Wolfgang Popp - Wüste Welt

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Ein Roadtrip durch Marokko oder Auf der Suche nach dem verlorenen Bruder. Was sich für die meisten von uns wie eine wünschenswerte und entspannte Abwechslung vom grauen Alltag anhört, entwickelt sich für den Erzähler in Wolfgang Popps Roman »Wüste Welt«, zu einer abenteuerlichen Schnitzeljagd.
Zwei Jahre lang hatte der Protagonist, ein Wiener Musiker, keinen Kontakt mehr zu seinem Bruder. Dann erhält er ein rätselhaftes SMS mit dem Hinweis auf dessen gegenwärtigen Aufenthaltsort: Marokko. Ohne zu zögern bucht er einen Flug nach Agadir, von seinem Bruder fehlt dort jedoch jede Spur. Eine abenteuerliche Reise quer durch das ganze Land beginnt. Der verschwundene Bruder bleibt ungreifbar, hinterlässt Hinweise und Spuren und ist ihm immer einen Schritt voraus. Wir folgen dem Erzähler nach Tafraoute ins Antiatlas-Gebirge, in die dunklen Gassen von Sidi Ifni und durch die felsige und sandige Wüste bis an die Atlantikküste.
Wie schon bei der Arbeit zu »Die Verschwundenen« ist Wolfgang Popp auch dieses Mal auf den Spuren seiner eigenen Romanfigur nach Marokko geflogen, um den Orten und den dort erlebten Situationen die Gelegenheit zu geben, sich selbst in die Handlung einzuschreiben.

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That is life Thats what it is People like me come along when you are not - фото 1
That is life Thats what it is People like me come along when you are not - фото 2

That is life. That’s what it is. People like me come along,

when you are not looking.

The Drop (Regie: Michaël R. Roskam)

In the desert he can make himself invisible and travel

at the speed of sound. And he is dressed like a woman.

Jauja (Regie: Lisandro Alonso)

Ich wollte irgendwohin, wo Bäume waren.

Alejo Carpentier, Die verlorenen Spuren

Schwarz. Ohne Zucker.

Die Stewardess schenkt den Kaffee ein und reicht mir die graue Plastiktasse.

Schlanke Finger, die Nägel kurz geschnitten, farblos lackiert. Menschen mit schönen Händen haben bei mir einen Vertrauensvorschuss.

Waren Sie vor einer Woche auch auf diesem Flug, frage ich sie.

Sie sieht mich an, versucht wohl abzuschätzen, ob das eine billige Anmache sein soll.

Nein. Bis letzte Woche bin ich Transatlantik geflogen, sagt sie. New York. Boston. Chicago. Ich bin heute das erste Mal nach Agadir im Einsatz. Warum?

Nicht so wichtig, sage ich. Es geht um einen Bekannten.

Sie nickt, löst die Bremse des Servierwagens und schiebt ihn eine Reihe weiter.

Ich greife zur Innentasche meiner Jacke. Spüre das Foto meines Bruders. Und lasse es, wo es ist.

Vier Stunden Flug bis Agadir. Die rote Erde im Norden Spaniens, die Turbulenzen, während wir an der Costa Brava entlangfliegen, die Windräder auf den Hügeln hinter Valencia. Und nur wenig später Berge, die aussehen wie Haufen aus Staub. Es ist mindestens zwei Jahre her, dass ich irgendetwas von meinem Bruder gehört oder gesehen habe. Und dann plötzlich vor einer Woche dieses geheimnisvolle SMS.

Der Flug vergeht überraschend schnell. Mich stört nur mein eingerissener rechter Daumennagel, passiert in der Früh beim Packen, und ich fahre unentwegt mit dem Zeigefinger über die Stelle. Als die Stewardess mit den schönen Händen vorbeikommt, bestelle ich noch einen Orangensaft.

Ich habe nachgefragt, sagt sie, als sie mir den Plastikbecher reicht. Keine meiner Kolleginnen ist heute vor einer Woche an Bord gewesen. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann.

Wäre nicht notwendig gewesen, sage ich. Aber vielen Dank.

Hat schon seine Richtigkeit, dass Menschen mit schönen Händen bei mir einen Stein im Brett haben.

Wir drehen kurz vor der Küste und sinken dann langsam im Gegenwind. Die Wolken werden immer dichter. Als wir landen, ist der Himmel bedeckt. Die Grenzbeamten im Flughafengebäude agieren mit einer abweisenden Ernsthaftigkeit. Jeder einzelne von ihnen ein Gott, schwer damit beschäftigt, die Welt am Laufen zu halten. Keine Ahnung haben die, dass mein Bruder derjenige ist, der macht, dass die Welt sich dreht. Und zwar um ihn und ausschließlich um ihn.

Die Autovermietung befindet sich in einer winzigen Koje. Hinter dem Tresen sitzt ein Mann und liest Zeitung: Er ist Ende fünfzig, hat kurz geschnittenes, grau meliertes Haar und trägt einen gelben Pullover. Er schiebt mir ein Formular und einen Kugelschreiber herüber. Ich fülle das Blatt aus und drehe es dann so, dass er meine Angaben lesen kann. Tippe mit dem Kugelschreiber auf meinen Nachnamen.

