Eva Reichl
Mühlviertler Rache
Kriminalroman
Kopflos Eine kopflose Leiche wird auf den Bahngleisen der Summerauer Strecke von Linz nach Prag gefunden. Das Opfer war an Armen und Beinen an die Schienen gefesselt worden, der heranrasende Zug erledigte den Rest. Doch was hat der Tote getan, dass er so grausam sterben musste? Die Ermittler, Oskar Stern und Mara Grünbrecht vom LKA Linz, stehen vor einem Rätsel. Wenig später wird eine Reinigungskraft im Keller einer Freistädter Schule ermordet. Eine Verbindung zwischen den Fällen ist jedoch nicht zu erkennen. Chefinspektor Oskar Stern rast von einem Tatort zum nächsten, nein eigentlich schleicht er, denn sein Fahrstil entspricht dem eines Rentners mit Hut nach dem Sonntagskaffee. Damit treibt er nicht nur sein Team zur Weißglut, sondern auch seine Enkel. Denn ausgerechnet an diesem Wochenende hat er seiner Tochter versprochen, auf deren Kinder Melanie und Tobias aufzupassen. Immerhin ist inzwischen die Identität des ersten Opfers geklärt: Der kopflose Tote war ein Freistädter Scheidungsanwalt.
Eva Reichl wurde in Kirchdorf an der Krems in Oberösterreich geboren und lebt mit ihrer Familie am Rande des Mühlviertels, wo auch ihre Krimi-Serie beheimatet ist. Zu ihrem Hauptberuf Controllerin bietet das Schreiben einen wunderbaren Ausgleich. Neben Kriminalromanen veröffentlicht Eva Reichl auch Kinderbücher.
Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:
Mühlviertler Grab (2020)
Mühlviertler Rache (2019)
Mühlviertler Blut (2018)
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Alle Rechte vorbehalten
3. Auflage 2020
Lektorat: Katja Ernst
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Ernest / stock.adobe.com
Druck: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
ISBN 978-3-8392-6162-0
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Oskar Stern saß auf einer Parkbank im Linzer Volksgarten. Zu dieser frühen Vormittagsstunde an einem Samstag im August flanierten nur wenige Menschen die breiten Wege der Parkanlage entlang. In den letzten Wochen hatte es geregnet, und auch heute ließ sich die Sonne kaum blicken. Für August war es eindeutig zu kalt. Stern bemerkte nicht, wie sich Tobias, sein neunjähriger Enkel, die Kletterwand auf dem Spielplatz hinaufzog und über die oberste Kante kraxelte. Sein Blick war auf die Bank ihm gegenüber geheftet. Dort lümmelte ein Junge neben seiner Mutter und bohrte in der Nase, dass Stern Angst bekam, der Finger des Jungen käme bei dessen Augen wieder heraus. Stern hatte schon allerlei in seinem Leben gesehen, trotzdem ekelte es ihn vor der gefühlt meterlangen grünlichen Liane, die kurz darauf aus der kindlichen Nase gezogen wurde.
Ob er seinen Dienstausweis zücken, dem Jungen vors Gesicht halten und dann sagen sollte, dass Nasebohren und den Popel anschließend in den Mund stecken strafbar war? Der Junge würde zwar einen Schock fürs Leben bekommen, aber mit Sicherheit nie mehr in seinem Riechorgan herumgraben wie ein Totengräber, der ein Grab für die nächste Leiche ausräumte.
»Opa, wie lange willst du uns denn noch hier gefangen halten?«, raunte Melanie, Sterns zwölfjährige Enkelin, ihrem Großvater von der Seite ins Ohr. Sie saß neben ihm auf der Bank und starrte gelangweilt Löcher in die Luft. Stern hatte ihr und Tobias verboten, solange sie in dem Park verweilten, mit einem elektronischen Gerät zu spielen, damit zu telefonieren oder im Internet zu surfen. Stattdessen sollten sie auf dem Spielplatz herumtollen, sich die Knie blutig schlagen und Freundschaften schließen. Echte Freundschaften mit Kindern, die man auch anfassen konnte und die nicht durch ein Profilbild von WhatsApp, Instagram oder Facebook, welches einen oftmals erschaudern und in Stern sofort die kriminalistischen Warnglocken schellen ließ, auf sich aufmerksam machten und Nachrichten wie »asap«, »thx«, »hdl« oder »wmg« über den Kanal schickten. Stern wusste bis heute nicht, was diese Hieroglyphen bedeuteten, und wollte es, ehrlich gesagt, auch gar nicht wissen.
