Fritz Skowronnek - Herd und Schwert

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Fritz Skowronnek

Herd und Schwert Ein Roman aus Ostpreußen

Erster Teil

1. Kapitel

Herr von Rosen auf Berschkallen hatte das Zeitliche gesegnet. Von seinem Wahlspruch: ‘Lustig gelebt und selig gestorben, hat dem Teufel die Rechnung verdorben’, hatte er nur den ersten Teil befolgt. An der Erfüllung des zweiten Teils hatte ihn sein plötzlicher Tod verhindert. Zur gewohnten Stunde, pünktlich wie immer, war er nachts um zwei Uhr von seinem Jugend- und Busenfreund Braczko heimgekehrt, hatte sich vergnügt zu Bett gelegt und war sanft eingeschlafen…

Nicht einmal die gewohnte Stellung, auf der rechten Seite, das linke Bein über das Deckbett geschlagen, hatte er geändert. Mehrmals war sein alter Diener Jons durch das verdunkelte Zimmer gegangen und hatte nicht gewagt, den Schlummer seines Herrn zu stören.

Erst als es zu Mittag ging, hatte er sich entschlossen, an das, Bett zu treten und halblaut zu sagen:

»Gnädiger Herr, es ist Zeit, aufzustehen.«

Wie der Blitz war die Erkenntnis in ihn eingeschlagen, dass sein Herr nicht mehr unter den Lebenden weilte. Da hatte er sich auf den Bettrand gesetzt und hatte lange das stille Gesicht betrachtet, das im Tode noch ebenso jovial gutmütig aussah wie im Leben. Dann hatte er sich die Tränen abgewischt und war mit ruhiger, unbeweglicher Miene, wie sie ihm in seinem Beruf zur Gewohnheit geworden war, zur Gnädigen ins Zimmer getreten und hatte gewartet, bis sie nach seinem Begehr fragte.

»Melde gehorsamst, dass der gnädige Herr sanft eingeschlafen ist.«

Die alte Dame lehnte sich in ihrem Fahrstuhl zurück und schloss die Augen.

Leise fuhr Jons fort:

»Der gnädige Herr sind ganz sanft eingeschlafen. Wie er sich zu Bett gelegt hat, liegt er noch jetzt.«

Ein müdes Kopfnicken.

»Schicken Sie mir Grundmoser her.«

Eine kleine Handbewegung; er war entlassen.

Schweigend machte Jons kehrt und ging hinaus, um seinem Herrn den letzten Dienst zu erweisen, ihn zu waschen und anzukleiden.

Bald nach Mittag wurde der schwere schmucklose Eichensarg aus dem Kirchturm, wo er schon jahrelang in fester Umhüllung bereit stand, geholt, und als der trübe Herbstabend herabsank, war der Gutsherr von Berschkallen auf der Diele aufgebahrt. Ein Dutzend armdicker Wachslichter spendeten ihm das letzte Licht auf dieser Erde.

Bald nach dem Abendbrot kam sein Freund Braczko. Seit rund zwanzig Jahren hatte es kaum einen Abend gegeben, an dem die beiden nicht ihren Rotspohn miteinander getrunken hätten. Den einen Abend in Berschkallen, den anderen in Keimkallen.

Viel gesprochen wurde dabei nicht, selbst das Zuprosten hatten sie sich im Laufe der Zeit abgewöhnt, es genügte ja, wenn einer das Glas zum anderen erhob. Nur gegen ein Uhr pflegte der Gastgeber zu fragen: »Nehmen wir noch eine?«

Das war auch überflüssig, denn es pflegte nie vorzukommen, dass der andere die Frage verneinte.

Braczko hatte kein Wort gesagt, keine Frage getan, als er vom Wagen stieg. Der helle Lichterschein, der ihm von der Diele entgegen strahlte, sagte ihm alles. Still trat er an den Sarg und strich dem toten Freund über das stille Gesicht.

»August, warum hast du mich verlassen? Was soll ich armes Wurm jetzt allein anfangen? Das Beste war’, wenn Er mich jetzt auch holte.«

Dann hatte er sich in den Ledersessel am Kamin niedergelassen, in dem er immer zu sitzen pflegte. Jons hatte ihm wie immer die gewohnte Marke Rotwein gebracht und das erste Glas eingegossen, das Braczko zu seinem Freund hob…

Von den Wänden der Diele sahen sie Jagdtrophäen, die das alte Geschlecht im Laufe von vier Generationen zusammengebracht hatte, auf den Letzten des Stammes herab, der die letzten Stunden unter seinem Dache weilte. Da hingen ausgestopfte Köpfe vom Elch, Hirsch und Wildschwein, dazwischen mächtige Geweihe und altes Gewaffen, wie man es früher im Nah- und Fernkampf gegen starkes Wild gebrauchte.

