sorry, deine mom hat mich gestern wohl zu lang wach gehalten.
Dann tut er so, als wäre er sehr beschäftigt, was sich darin zeigt, dass er sich durch verschiedene Websites klickt und hin und wieder auf sein Handy blickt, als würde er einer dieser beiden Aktivitäten je auf der Arbeit nachgehen. Jemals.
Als es endlich Zeit ist, Lacroix' Büro aufzusuchen, macht er einen Umweg über die Toilette, spritzt sich ein wenig Wasser ins Gesicht, umklammert das weiße Porzellanwaschbecken und starrt sich im Spiegel an. Er hat keinen blassen Schimmer, was passieren wird. Einige Male atmet er tief durch, bevor er sich zu Lacroix' Büro aufmacht und sich bemüht, lässig zu wirken.
Avery bleibt vor dem Schreibtisch von Lacroix' Assistenten stehen. Sein Lächeln ähnelt mehr einer Grimasse als irgendetwas anderem. »Hi.«
Ford bringt ihm den gleichen Gesichtsausdruck entgegen, aber er ist nicht nervös. Er hasst Avery einfach. »Ich hätte hier sein sollen. Damals.«
Avery blinzelt ihn an, verwirrt und zu angespannt, um sich an sein Taktgefühl zu erinnern. »Was zur Hölle soll das heißen?«
»Da ist man zehn Minuten nicht da und ein verrückter Juniorpartner stürmt in das Büro deines Vorgesetzten. Zehn Minuten.«
»Oh. Ähm. Entschuldigung?« Avery zuckt mit den Schultern und weiß nicht, was er dazu sagen soll. Es tut ihm nicht wirklich leid, was selbst ein Idiot feststellen könnte.
»Verrückt«, sagt Ford tonlos. Dann nimmt er den Telefonhörer zur Hand und drückt einen Knopf. »Hextall ist hier. Er sieht nervös aus.«
»Hey!«
Ford nickt, legt auf und deutet mit einer Hand auf die Tür. »Sie können reingehen.« Er wirkt beinahe enttäuscht.
»Danke.« Normalerweise würde Avery ihn anfeixen, aber dieses Mal nicht. Er öffnet einfach die Tür und geht hinein. Hier kann er nur warten, den Blick starr auf Lacroix gerichtet, der hinter seinem Schreibtisch steht.
Lacroix' Miene ist undurchschaubar – wie in Stein gemeißelt – und Avery denkt nicht mehr an seinen Entwurf oder seine Nerven. Er kann sich nur noch auf die Hitze und Aggression konzentrieren, die er sofort spürt, als sich ihre Blicke treffen.
»Setzen Sie sich.«
Für einige lange Sekunden bleibt Avery, wo er ist, einfach, um sich zu widersetzen. Aber seine Nervosität gewinnt schließlich die Oberhand, sodass er sich vor Lacroix' Schreibtisch setzt. Der Briefbeschwerer ist immer noch da, das Innere mattiert und mit rotem Glas durchwunden. Es ist unmöglich, dort hindurchzusehen.
Jemand muss mich vor meinen eigenen Metaphern retten.
Lacroix hantiert vor ihm herum und schiebt geschäftig Unterlagen hin und her. Avery hat ihn noch nie so herumzappeln sehen.
»Das Knight-Zentrum für Performancekunst«, sagt Lacroix. Er wirft Avery etwas zu. Nicht seinen Entwurf mit den verdammten Rotstift-Anmerkungen, sondern einen fein säuberlich geordneten Stapel Dokumente, die von einer Büroklammer zusammengehalten werden. »Das sind die vorläufigen Fragen, die die Investoren zu Ihrem Entwurf gestellt haben. Um drei werden wir sie im Detail besprechen, also wäre es eine gute Idee, wenn Sie sie sich vorher ansehen. Ich gehe davon aus, dass sie Ihren Entwurf annehmen, also machen Sie Ihren Terminkalender für die nächste Zeit frei.«
Avery blickt auf die Unterlagen in seinen Händen und sieht dann zu Lacroix hoch. »Sie machen Witze.«
Lacroix' Lächeln ist nicht so eisig, wie Avery erwartet hatte, als er sich diesen Moment vorgestellt hat. Das macht seltsame Dinge mit ihm. »Drei Uhr, Avery. Kommen Sie nicht zu spät.«
»Ja. Okay.« Es ist nicht sehr elegant und dieser Augenblick ist so gar nicht wie in seiner Vorstellung, aber es ist verdammt noch mal endlich passiert. Heilige Scheiße. Avery grinst. »Oh Mann. Das macht Sie fertig, hm?«
Lacroix wirft einen bedeutungsvollen Blick in Richtung Tür. »Sie haben keinen Grund mehr, hier zu sein.«
Avery ist zu aufgedreht, um zu lachen. Seine Hände zittern. Er will seine Mutter anrufen. Und den Jungen, der in der fünften Klasse gegenüber von ihm gewohnt hat, ihm gesagt hat, dass es doof ist, Häuser zu malen, und Steine nach ihm geworfen hat. Und Harlan. Und Everett, verdammt –
»Hextall.«
Lacroix' Stimme packt seine Aufmerksamkeit, als hätte er ihm einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf geschüttet. Oder ihm ins Gesicht geschlagen.