Hat vor einer Woche ein Mann mit diesem Namen ein Auto bei Ihnen gemietet?

Ich bin sein Bruder, sage ich noch, als er mich zögernd ansieht.

Der Mann öffnet eine Schublade und holt einen Aktenordner heraus. Er blättert vor und zurück. Die gleiche rituelle Langsamkeit wie die Grenzbeamten vorhin. Schließlich bleibt er bei einer Seite hängen, an der er vorher bestimmt schon zweimal vorbeigeblättert hat.

Ach ja, sagt er, jetzt erinnere ich mich wieder. Übers Internet hat er den Wagen für zwei Wochen bestellt, aber als er dann hier war, hat er gemeint, er braucht den Wagen länger, vielleicht sogar bis zum Sommer.

Geht das denn, frage ich. Ein Auto zu mieten und kein genaues Rückgabedatum zu nennen.

Warum nicht, sagt der Mann, wir haben seine Kreditkartennummer, er kann das Auto haben, so lange er will.

Ist was mit Ihrem Bruder, fragt er dann noch.

Nein, sage ich und denke: nicht mehr als sonst.

Dann verlangt der Mann Pass und Führerschein von mir, beugt sich wieder über das Formular und vergleicht die Angaben. Er gibt mir die Ausweise zurück, zusammen mit dem Autoschlüssel und den Papieren, und erklärt mir den Weg zum Parkplatz.

Ich bedanke mich, nehme meine Tasche und gehe zum Ausgang. Gerade als sich die Schiebetür öffnet, höre ich, dass mir der Mann etwas nachruft. Er lehnt sich weit aus seiner Koje und winkt mit einem Buch in der Hand.

Das hat Ihr Bruder liegen gelassen. Als er den Wagen gemietet hat.

Er gibt mir das Buch. Ein Schritt ins Leere. Ein Agatha-Christie-Roman, von dem ich noch nie gehört habe.

Das ist nicht von meinem Bruder, sage ich.

Doch, bestimmt, sagt der Mann.

Nehme ich das Buch eben mit. Auch wenn ich mit Sicherheit weiß, dass es nicht meinem Bruder gehört. Der liest nämlich keine Romane. Hat er noch nie gemacht. Lieber sich in der Welt verlieren als zwischen zwei Buchdeckeln, das war immer sein Motto.

Danke, sage ich und rolle das Buch zusammen, sodass es in meine Jackentasche passt. Ich werde es wegwerfen, sobald ich außer Sichtweite bin.

Der Parkplatz ist klein, es gibt nur eine Reihe mit Mietautos. Ich finde den Wagen auf Anhieb und verstaue meine Tasche im Kofferraum, meinen kleinen Rucksack stelle ich auf den Beifahrersitz. Ich starte, und als ich den Gang einlege, spüre ich Agatha Christie in meiner Jackentasche. Ich stelle den Motor wieder ab, ziehe das Buch hervor und blättere die Seiten durch. Da ist nichts. Keine Notiz, kein eingelegter Kassenzettel, kein Foto. Doch dann finde ich hinten auf der Innenseite des Buchdeckels eine Eintragung. Hotel Salama, Tafraoute. Und es ist wirklich die Handschrift meines Bruders.

Ich suche die Straßenkarte aus meinem Rucksack, die ich in Wien noch gekauft habe. Ziehe mit dem Zeigefinger eine immer größer werdende Spirale um Agadir auf der Suche nach diesem Tafraoute. Da ist es, liegt mitten in einem Gebirge, das Antiatlas heißt. Antiatlas. Das passt so was von gut zu meinem Bruder. Der ist auch ein Anti. Ein Mann, der alles anders macht als die anderen. Einer, der aus Prinzip auf der anderen Seite steht, dort, wo das Gras grüner ist. Dieses Tafraoute liegt geschätzte hundertfünfzig Kilometer südlich von hier. Es ist erst früher Nachmittag. Selbst bei schlechten Straßenverhältnissen sollte ich es heute noch bis dorthin schaffen. Und wenn es tatsächlich ein Hotel Salama in diesem Tafraoute gibt, werde ich die Nacht dort verbringen. Und dann weitersehen.

Die Straße führt anfangs noch eben dahin. Es ist windig. In den Stacheln der Feigenkakteen hängen blaue und rosa Plastiksäckchen. Dann steigt das Land langsam an, die ersten zaghaften Serpentinen. Am Straßenrand niedere, gerade einmal kniehohe Steinmauern, dahinter vereinzelt Bäume, steinalt und knorrig, mit seltsam nadeligen Blättern. Ziegen stehen auf ihren Hinterhufen und versuchen, die olivenartigen Früchte an den Ästen zu erreichen. Dann tauchen am Horizont rote Granitfelsen auf, und die Straße wird immer schlechter. Einmal muss ich zwanzig Minuten warten, weil ein Bagger ein tiefes Loch im Asphalt zuschüttet.

Dann wird es wirklich steil, die Serpentinen immer enger, nach endlosen Kehren erreiche ich eine Passhöhe. Kein Baum, kein Strauch, eine Landschaft aus Stein und Erde, in Rot und Braun und allen Schattierungen dazwischen. Ich stelle den Wagen ab und steige aus.

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