Ja, sagte Anni, das ist wahr.
Plotzner zog ein Taschentuch aus der Rocktasche und wischte sich damit den Schweiß von der Stirn. Sie können leicht reden, sagte er, Sie kommen her, spielen ein bißchen Theater und wollen noch Geld dafür, aber ich muß dieses Geld erst verdienen. Ich muß Ideen haben, ich muß mir etwas einfallen lassen, damit die Leute später in die Geschäfte gehen und meine Möbel kaufen und keine anderen. Es sind gute Möbel, und auf das Bett habe ich schließlich ein Patent, es geht ganz leicht auf, auch ohne das Seil, es gibt andere Ausziehbetten.
Und warum machen Sie dann das ganze Theater, fragte Anni.
Junge Frau, entgegnete Plotzner, verstehen Sie denn überhaupt nichts vom Geschäft? Die Leute brauchen das, man muß ihnen etwas bieten, was sie nicht überall sehen. So lang hat man bei uns nichts zu kaufen bekommen, die Geschäfte waren leer, jetzt wird überall angeboten, seit achtunddreißig oder neununddreißig haben die Leute nicht mehr so viele verschiedene Sachen gesehen. Wenn sie von dieser Messe nach Hause kommen, haben sie ein Durcheinander von Sachen im Kopf, die sie alle gesehen haben und die sie sich gerne kaufen würden, wenn sie das Geld dazu hätten.
Aber sie haben ja das Geld gar nicht, sagte Anni, die meisten haben es nicht.
Eben, sagte Plotzner. Jetzt haben Sie ins Schwarze getroffen, junge Frau. Es gibt zwar wieder Leute, die Geld haben, aber die haben auch andere Wohnungen und die brauchen auch keine Ausziehbetten, die Ausziehbetten sind für die kleinen Wohnungen und für die armen Leute gedacht. Die Leute, für die sie erfunden sind, müssen sparen, ehe sie sich ein Möbelstück kaufen können, und weil sie sparen müssen, überlegen sie sich gut, was sie kaufen. Das ist eine Katze, die sich in den Schwanz beißt, junge Frau, das muß ein Geschäftsmann heute bedenken. Sie wissen ja nicht, was ein Geschäftsmann alles bedenken muß. Überall werden jetzt raumsparende Möbel angeboten, überall werden sie gemacht, deshalb ist es wichtig, daß man den Leuten etwas Besonderes bietet, etwas, was ihnen im Gedächtnis bleibt.
Die Leute, die meine Koje besuchen, sagte Plotzner, wissen sehr gut, daß das mit dem Blasen ein Trick ist, sie sind ja nicht blöd. Aber wie dieser Trick funktioniert, das können sie nicht so leicht herausbekommen, das Nylonseil ist ja beinahe unsichtbar, und außerdem ist es unter dem Teppich versteckt, und die Leute achten nur auf das Bett, sie kommen nicht dahinter, wie es gemacht wird, wenn nicht jemand daherkommt wie Sie und den Wandschirm umwirft. Die Leute stehen da und sehen, wie das Bett aufgeht, ohne daß jemand es auch nur anrührt, sie versuchen, dahinterzukommen, wie das funktioniert, aber normalerweise kommen sie nicht dahinter, das freut sie, das bringt Spannung in die Sache. Sie sind dankbar für den gut gemachten Trick, die Leute, das ist fast wie wenn sie im Zirkus gewesen wären, aber sie mußten dazu nicht in den Zirkus gehen und Geld ausgeben, sie haben den Trick ganz umsonst mit dem Eintrittsgeld für die Messe mitgekauft. Und wenn sie dann wieder zu Hause sind, erinnern sie sich daran und reden davon.
Zum Glück ist ja ein ständiges Kommen und Gehen auf dieser Messe, sagte Plotzner, also einmal ist keinmal, die Sache ist nicht so schlimm.
Da bin ich aber beruhigt, sagte Bernhard.
Komm, sagte er zu Anni, wir gehen.
Plotzner packte ihn am Arm. Nein, sagte er, so ist das nicht gemeint. Sie haben mir versprochen, mich abzulösen, ich brauche eine Pause bei diesem Betrieb und bei dieser Hitze, auch meine Frau braucht eine Pause. Wir haben einen Preis für die Stunde ausgemacht. Wo soll ich jetzt, mitten im Messebetrieb, jemand anderen herbekommen?
Sie haben doch einen Sohn, sagte Bernhard.
Der Peter ist im Geschäft, sagte Plotzner. Einer muß im Geschäft sein, sonst machen die Angestellten, was sie wollen. Kommen Sie, sagte er, ich gebe Ihnen einen Schilling mehr für die Stunde.