»Ja?« Fuck. Das war das Letzte, worüber er nachdenken wollte.
»Meinen Glückwunsch.«
Es ist wahrscheinlich der eine Glückwunsch in der Geschichte der Glückwünsche, der sich am wenigsten wie ein solcher anhört, aber Avery ist das egal. Eigentlich macht es das sogar besser.
Auf dem Weg vorbei an Fords Schreibtisch macht er eine Pistolengeste in seine Richtung und sagt: »Wir sehen uns um drei.« Dann lacht er auf dem gesamten Weg zurück zu seinem Büro.
Später hat er noch genug Zeit, sich zu Tode zu sorgen. Jetzt wird er einfach den Moment genießen.
Am Freitagabend schlängelt Avery sich im Madison's durch die Menge.
»Hey, Avery. Hier drüben.« Brandon steht auf, winkt und deutet auf ihren Tisch im hinteren Bereich.
Avery hebt zur Antwort seine Bierflasche und kämpft sich weiter vor, während er Entschuldigungen murmelt und Leuten ausweicht, die zu viert an der Bar stehen. Seine Nerven liegen blank und er will sich einfach nur hinsetzen, ein paar Bier trinken und dann nach Hause gehen und schlafen.
Morgen früh hat er einen Termin am Bauplatz. An einem Samstag. Um sieben Uhr morgens an einem Samstag. Als wäre das nicht schon schlimm genug, muss er mit Lacroix dorthin. Fuck. Was für ein Wochenende ist das denn?
»Mann, kommst du gerade von der Arbeit?« Brandon macht ihm Platz, als Avery den Tisch erreicht, und schenkt ihm einen mitfühlenden Blick. »Ich sollte mich freuen, dass alles, was Lacroix als Projektmanager beim Byrne-Projekt getan hat, war, mich ihrem Bauunternehmer vorzustellen. Er macht nichts, außer Sachen zu unterschreiben.«
Avery nimmt einen großen Schluck von seinem Bier. »Es ist nicht nett anzugeben, Brandon.«
Brandon grinst, zuckt mit den Schultern und nickt dann in Richtung des anderen Mannes am Tisch. »Avery, das ist Justin. Justin, das ist mein Freund Avery, von der Arbeit.«
»Dein schwuler Arbeitskollege.« Justin, der ihm irgendwie bekannt vorkommt, steht auf und reicht ihm die Hand. »Hi. Schön, dich kennenzulernen.«
Avery schüttelt ihm die Hand. »Halb schwul. Und wow, Brandon. Outest mich einfach so. Es gibt da einen Kodex, weißt du?« Er setzt sich, macht es sich bequem und lässt den Lärm und die Energie der Menge über sich hinwegbranden. Das muntert ihn immer auf und weiß Gott, er hat es nötig.
»Ach ja? Ist Deute nicht an, dass mein Freund billige Blowjobs gibt auch ein Teil davon?«
Avery hebt die Augenbrauen und grinst dann. Er mag Justin jetzt schon. »Ja. Vermutlich.«
»Justin. Benimm dich.« Brandon klingt, als könnte er es nicht weniger ernst meinen.
»Nee. Er hat schon recht.« Avery nimmt noch einen Schluck und mustert Justin interessiert. Er ist zu müde, um es unauffällig zu tun, und davon abgesehen ist er eh nicht gut darin. »Du kommst mir bekannt vor. Kennen wir uns?«
Was er damit wirklich meint, ist Wir haben mal miteinander geschlafen, oder? Unangenehm hoch zehn.
Justin wirft Brandon einen Blick zu. »Ooh. Er weiß es nicht.«
Brandon verdreht die Augen. »Nein. Warum sollte er? Du bist so dramatisch.« Brandon beugt sich vor und knufft Justin in den Arm. »Wir sind hier nicht bei den Hatfields & McCoys, Mann.«
Avery blickt zwischen den beiden hin und her. »Wow. Das… Ich habe keine Ahnung, was diese Anspielung bedeutet.«
»Justin kommt dir bekannt vor, weil er Architekt ist.«
Was Erklärungen angeht, ist diese hier ziemlich schlecht. »Ja. Und wir kennen uns alle aus dem Club der Schwulen Architekten. Ich vergaß. Warst du letzten Monat beim gemeinsamen Essen?«
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