Welche Konsequenzen hat die Nutzung von Liquids mit Nikotinsalzen anstatt der freien Base? Zunächst möchte ich feststellen, dass allfällige Wirkungen von Nikotin nach dessen Aufnahme aufgrund des im Körper exakt gepufferten pH-Werts unabhängig vom pH-Wert des Liquids oder des inhalierten Dampfs sind. Der Verzehr von mit Essig angemachtem Salat hat keinen Einfluss auf den pH-Wert des Körpers. In esoterisch angehauchten Schriften der Alternativmedizin wird zwar „Übersäuerung“ des Körpers gelegentlich für die Entstehung diverser Krankheiten verantwortlich gemacht (und zumeist ein angeblich Wunder wirkendes Heilmittel dagegen angeboten), diese Behauptungen sind aber wissenschaftlich unhaltbar. Metabolische oder respiratorische Störungen, die mit einer Erniedrigung des pH-Werts im Blut auf unter 7,35 einhergehen, werden als Azidosen bezeichnet, die in schwerwiegenden Fällen intensivmedizinische Behandlung erfordern.
Somit beschränken sich allfällige Unterschiede zwischen herkömmlichen Liquids und jenen mit Nikotinsalzen auf Ausmaß und Geschwindigkeit der Aufnahme von Nikotin sowie dessen Wirkung auf der Oberfläche sensorischer Zellen der Atemwege, die als leichte Reizung der oberen Atemwege ( throat hit ) verspürt wird. Die Verminderung der Atemwegsreizung durch Protonierung von Nikotin ist gut bestätigt und führt dazu, dass die Inhalation von Aerosolen mit höherer Nikotinkonzentration toleriert wird. In einem Selbstversuch habe ich einen entleerten Juul-Pod mit 20 mg/ml herkömmlicher Nikotinbasis gedampft und dabei ähnlichen throat hit verspürt wie mit der Standard US-Variante, die 60 mg/ml neutralisiertes Nikotin enthält. Somit ermöglichen Salzliquids ausreichende Nikotinzufuhr durch vergleichsweise leistungsschwache Podsysteme, ohne zu starke, als unangenehm empfundene Reizung der Atemwege.
Inwieweit Geschwindigkeit und Aufnahme von Nikotin durch Neutralisierung der Liquids beeinflusst werden, ist unklar. Die Aufnahme der meisten Stoffe erfordert deren Diffusion durch Zellmembranen. Da diese Membranen lipophil („fettfreundlich“) sind, können geladene Moleküle nicht passieren. In manchen Geweben erfolgt die Nikotinaufnahme zusätzlich über spezifische Transportproteine, aber auch in dem Fall nimmt die Geschwindigkeit der Aufnahme bei Erniedrigung des pH-Werts ab [90,91]. Es ist somit wissenschaftlich gesichert, dass die Aufnahme von Nikotin durch Ansäuern vermindert und durch Erhöhung des pH-Werts mit Basen beschleunigt wird. Diesem Faktum Rechnung tragend setzt die Industrie dem Tabak angeblich Ammoniak zu, um das Gleichgewicht von Nikotin in Richtung freier Base zu verschieben und so die Aufnahme von Nikotin zu beschleunigen. Juul Labs hat mit den Nikotinsalzen den umgekehrten Weg beschritten, sodass – entgegen den Behauptungen der Firma – gemäß Grundlagenwissen in Biochemie und Biophysik verzögerte Nikotinaufnahme zu erwarten wäre. Allerdings wurde hinterfragt, ob der pH-Wert von Tabakrauch tatsächlich Einfluss auf die Nikotinaufnahme hat, da geringfügige Unterschiede im pH-Wert des inhalierten Rauchs durch die physiologische Pufferung des Lungenepithels abgefangen würden [92]. Diese Überlegungen treffen gleichermaßen auf die Inhalation von Aerosolen aus E-Zigaretten zu. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass die physikalische Beschaffenheit des Aerosols der Salzliquids bessere Lungengängigkeit der Aerosol-Partikel und damit beschleunigte Nikotinaufnahme zur Folge hat [93]. Eine publizierte Pilotstudie lieferte erste Hinweise auf anscheinend effizientere Aufnahme von Nikotin aus angesäuerten Liquids, aber die statistischen Abweichungen der Ergebnisse und die relativ kleine Zahl der für diese Frage relevanten Messergebnisse erlauben keine definitiven Schlussfolgerungen [94]. Dazu wäre eine ausreichend große klinische Studie mit vergleichenden pharmakokinetischen Daten der Nikotinaufnahme erforderlich.
