»Vielleicht sollten wir mit dem Ehemann reden. Weiß der überhaupt schon Bescheid, was am Grab seiner Frau passiert ist?«
»Also von mir nicht«, sagte Mirscher, und auch Kolanski hob abwehrend die Hände.
»Dann übernehmen wir das, Grünbrecht.« Stern stand auf und wandte sich zur Tür.
»Wer fährt?«, wollte die Kollegin wissen.
»Ich«, brummte Stern. Doch als er den gelangweilten Gesichtsausdruck von Grünbrecht sah und sich an seinen Titel als langsamster Autofahrer des Landeskriminalamtes, den ihm die angeheiterten Kollegen bei der letzten Weihnachtsfeier feierlich verliehen hatten, erinnerte, streckte er den Arm aus und ließ den Schlüssel seines Audi A6 in Grünbrechts offene Hand fallen. Er wusste, dass sie lieber mit seinem luxuriösen Schlitten fuhr als mit ihrem Dienstwagen.
»Danke, Chef!«, sagte sie kokett und marschierte Po wackelnd an Mirscher und Kolanski vorbei in Richtung Ausgang. Die erstaunten Blicke der Kollegen folgten ihr, ebenso blöde Kommentare, wie dass Mirscher eine Gehaltserhöhung wolle und Kolanski acht aufeinanderfolgende Wochen Urlaub, um mit dem Fahrrad Australien zu durchqueren. Denn wenn Stern Grünbrecht seinen Wagen steuern ließ, musste er in Top-Laune sein, schlussfolgerten sie. Vielleicht würde er ihnen dann ebenso diese kleinen Annehmlichkeiten zugestehen. Einen Versuch, so schienen sie zu denken, war es zumindest wert.
Doch Stern schüttelte nur den Kopf, murmelte: »Kindsköpfe«, und verließ mit seiner Kollegin das Landeskriminalamt.
Grünbrecht jagte mit Sterns Audi die A7 in Richtung Freistadt hinauf, dass Stern Angst bekam, sie könnten in eine Radarfalle der Autobahnpolizei geraten. Seine junge Kollegin liebte das schnelle Fahren, das wusste er, aber dass sie ausgerechnet mit seinem Wagen sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen übertreten musste, empfand er dann doch als provokant. Er entschied sich, ein Wort des Tadels auszusprechen.
»Können Sie den Fuß ein wenig vom Gaspedal nehmen? Der Mann im Rollstuhl läuft uns schon nicht weg.«
»Sie haben doch nicht etwa Angst, Chef?«, wollte Grünbrecht mit einem Seitenblick auf seine verkrampften Hände, die sich links am Sitz und rechts am Griff über dem Fenster festklammerten, wissen.
»Ich? Angst? So ein Schmarrn!«, blaffte Stern. »Ich will halt nicht die Strafe zahlen, die wir zweifelsohne kassieren, wenn Sie weiterhin so rasen.«
»Das ist ein Polizeiwagen, Chef«, erklärte Grünbrecht in knappen Worten, während sie konzentriert nach vorn durch die Windschutzscheibe sah, um links an einer Schlange langsam fahrender Wagen vorbeizuschießen. Wenn Stern nicht irrte, hatte sie vorhin sogar mit Lichtsignalen auf sich aufmerksam gemacht und dadurch die anderen Fahrer zur Seite gescheucht.
»Wir sind zivil unterwegs. Wir haben kein Blaulicht und keine Sirene.«
»Wenn die Kollegen von der Autobahnpolizei die Autonummer kontrollieren, werden sie ganz rasch feststellen, dass sie …«
»Grünbrecht, runter vom Gas!«, fiel Stern ihr ins Wort.
»Aber …«
»Kein Aber!«, fügte er mit einem Tonfall hinzu, der keinen Widerspruch duldete. Nur selten ließ er den Vorgesetzten auf diese Weise raushängen, und das auch nur dann, wenn es unbedingt sein musste. Und jetzt musste es sein! Seine Finger, die Sitz und Haltegriff umklammerten, begannen sich schon zu verkrampfen.
Murrend drosselte Grünbrecht das Tempo auf eine für Stern angenehme Geschwindigkeit. Seine Hände lösten sich langsam von den Festhaltemöglichkeiten, und er atmete erleichtert auf. Warum diese jungen Dinger immer so rasen mussten, war ihm ein Rätsel. Selbst bei Mordfällen war es nicht notwendig, dass man derart halsbrecherisch unterwegs war. Leichen liefen nicht weg.
In Sterns Brusttasche vibrierte das Handy. Stern zog es heraus und sah auf das Display: Dominik Weber, der Gerichtsmediziner.
»Grüß dich, Weber. Was gibt’s?«
»Grüß dich, Stern. Euer Opfer ist tatsächlich ertrunken. Ich hab in seiner Lunge Wasser gefunden«, verkündete der Gerichtsmediziner etwas zu gut gelaunt, fand Stern.
