1 ...6 7 8 10 11 12 ...15 Lara
…
Christian
Warum sagst du nichts?
Lara
Ach, ich weiß nicht. Ich gebe dir recht, dass Flo verliebt gewirkt
hat, aber Dio ist mir seltsam vorgekommen. Irgendwie nervös.
Christian
Was dir immer auffällt.
Lara
Sie hat es gut überspielt.
Christian
Und was meinst du, ist los?
Lara
Weiß ich doch nicht.
Christian
Glaubst du, sie hat was laufen?
Lara (sieht zum Fenster hinaus)
Christian
Sag schon!
Lara
Was weiß ich, sie ist mir einfach komisch vorgekommen.
Christian
Mist, 23:57. Ich wollte um Mitternacht im Bett liegen.
Lara
Wir sind doch gleich da, liegst du eben um halb eins im Bett.
Christian
Ich möchte nur ausgeschlafen sein. Morgen habe ich das Treffen mit den neuen Getränkelieferanten, da muss ich einen guten Deal aushandeln, und anschließend kommen die Kinder zu uns.
Lara
Wie lange bleiben sie?
Christian
Wenn Jens nicht wieder die Krise bekommt, bis Sonntagabend.
Lara
Weißt du was? Ich frage Hexe Martha, ob sie nicht gleich morgen Zeit hat. So wie Flo und Dio sie immer beschrieben haben, scheint sie eine beruhigende Wirkung auf ihre Umgebung zu haben. Vielleicht kocht sie für uns, weil Jens ja nichts von mir isst.
Christian
Ha, ein Parkplatz direkt vor dem Haus.
Lara
Die Lücke ist zu klein.
Christian
Wart’s ab.
Lara
Saubere Leistung.
Christian
Dankeschön!
….
Okay, machen wir’s!
Lara
Was?
Christian
Martha fragen, ob sie morgen Zeit hat.
Zwischenluft und Zaubersprüche
Das Theater hatte sich über das feuerpolizeiliche Verbot hinweggesetzt und die Leuchtanzeigen über den Ausgängen abgeklebt. Die Dunkelheit war dadurch so vollkommen, dass sich kein noch so schwacher Schemen aus dem Schwarz löste. Und das wirkte. Die Zuschauer unterdrückten jedes Geräusch, niemand hüstelte, kramte in seiner Tasche oder griff nach seinem Handy. Es war, als würden alle gemeinsam die Luft anhalten – und mit der Luft auch die Zeit.
»Bis neunundneunzig«, hatte der Regisseur gesagt, und Zora zählte stumm ins Schwarz, ließ sich nicht hetzen von der Stille, türmte die Ziffern langsam auf, freute sich, wie der Turm aus Zeit vor ihr wuchs … siebenundneunzig, achtundneunzig, neunundneunzig. Mit einem Knall, den nur sie hörte, stürzte der Zahlenturm in sich zusammen, und Zora begann:
Lötsch gibt an, beim Aufwachen das Gefühl zu haben, vom Tag hämisch angegrinst zu werden. So als würde der Tag ihm nicht das Geringste zutrauen .
Beim Wort angegrinst ging der Spot auf Zora an. Sie trug einen weißen Arztkittel und sprach in ein Diktaphon:
Das sei auch der Grund, so Lötsch weiter, warum er oft den ganzen Tag sein Bett nicht verlasse .
Zora zündete sich eine Zigarette an. Als sie den Rauch langsam Richtung Decke blies, die Kringel tanzten um ihre Gedanken im Licht des Spots, kam aus dem Dunkel plötzlich die Stimme eines Mannes:
Wenn der Tag mich nicht will, ich kann warten .
Nikolaus Kramer war eigentlich Filmregisseur, von der Kritik geschätzt, an den Kinokassen aber nur mäßig erfolgreich. Jetzt inszenierte er erstmals am Theater. Für sein Stück Der Tag beginnt um Mitternacht hatte er monatelang in Psychiatrien recherchiert: Vierundzwanzig Stunden im Leben eines Borderliners.
Lötsch gibt an, schon seit Jahren nur noch in seinem Fauteuil und bei laufendem Fernseher zu schlafen .
Zora hatte sich an ihren Schreibtisch gesetzt, in der Hand hielt sie noch immer das Diktaphon. Dann versank sie plötzlich im Schwarz, ein anderer Spot biss sich in die Dunkelheit, ein Mann saß auf dem Sessel vor Zoras Schreibtisch:
Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal in meinem Bett geschlafen habe. Es ist mir fremd, so unbenutzt, wie es dasteht. Wie in den Musterschlafzimmern eines Möbelhauses. Wo die Betten und die Nachtkästchen und sogar die Bettwäsche und Polster Namen haben, als würden sie leben .
Dieses Mal bleibt der Spot auf dem Darsteller des Lötsch, und Zoras Stimme kommt aus dem Dunkel:
Lötsch gibt an, seinem Bett den Namen René und seinem Nachtkästchen den Namen Kevin gegeben zu haben .