4. Funktion von E-Zigaretten
E-Zigaretten sind in unüberschaubarer Vielfalt am Markt. Die Palette reicht von kleinen, zigarettenförmigen Wegwerfgeräten, Cigalikes genannt, über relativ handliche Pod- und Tanksysteme bis hin zu schweren Geräten, die man auch als Totschläger verwenden könnte ( Abb. 3). Abbildung 4 zeigt einige heute gebräuchliche Varianten, die alle nach demselben Prinzip funktionieren. Das Herzstück ist eine Verdampferkammer, in der sich eine Drahtspule mit einem Watte- oder Baumwoll-Docht befindet. Die Drahtspule wird gemeinhin als Wicklung (englisch: Coil ) bezeichnet. Der Docht wird laufend mit Flüssigkeit, dem Liquid, versorgt, ohne dabei die Verdampferkammer zu fluten. Dazu wurden unterschiedliche Systeme entwickelt, deren Funktionen ebenso wie deren Vor- und Nachteile in den sozialen Medien und in zahlreichen Youtube-Videos detailliert beschrieben und diskutiert werden.

Abbildung 3:Größenvergleich: Vapor Giant mit zwei gestackten 26650 Akkus und 17 ml Tank vs. Juul.
Abbildung 4:Gebräuchliche Varianten von E-Zigaretten (Auswahl). Von links: Cigalike, Podsystem, verschiede Tanksysteme (3x), RDA (Rebuildable Dripping Atomizer = wiederherstellbarer Tröpflerverdampfer).
Die Wicklung wird elektrisch erhitzt, wobei der Strom von einer Batterie oder einem aufladbaren Akku geliefert wird. Zumeist betätigt man dazu einen Knopf am Gerät. Manche E-Zigaretten, vor allem Cigalikes , sind mit einem drucksensitiven Sensor („Zugautomatik“) ausgestattet, der bei Unterdruck, der durch das Ziehen entsteht, den Stromkreis schließt. Durch die Erhitzung der Wicklung wird das Liquid im Docht verdampft, der Dampf über ein Mundstück abgesaugt und inhaliert. Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch sollte Liquid permanent nachfließen und den Docht mit ausreichend Flüssigkeit versorgen. Der grundlegende Aufbau von E-Zigaretten ist in Abbildung 5 schematisch dargestellt.
Der wesentliche Parameter bei der Verdampfung des Liquids ist die Temperatur an der Wicklung. Der typische Temperaturbereich beträgt 150 bis 250 °C, wobei die Temperatur von der Leistung des Setups (Einheit: Watt) abhängig ist. Zur Erinnerung an den Physikunterricht: Die Leistung P ist das Produkt aus Spannung (U) und Stromstärke (I), also P (Watt) = U (Volt) x I (Ampere). Gemäß dem Ohm‘schen Gesetz entspricht die Stromstärke I dem Quotienten aus Spannung und Widerstand, also I (Ampere) = U (Volt)/R (Ohm). Wenn man diesen Ausdruck in die Formel für die Leistung einsetzt erhält man P = (U 2)/R, die Leistung nimmt also mit dem Quadrat der angelegten Spannung zu und ist indirekt proportional dem Widerstand der Wicklung. Dementsprechend verwenden Nutzer, die an hoher Leistung interessiert sind, Wicklungen mit niedrigem Widerstand.
Abbildung 5:Bestandteile einer E-Zigarette (aspire®), von links: Mundstück, Tank, Verdampferkopf, Base, Batterie.
Wie groß sind diese Parameter beim Dampfen? Die überwiegende Mehrheit der in E-Zigaretten verwendeten Akkus liefert voll aufgeladen maximal 4,2 Volt. Bei Geräten ohne elektronische Regelung („mechanischen Geräten“) wird die Leistung über den Widerstand der Wicklung eingestellt und nimmt mit Entladung des Akkus fortlaufend ab. Bei einem Widerstand von 1 Ohm würde ein solches Gerät zu Beginn (4,2) 2= 17,6 Watt liefern, nach Entladung des Akkus auf 3 Volt hingegen nur mehr 9 Watt. Dieser Abfall der Leistung erfordert relativ häufiges Wechseln des Akkus, sodass mechanische Akkuträger zunehmend vom Markt verschwinden und vorwiegend von Liebhabern benutzt werden, die das Dampfen als Hobby betreiben. Außerdem sind die meisten dieser Geräte mit keiner Schutzelektronik ausgestattet, die Überbelastung oder Tiefentladung des Akkus sowie Kurzschlüsse verhindern würde. Mechanisches Dampfen und Modifikation der Geräte durch Bastler sind der häufigste Grund für „explodierende E-Zigaretten“ (korrekt: ausgasende Akkus), über die dann lustvoll – zumeist mit Fotos der blutigen oder angebrannten Opfer illustriert – in den Medien berichtet wird. Solche Geräte sollten daher nur von erfahrenen Dampferinnen und Dampfern mit ausreichender Kenntnis der Materie benutzt werden. Es besteht allerdings keine Veranlassung mechanische Geräte gesetzlich zu verbieten. Sportwagen mit 500 PS überfordern manche Autofahrer, sind aber deshalb nicht verboten. In beiden Fällen sollten Konsumenten jedoch beim Kauf eingehend über die Risiken und die korrekte Handhabung der Geräte informiert werden.
Читать дальше