»Ich halte euch nicht gefangen«, knurrte er, ohne den popelziehenden Jungen aus den Augen zu lassen. »Ihr braucht hin und wieder mal frische Luft und echte Menschen um euch, das ist alles.« Im selben Augenblick zweifelte er, ob die Gesellschaft auf diesem Spielplatz wirklich die richtige für seine Enkelkinder war, immer noch den Jungen beobachtend, der jetzt Experimente mit dem Nasenrotz in seinem Mund zu machen schien.
»Hallo! Wir sind mitten in Linz!« Melanie beugte sich nach vorn und winkte mit beiden Händen vor dem Gesicht des Großvaters, um ihn auf diesen nicht zu vernachlässigenden Umstand aufmerksam zu machen. Der Volksgarten, in dem sie sich befanden, war umringt von stark befahrenen Straßen, mehreren Hochhäusern wie dem Power Tower und dem Terminal Tower, in dem die Linzer Finanz- und Zollämter untergebracht waren, dem Musiktheater und der Straßenbahn, die irgendwo dazwischen in der Erde verschwand. Inmitten von riesigen Parkbäumen war ein kleines Areal, auf dem Turngeräte für Kinder aufgestellt waren. Dort saßen sie und atmeten die Linzer Stadtluft, die von ein paar verzweifelten Parkbäumen im Kampf gegen die Auspuffgase Tausender Kraftfahrzeuge erzeugt wurde. Und dort wurden sie, laut Melanie, von ihrem Großvater gegen ihren Willen festgehalten.
»Trotzdem gibt es hier Luft«, beharrte Stern.
»Luft gibt es auch zu Hause in meinem Zimmer. Und wenn ich das Fenster aufmache, atme ich genau dieselbe Luft wie hier.« Melanie verschränkte die Arme vor der Brust. Für ihr Alter war sie weit entwickelt, dachte Stern, und genauso zickig wie manch 16-Jährige. Ihre langen blonden Haare trug sie heute mit einem Seitenscheitel, was mit sich brachte, dass sie stets den Kopf zur Seite neigte. Als Stern nichts erwiderte, legte sie nach: »Außerdem ist noch keiner gestorben, weil er sich nicht in einen Park gehockt und Babys dabei zugesehen hat, wie sie auf solch einem Dingsda herumklettern. Wenn du mir wenigstens mein Handy …«
»Nein!« Stern stand auf, zog seine Hose hoch und atmete tief durch. Er wusste, dass das, was er vorhatte, falsch war, doch er konnte nicht anders.
»Aber …«
Stern hob die Hand und Melanie verstummte augenblicklich. Ihr war klar, dass es besser war, den Mund zu halten, wenn ihr Großvater diese Miene aufsetzte. Er plante etwas, das spürte sie. Es war das erste Mal an diesem Samstagvormittag, dass es für die Zwölfjährige spannend wurde.
Stern ging auf die gegenüberliegende Parkbank zu. Auf halbem Weg griff er in die Brusttasche und zog seinen Dienstausweis hervor, der ihn als Chefinspektor der Mordgruppe des Landeskriminalamtes Oberösterreich auswies. Er steuerte geradewegs den Jungen an, dem ein Rest des Rotzes noch aus der Nase baumelte. Er holte tief Luft und wollte gerade etwas sagen, als sein Handy klingelte. Überrascht blieb er stehen, fischte das lärmende Gerät aus der Seitentasche seines Jacketts und blickte auf das Display. Bormann, der Leiter des LKA. Stern seufzte. Wenn der anrief, bedeutete das nichts Gutes. Er wischte über das Display, hielt sich das Smartphone ans Ohr, drehte sich zur Seite und sah aus den Augenwinkeln, dass Melanie ihn von der Parkbank aus giftig anglotzte. »Absolutes Handyverbot«, hatte er vorhin verkündet und sich selbst dabei eingeschlossen. Nun war ausgerechnet er es, der dieses Verbot missachtete. Das ließ ihn vor der Zwölfjährigen nicht besonders gut dastehen.
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