Der Mann sitzt da und sieht mit unbewegter Miene seiner Stimme hinterher, wie einem Kind, das zum ersten Mal alleine über die Straße geht. Erst wenn es ein Satz sicher auf die andere Seite schafft, kommt der nächste:
Alles unbrauchbare Namen für die nicht mehr gebrauchten Dinge .
Als Zora gehört hatte, dass Nikolaus Kramer am Theater inszenieren würde, bewarb sie sich sofort und ohne noch zu wissen, worum es in dem Stück ging. Sie hatte jeden seiner Filme zumindest zweimal gesehen und hätte noch die kleinste Nebenrolle angenommen, um mit ihm zusammenarbeiten zu können. Nur gab es in dem Stück keine Nebenrollen, sondern nur Psychiaterin oder Zuschauerraum. Zora ging zum Vorsprechen, im Rücken ein Jahr, in dem nichts funktioniert hatte, und dann ließ Kramer sie im Dunkeln stehen, und Zora, die nichts so sehr gewohnt war wie die Abwesenheit von Licht, fühlte sich auf Anhieb wohl im tiefen Schwarz, so wohl wie keine vor ihr, und nach ihr wollte Kramer gar keine andere mehr sehen.
Auf der Bühne taucht eine schwarze Katze auf und streift Lötsch um die Beine.
Lötsch erzählt häufig vom Kater seiner alten Nachbarin, der ihr immer wieder entwischt und dann durchs Stiegenhaus streift und an seiner Tür kratzt. Er gibt an, dass es ihm guttue, sich um das Tier zu kümmern. Offensichtlich hat es eine stabilisierende Wirkung auf ihn .
Der Spot wechselt auf Zora, aus der Dunkelheit heraus dringt Lötschs Stimme: Mein Glück kommt auf leisen Pfoten, hört gut und ist schwarz wie Pech .
Eine Zusammenarbeit wie die mit Nikolaus Kramer hatte Zora nicht gekannt. Andere Regisseure waren zur Premiere hin immer unsicherer und hektischer geworden, manche hatten sogar im letzten Moment ihr ganzes Konzept infrage gestellt und dann Tag und Nacht geprobt, um das Stück doch noch irgendwie auf die Bühne zu bekommen. Kramer hingegen war, je näher die Premiere rückte, immer ruhiger geworden. Und als er zufrieden war, hatte er die Proben beendet und Zora und ihrem Kollegen die fünf Tage bis zur Premiere freigegeben.
Zora war mittlerweile aufgestanden und ging hinter ihrem Schreibtisch auf und ab. Wer genau hinsah, merkte, dass sie das Diktaphon nicht mehr hielt, sondern sich festhielt an ihm:
Lötsch erzählt, dass er sich gerne an Orten mit Aussicht aufhält, weil er gerne hoch über oder weit weg von allem ist. Weil er es möge, so Lötsch weiter, wenn zwischen ihm und den Dingen Luft ist .
Und dann fiel ihr Lötsch aus dem Dunkel ins Wort:
Leider ist nicht immer Verlass auf diese Zwischenluft. Dann kommen die Dinge auf mich zu und immer näher und es gibt viel zu viel Welt auf einmal .
Lötschs Stimme machte den Raum eng, rückte näher wie die Dinge, und Zora ging dagegen an:
Die Gedanken, erklärt Lötsch, schauen nur noch kurz vorbei in seinem Kopf, bleiben aber nicht mehr .
Der Spot sprang zurück auf Lötsch, der mit unbewegter Miene dasaß. Seine zunehmend manischer werdende Stimme kam jetzt vom Band. Er nickte zu dem, was er sich sagen hörte. Langsam, als wäre er ein anderer.
Meine Gedanken laufen in alle Richtungen auseinander. Als wären sie auf der Flucht. Ich weiß aber nicht, wovor sie Angst haben. Vielleicht sind sie aber auch auf der Suche nach etwas. Aber was, aber was, aber was? Keine Ahnung. Weiß nicht. Nur weiter. Und weg .
Die Spannung zwischen dem lethargisch dasitzenden Lötsch und seiner sich überschlagenden Stimme war kaum auszuhalten. Die knisterte. Sprühte Funken. Stellte Haare auf. Und dann ging das Licht gleichzeitig mit Lötschs Anfall an, und das gesamte Publikum war offener Mund, große Augen, angehaltener Atem und Hände, die sich um Armlehnen krampften. Sekunden brauchten die Zuschauer, um zu sich zurückzufinden, dann brach der Applaus aus wie eine Explosion. Als wäre das Klatschen nicht Lob, das sein konnte, sondern Befreiung, die sein musste. Das Publikum schüttelte seine Gänsehaut ab, und Zora wusste zum ersten Mal, was Theater ist.
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