Das Angebot würde ich annehmen, sagte Judith.
Na ja, meinte Anni.
Also gut, sagte Bernhard, gehen wir.
Ich komme mit, sagte Judith.
Sie schoben sich wieder durch das Gedränge, an dem Mann mit dem Milchtopf vorbei, der Erfinder des Schraubenziehers drehte immer noch Schrauben in ein Stück Holz, die Dame mit dem Strumpfhalter ohne Knöpfe schob ihren Rock hoch und wies auf ihr Bein, der Student, der die Dachziegel anpries, warf ihnen einen vielsagenden Blick zu, er deutete auf die Koje, vor der sich schon wieder die Menge staute. Auf dem Patentbett, das jetzt aufgeschlagen war, lag ein junger Mann, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und täuschte laute Schnarchtöne vor.
Plotzner zog sein Taschentuch aus der Rocktasche, wischte damit über die Stirn und steckte es wieder ein. Wünsche wohl geruht zu haben auf Plotzners Patentbett, sagte er scharf.
Plotzner junior öffnete die Augen und gähnte. Die Menge brach in Gelächter aus. Plotzner senior tat, als wäre die Sache mit Absicht so arrangiert worden, er vermied im Hinblick auf die drohende Blamage einen Familienstreit und nützte die Situation.
Peter Plotzner schüttelte Bernhard und Anni die Hand und entfernte sich, er hatte den beiden den Nebenverdienst in der Möbelkoje seines Vaters vermittelt. Viel Spaß und überarbeitet euch nicht, rief er ihnen noch zu, dann war er verschwunden.
Diesmal lief alles zu Karl Plotzners Zufriedenheit ab. Bernhard hielt seinen Vortrag über die Qualitäten der raumsparenden Möbel, vor allem der Polsterbank, Anni zog im richtigen Augenblick kräftig am Seil, das sich nicht verklemmt hatte, sondern prompt funktionierte. Die Bank glitt lautlos nach vorne und öffnete sich zum Bett, das Publikum staunte und applaudierte.
Plotzner, hinter dem Wandschirm stehend, nickte zufrieden. So müssen Sie es machen, so ist es richtig, sagte er zu Anni, wenn Sie es jedesmal so machen, dann wird es ein Erfolg, dann lasse ich vielleicht mit mir reden und gebe Ihnen noch einen Schilling mehr.
Im selben Augenblick ereignete sich draußen auf dem Podest etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Judith, die unten im Publikum gestanden war und die Vorstellung interessiert verfolgt hatte, sprang, ihren roten Rock mit beiden Händen festhaltend, auf das Podest. Dieses prachtvolle Bett muß man aber auch ausprobieren, rief sie, ich möchte wissen, wie man darauf schläft. Ehe Bernhard es verhindern konnte, war sie, leicht wie eine Tänzerin, auf das Patentbett gesprungen, nicht ohne die Schuhe vorher abzustreifen, hatte, auf und ab hüpfend, die Federung erprobt, sich dann hingelegt, der Länge nach ausgestreckt. Nun räkelte sie sich behaglich auf den rotbraunen Polstern, ihr Rock verrutschte, eines ihrer schlanken Beine wurde bis zum Schenkel hinauf sichtbar, wofür sich vor allem der männliche Teil der Zuschauer mit lautem Beifall bedankte.
Plotzner, der mit geschärftem Ohr die zu diesem Zeitpunkt nicht erwartete Bewegung in der Menge wahrgenommen hatte, lugte durch einen Spalt im Wandschirm, erblickte zwischen den Blättern eines der Gummibäume Judiths roten Rock und Judiths nacktes Bein, wollte erst wütend aus seiner Ecke hervorbrechen, die freche Person von seinem Patentbett verjagen, besann sich dann, blieb still und wartete ab. Er vernahm, wie die Menge, nachdem Bernhard Judith endlich bewogen hatte, sich wieder aufzurichten und das Bett zu verlassen, Unmut darüber äußerte, daß die Vorstellung zu Ende war, dann lachend weiterzog. Erst dann trat er hinter dem Wandschirm hervor und auf Judith zu, die eben dabei war, ihre Schuhe wieder anzuziehen.
Fräulein, sagte Plotzner, Sie verstehen etwas vom Geschäft, Sie müssen das unbedingt wiederholen.
Judith sah ihn erschrocken an. Das fällt mir nicht ein, sagte sie zornig.
Aber Fräulein, sagte Plotzner, haben Sie nicht gesehen, was für ein Erfolg das war?
Judith hörte ihn nicht mehr, sie hatte sich schon durch die Menge gedrängt und lief durch die Halle dem Ausgang zu.
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