Drei Nächte hielt Braczko bei seinem toten Freund und Rotspohn die Leichenwacht.

Das letzte Glas, das er ausgetrunken hatte, warf er in den leeren Kamin, dass es in tausend Scherben zersplitterte…

Das war weiter nichts als das Symbol für das Ende einer unwandelbaren treuen Freundschaft, nicht etwa die Bekräftigung eines Gelübdes zur Enthaltsamkeit, denn Herrn Braczko auf Keimkallen hat der Rotspohn noch manches Jahr gemundet…

Am meisten Arbeit von dem Todesfall hatte Fräulein Marie Brinkmann, die »Mamse1lchen«, wie sie als Beherrscherin der Küche genannt wurde, denn es wurde gesotten, gebraten und gebacken, wie es zu einem großen Schmaus erforderlich ist. Die Margellen 1 1 Margell: Lituanismus für junges Mädchen. , die den Kuchenteig kneteten und walkten, mussten, wie es die alte Sitte verlangte, tüchtig dabei juchzen, damit der Kuchen gut geriet, denn Mamsellchen wollte auch beim Begräbnis ihres Herrn mit ihrer Kunst Ehre einlegen.

Mehr als anderswo haben sich dort hinten, fern im Osten, wo der deutsche Grundbesitz treue Macht hält gegen das andräuende Moskowitertum, die allen Gebräuche erhalten. Das Begräbnis ist nicht bloß ein Akt stiller Teilnahme für die Leidtragenden, sondern ein Opferfest, für den Entschlafenen, dem man bei kräftigem Schmaus und Trunk die rühmenden Nachreden nachschickt … ein Überrest aus den Zeiten des Heidentums, als man dem Tod noch nicht so wehleidig gegenüberstand als jetzt … Vielleicht muss man hier die Gegenwart ausnehmen, die uns wieder gelehrt hat, den Tod als die Krönung der Tapferkeit und Pflichterfüllung im Dienste des Vaterlandes zu bewerten …

Der kleine Kirchhof hatte nicht hingereicht, die Menge zu fassen, die dem Herrn von Berschkallen das letzte Geleit gegeben hatte.

Rings um den niedrigen Zaun standen die Menschen in dichten Reihen.

Auf der Diele am offenen Sarge hatte der Pastor Schimkus dem entschlafenen Jugendfreunde, der ihn von der Hochschule nach bestandenem Examen zum Seelsorger seiner Gutsleute berufen hatte, die Leichenrede gehalten. Er konnte ihm nachrühmen, dass er ein tüchtiger Wirt und seinen Leuten allzeit ein gütiger Herr gewesen, dem droben im Himmel ein gerechter Richter den gebührenden Platz in Abrahams Schoß anweisen würde.

Über den reichlichen Abendtrunk seines Gutsherrn dachte er wohl ebenso milde wie jener Kandidat, der die heikle Aufgabe zu erfüllen hatte, in der Probepredigt gegen Völlerei und Schlemmerei zu sprechen und auf den anwesenden Schlossherrn, der die Freuden der Tafel sehr liebte, die Nutzanwendung zu machen. Seine beiden Mitbewerber hatten sich mit Ach und Krach um die Aufgabe herumzudrücken versucht.

Er jedoch donnerte wie ein Held gegen die faulen Bäuche, dass alle Hofschranzen, vom Hofmarschall bis zum Diener, vor Schrecken erbleichten. Und dann kam die Nutzanwendung auf den gestrengen Patron:

»Was aber unseren allergnädigsten Landesherrn betrifft, der hat’s, dem schmeckt’s, wohl bekomm’s ihm, amen!«

Der weißköpfige Schimkus machte sich die Sache noch leichter. Er stellte dem fröhlichen Genießen des Lebens und all der guten Gottesgaben, die auf dieser Erde zu finden sind, die ernste Arbeit gegenüber, die der Entschlafene als Verwalter einer großen Begüterung mit sichtlichem Erfolg und reichlichem Segen geleistet hatte. Mit der von christlicher Anschauung gebotenen Einschränkung, dass wir allzumal Sünder sind und vor Gott des Ruhmes ermangeln, war auch dem Gerechtigkeitsgefühl aller Anwesenden reichlich Genüge geschehen.

Mit stillem, unbewegtem Gesicht saß die nun verwitwete Frau Christine von Rosen in ihrem Rollstuhl. Eine Erkältung bei einem schweren Gichtanfall, der ihr die Knie verkrümmt hatte, hatte ihr auch das Augenlicht geraubt … Nur ein schwacher Schimmer drang noch in ihre Augen…

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