»Sei nicht albern, Thomas. Ich mache mir doch bei Besprechungen keine Notizen. Und ich starre dich nicht böse an«, protestiert Avery.
Das ist eine Lüge. Er hatte Brandon das eine oder andere Mal wirklich den Todesblick zugeworfen. Aber das hat nichts mit dem Entwurf und alles mit Lacroix zu tun. Wie kann Avery ihm das begreiflich machen? Sorry, ich hab da diesen unangebrachten Kommentar fallengelassen, dass du Lacroix einen bläst, und hab mir dann bei dem Gedanken einen runtergeholt, dass er mich schlägt und verlangt, dass ich es besser machen soll als du.
Brandon wirkt skeptisch. »Tust du aber. Genau jetzt zum Beispiel.«
»Nein, hör mal. Ich war enttäuscht, okay? Ich habe hart an diesem Entwurf gearbeitet und habe es satt, dass Lacroix meine Designs ablehnt. Aber ich kann nur noch mal betonen, dass das nicht der Grund ist, warum ich dich finster anstarre. Wenn ich das tun sollte. Was nicht der Fall ist«, fügt er hinzu. Und weil Avery ein verdammt schlechter Lügner ist, schiebt er noch nach: »Zumindest nicht absichtlich.«
Brandons Gesichtsausdruck verhärtet sich und sein Mund wird zu einer schmalen Linie. Jetzt sieht er nicht mehr so jung und unschuldig aus. »Also gibt es einen anderen Grund.«
Avery starrt ihn an. Das kann doch nicht wahr sein. Er wird nichts zu diesem Kommentar sagen. Allerdings – fuck. Was, wenn Lacroix ihm davon erzählt hat? Was, wenn der gute Mal Spielchen mit ihnen spielt, intrigiert und die Fäden zieht, als wären sie Marionetten, nur um zu sehen, wie sie sich verhalten? Wenn das stimmt, dann muss Avery zu dem stehen, was er gesagt hat, aber wenn es nicht stimmt, dann bringt er Brandon damit nur gegen sich auf.
Jetzt kann er offenbar weder Gebäude entwerfen noch Freundschaften schließen. Sein ganzes Leben ist eine Lüge, verdammt.
»Du machst es schon wieder.« Brandon sieht inzwischen richtig feindselig aus und Avery hebt den Blick zu dem Sonnenschirm, der in einem kecken Winkel über ihren Tisch geneigt ist. Bevor er sich eine Antwort überlegen kann, sagt Brandon tonlos: »Also weißt du wahrscheinlich davon und hast ein Problem damit.«
»Warte. Was?« Averys Aufmerksamkeit springt sofort zu ihm zurück. Das kann er nicht ernst meinen. Kann er einfach nicht. Brandon Thomas erzählt ihm gerade nicht, dass er eine Affäre mit Malin Lacroix hat. Avery ist viel zu irrational, um bei so etwas recht zu haben.
»Hör mal, ich erzähle es nicht überall herum, aber mein Privatleben ist meine Sache.« Brandon holt seine Geldbörse heraus und wühlt nach Geld für sein Mittagessen. Sie haben noch keine Rechnung bekommen und Brandon fällt immer wieder etwas runter. Das sieht ihm gar nicht ähnlich.
Heilige Scheiße. Er hatte recht.
»Aber ich hab mir das ausgedacht«, sagt Avery mit großen Augen. Er betrachtet Brandon und bemerkt jetzt, wie unangenehm ihm das alles zu sein scheint. Vielleicht erpresst Lacroix ihn. Ein Disney-Prinz sollte nicht mit einem Disney-Bösewicht ausgehen. Das ist doch Wahnsinn. »Ich war betrunken. Hat er dir gesagt, dass ich betrunken war?«
Brandons Blick fällt auf ihn. Alles an ihm ist starr, wie der Sonnenschirm auf dem Tisch, aber deutlich weniger keck. »Hat wer mir was erzählt?«
»Okay. Warte. Warte.« Avery deutet auf den Stuhl. »Ich bestelle ein Dessert und du bekommst auch was. Aber ich glaube nicht, dass wir über das Gleiche reden. Ich habe Lacroix gegenüber einen unangebrachten Kommentar gemacht, als ich vor ein paar Wochen betrunken war. Ich hab das nicht ernst gemeint.«
»Was hast du gesagt?«
Scheiße. »Ich habe angedeutet, dass du mit unserem Boss schläfst.« Avery schließt die Augen und reibt sich mit der Hand über das Gesicht. »Na ja, dass er mit dir schläft –« Avery öffnet die Augen, sieht Brandon an und verstummt augenblicklich. »Kicherst du? Du kicherst. Oh Gott. Das ist nicht… Ich hab ihm gesagt, dass du es für Geld machst. Wie klingt das?«
»War es viel?« Brandon wirkt entzückt. Avery ist fest überzeugt, dass sie sich in einer Sendung mit versteckter Kamera befinden. Das ist einfach zu schräg.