»Das erklärt dann auch seine nasse Kleidung. Wahrscheinlich wurde der Kopf gewaltsam unter Wasser gedrückt, da seine Sachen nur bis zur Brust feucht waren«, schlussfolgerte Stern. »Haben die Kollegen im Labor das Wasser aus der Lunge mit der Probe, die ich dir geschickt habe, schon verglichen?«
»Äh …?« Anscheinend hatte Weber keinen blassen Schimmer, wovon Stern redete.
»Weber?«, bellte Stern ins Telefon.
»Ich bin hier, Oskar«, meldete sich der Angesprochene nun nicht mehr ganz so gut gelaunt. »Ich dachte, das Bründl-Wasser, das du mir geschickt hast, wäre für mich … ich meine, für mich persönlich, da ich ja auf solche Dinge stehe, du weißt schon …«
»Was hast du damit gemacht?«, fragte Stern nichts Gutes ahnend.
»Ich … ich hab’s getrunken«, verkündete Weber.
»Du hast was?« Stern schnaubte. »Das war ein Beweismittel, Weber!«
»Da stand nur ›Bründl-Wasser für Weber‹ oben«, erklärte der Gerichtsmediziner. Er hatte wohl angenommen, es wäre ein Geschenk für ihn, eine kleine Aufmerksamkeit unter Kollegen quasi. Was ihm, wenn er eine Sekunde darüber nachgedacht hätte, seltsam hätte vorkommen müssen.
»Ja, weil du es untersuchen solltest, du …!« Stern brauchte einen Augenblick, um sich zu beruhigen. Anschließend sagte er, dass sie jetzt seinetwegen noch einmal zum Maria Bründl fahren müssten, um eine Vergleichsprobe zu holen, die Weber dann – zum Teufel noch mal – mit dem Wasser in der Lunge des Opfers abgleichen solle. Und zwar unverzüglich und auf der Stelle, sobald die Probe bei ihm eintreffe. Es dürfe keine Verzögerung mehr geben, denn sonst …
»Alles klar. Kein Problem! Danke, Oskar!« Dem Gerichtsmediziner war die Erleichterung selbst durch das Handy anzuhören, und Stern beendete das Telefonat mit einem aufgebrachten Tippen auf den roten Hörer auf dem Display.
»Was ist passiert?«, wollte Grünbrecht wissen.
Stern schnaubte noch immer, entschied sich aber für eine halbwegs disziplinierte Antwort: »Weber hat das Bründl-Wasser ausgesoffen.«
»Nicht wahr?«
»Doch!«
Die Gruppeninspektorin lachte.
»Was ist daran witzig?«, fragte Stern echauffiert.
Grünbrecht bemühte sich, die Sache etwas ernster zu nehmen. »Nichts, Chef«, sagte sie, obwohl ihre Mundwinkel verräterisch zuckten. Dass Weber Beweismaterial trank, weil er es als Geschenk von Stern ansah, empfand sie mehr als unterhaltsam. Wenn das die Runde im LKA machte …
»Wir müssen noch mal zur Quelle und eine weitere Probe holen«, spuckte der Chefinspektor aus, als hätte er etwas Giftiges im Mund.
»Ja, Chef«, gluckste Grünbrecht, und Stern rollte genervt mit den Augen.
Gott sei Dank hielten sie in diesem Augenblick vor dem Haus des Witwers an. Der Chefinspektor stieß die Tür des Audis auf und stieg aus. Ihm fiel sofort die Rollstuhlrampe beim Eingang auf, die nachträglich angebracht worden zu sein schien. Ein Zeichen, dass sie hier richtig waren.
Nach mehrmaligem Läuten wurde ihnen die Tür geöffnet. »Herr Eckinger?«, fragte Stern den Mann im Rollstuhl vor sich, obwohl er sich sicher war, dass er der Ehemann des Unfallopfers von vor einem Jahr sein musste. So viele querschnittsgelähmte Menschen gab es in St. Oswald bestimmt nicht.
»Richtig, Manuel Eckinger. Und wer sind Sie?« Eckinger kam bis ganz nach vorn an die Haustürkante gerollt, die mit Holzkeilen entschärft worden war, damit er bequem darüberfahren konnte.
»Chefinspektor Oskar Stern, das ist meine Kollegin Gruppeninspektorin Mara Grünbrecht. Wir sind vom Landeskriminalamt Oberösterreich in Linz und untersuchen den Mord an Oliver Koch. Dürfen wir reinkommen?«
»Oliver Koch? Der Politiker? Darf ich frag’n, was Sie von mir woll’n?« Eckinger machte keinerlei Anstalten, den Weg ins Haus freizugeben.
Читать дальше