Menschen zu entscheiden, und rief sich ins Gedächtnis, daß es immer nur die gleiche alte Mär, die gleiche blutige Wiederholung war.
Viel später erst, als der Mond über den erschöpften, aber immer noch ekstatischen Männern zu verbleichen begann, sprach Temudschin von Jamuga. Und seine Khane lauschten entsetzt dem Bericht des Verrates, den der eigene Blutsbruder an ihrem Herrn begangen hatte, und hörten seinen ruhigen, unbewegten Worten zu.
„Wenn sich in einem Heer ein verräterischer General oder Offizier befindet, ist das gesamte Heer gefährdet. Jamuga Sechen hat nicht nur mich, sondern auch euch und das gesamte Volk verraten. Er ist unsere Gefahr, unser schwacher Punkt, unser Feind. Und deshalb muß er sterben. Unser erster Angriff muß ihm gelten. Es wird ein rasch errungener Sieg sein, denn er wird niemand haben, der ihm hilft. Auch hier wieder müssen wir uns auf das Überraschungsmoment und unsere Schnelligkeit verlassen. Sobald er vernichtet ist, können wir unseren Feldzug fortsetzen.“
Viele erinnerten sich noch an die Geschichte der innigen Freundschaft zwischen den beiden Männern und ihrer leidenschaftlichen Zuneigung, und sie hörten jetzt neugierig zu.
Wenn sie aber das geringste Anzeichen von Kummer oder Bedauern auf Temudschins Gesicht erwartet hatten, wurden sie enttäuscht. Denn sie sahen keine Erregung, keine Qual in diesem Antlitz. Er sprach von Jamuga wie von einem Hund, der ihn angefallen hatte.
Und dann erfaßten sie, daß dieser Feldzug gegen Jamuga mehr zu bedeuten hatte als die Vernichtung eines Verräters.
Es sollte eine dunkle, unersättliche Rache erfüllt, eine Übertretung in Blut getilgt werden, und für Temudschin konnte daraus keine Freude, sondern einzig Pein erwachsen.
XVIII
Borteis Schadenfreude war grenzenlos, als sie von Jamugas Verrat erfuhr.
„Mein Gebieter!“ rief sie Temudschin lachend zu, daß die beiden Reihen ihrer weißen Zähne wie die einer Wölfin glitzerten. „Habe ich es dir nicht gesagt! Aber du wolltest nicht auf mich hören. Du hast gedacht, ich hegte eine heimliche Feindschaft gegen deinen geliebten Blutsbruder. Ich sei eine Närrin, hast du gesagt! Aber sieh! Nicht ich war es, der es an Einsicht gebrach!“
Der Haß gegen Jamuga flackerte wie bleiches Feuer in ihren Augen. Die Aussicht, sich an diesem Mann rächen zu können, machte sie verrückt, wie der Anblick von Blut ein wildes Tier reizt. Sie war außer sich vor Entzücken.
„Wirst du ihn hierherschaffen, damit du ihn hier bestrafen kannst?“ bat sie nachdrücklich. Sie stellte sich vor, wie Jamuga in siedendes Öl geworfen und von wilden Pferden in Stücke gerissen wurde, und ihr Gesicht glühte, und ihre Nasenflügel weiteten sich.
Temudschin sah sie an, ohne etwas zu sagen. Seine undurchdringliche Miene gewährte ihr keinerlei Antwort. Etwas in seinem Blick aber beschämte sie flüchtig.
In diesem Augenblick betraten Kurelen und Houlun Temudschins Jurte. Temudschin musterte seine Rüstung mit peinlicher Genauigkeit. Kurelen bemerkte, daß er geistesabwesend war. Er vernahm die letzten Worte Borteis, und Temudschins Benehmen ließ einen kleinen Hoffnungsfunken in ihm aufzucken. Auch seine Schwester hatte Bortei vernommen. Die gebieterische, alternde Frau warf der Gemahlin ihres Sohnes einen abscheuerfüllten Blick zu und sagte:
„Schick das Weib fort, Temudschin. Wir haben mit dir zu reden.“
Bortei wurde bei dieser Beleidigung von wilder Wut erfaßt. Sie wandte sich Houlun und Kurelen zu, und der nackte Haß, der seit Jahren heimlich in ihr geglüht hatte, stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Wenn Jamuga Sechen an unserem Gebieter Verrat begangen hat und bestraft wird, dann sollt auch ihr beiden bestraft werden! Denn immer habt ihr gesagt, er sei kein Verräter, und stets habt ihr ihn vor dem gerechten Zorn beschützt.“
Houlun sah sie mit eisiger Würde an. „Ich sage nach wie vor, daß er kein Verräter ist. Geh jetzt, Weib. Ich befehle es dir.“
Aber Bortei sah Temudschin mit triumphierendem Lächeln an.
Da tat er, als hätte er erst jetzt die Gegenwart der beiden bemerkt.
„Ah“, sagte er sinnend und legte sein Schwert nieder. Er lächelte sogar ein wenig, und Kurelen sah mit frischer Hoffnung, wie angespannt sein Gesicht trotz seiner Ruhe war, und wie fiebrig seine Augen glänzten. Er wandte sich seiner Gemahlin zu und sagte gutmütig: „Laß uns allein, Bortei.“
Sie war fassungslos und empört. Mit ausgestrecktem Finger wies sie auf den alten Mann und die Frau. „Aber diese beiden sind Verräter, mein Gebieter! Sie kommen, um Gnade für einen Verräter zu erbitten!“
Kurelen lächelte müde. Houlun aber maß Bortei mit wilder Verachtung und schwieg.
Temudschin legte seiner Frau die Hand auf die Schulter und versetzte ihr einen derben Stoß. „Laß uns allein, Bortei“, wiederholte er.
Sie brach in wütende, enttäuschte Tränen aus. Flehentlich sah sie Temudschin an, aber etwas in seinem Gesicht brachte sie zum Schweigen. Sie verließ die Jurte, aber schleuderte im Vorbeigehen Houlun noch einen gehässigen, siegessicheren Blick zu.
Dieser Blick belustigte Houlun, und ihre starren Züge entspannten sich in flüchtigem Lächeln. Dann kehrte ihr strenger Ausdruck wieder und sie betrachtete ihren Sohn wie eine hochmütige Priesterin, die im Begriff steht, die vernichtenden Worte zu sprechen.
„Du willst deinen Blutsbruder ermorden?“ fragte sie brutal.
Temudschin sah sie nachdenklich an, und sein Mund verzog sich feindselig.
„Einmal hat er dich ob deiner losen Zunge verhaftet“, sagte er. Plötzlich lachte er kurz und laut auf und kehrte ihr den Rücken.
Houlun errötete, aber sie sagte unbeirrt: „Du willst ihn ermorden?“
Temudschin sah sie lässig über die Schulter an. „Subodai und einige seiner Krieger sollen ihn festnehmen. Sie werden ihn hierherbringen.“
„Du gehst nicht selbst?“ fragte Kurelen überrascht.
„Nein. Täte ich es, dann würde ich dem Verräter damit zu große Bedeutung beimessen. Er wird hier als unwichtiger Schädling vor Gericht gestellt werden.“
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