»Ähm. Eigentlich nicht.«
»Wie viel?« Brandon grinst, dann wirft er eine Serviette nach ihm und nimmt sich vergnügt noch ein Stück Pizza von Averys Teller. »Raus damit, Avery. Wie viel verlange ich vom Chef für einen Fick?«
»Ich bin mir nicht sicher, aber du verlangst fünfundzwanzig Mäuse für einen Blowjob. Vielleicht machst du es ja für den Nervenkitzel und nicht fürs Geld? Ich weiß nicht. Ich war betrunken.«
Brandon verschluckt sich an seiner Pizza, was ihm recht geschieht. »Fünfundzwanzig Dollar? Ich sollte dich in den Besprechungen finster anstarren. Das ist ja eine Beleidigung.« Brandon ist wieder General Patton und wirft ihm seinen Rommel, Sie prachtvoller Mistkerl, ich habe Ihr Buch gelesen-Blick zu. »Sie sind definitiv mehr wert als das. Hat man mir zumindest gesagt.«
»Okay. Aber ich wollte dich nicht beleidigen. Es war eine Sie bezahlen Ihre Angestellten für Sex-Beleidigung, die an unseren Chef gerichtet war, Brandon.« Dieses Mal blickt Avery sich um, um sicherzugehen, dass Lacroix nicht plötzlich neben ihrem Tisch auftaucht. »Ich wollte also andeuten, dass er ein geiziger Freier ist, nicht dass du… äh… eine billige Hure bist.« Avery zuckt zusammen. »Ich weiß, wie das klingt, entschuldige.«
»Ich weiß nicht, ob du mir zugehört hast. Ich sagte, dass sie deutlich mehr als fünfundzwanzig Dollar wert wären.«
Avery wirft ihm einen fragenden Blick zu und nimmt sich das letzte Stück Pizza, bevor Brandon es stibitzen kann. »Ja. Wenn ich das nächste Mal andeute, dass jemand dich für einen Blowjob bezahlt, erhöhe ich den Preis, sodass nicht der Eindruck entsteht, du wärst billig.«
Brandon mustert ihn einen Augenblick lang. »Ist das alles?«
»Was, willst du dich auf einen Betrag einigen, der dich nicht kränkt? Ich finde, du hast da einen kleinen Stock im Arsch.« Da versteckt sich ein Witz, aber Avery ist clever genug, ihn nicht zu machen.
»Es macht dir nichts aus, dass ich…?« Brandons Stimme ist leise und er blickt auf den Tisch hinab. Avery ist ehrlich ahnungslos, bis ihm klar wird, was gerade passiert ist. Brandon gibt wirklich Blowjobs – was bedeutet, dass er auf Männer steht. Und er macht sich Sorgen, dass Avery das etwas ausmachen könnte?
»Oh mein Gott. Du dachtest, dass ich dir mörderische Blicke zuwerfe, weil du schwul bist? Stimmt das?«
Brandon nickt. Avery verdreht die Augen, nimmt die Speisekarte und wirft sie ihm zu.
»Nein. Wow. Es interessiert mich kein bisschen, mit wem du ins Bett gehst, Brandon«, sagt er. »Und jetzt such dir eine Nachspeise aus, damit ich wiedergutmachen kann, dass ich angedeutet hab, dass du unserem Boss billige Blowjobs verpasst, okay?«
Brandon beobachtet ihn eingehend, als würde er ihm nicht glauben.
»Ich bin voll dafür, dass du Blowjobs verpasst, wem auch immer du möchtest«, versichert Avery ihm. Vielleicht abgesehen von Lacroix. Aber das liegt nur daran, dass er sich um seinen neuen Freund sorgt und möchte, dass er eine glückliche Beziehung führt.
»Danke, Avery.« Es klingt, als käme es von Herzen. »Das weiß ich zu schätzen. Und jetzt kannst du mir dieses Browniezeug mit extra Karamell bestellen.« Brandon lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und sieht viel entspannter aus als Avery ihn je gesehen hat. Und auf einmal hat er diesen süffisanten Ausdruck auf dem Gesicht. »Also hast du mich böse angestarrt, weil du dachtest, dass ich mit dem Chef schlafe, hm? Eifersüchtig?«
»Kein Eisbecher für dich«, entgegnet Avery sofort und schließt die Speisekarte.
»Komm schon, Avery. Ich werde es wohl kaum rumerzählen. Das wäre ein ziemlicher Arschloch-Move.« Brandon lacht leise. »Wie dem auch sei, ich dachte – du hast ein Mädchen zur Weihnachtsfeier mitgebracht.«
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