Bernd Gunthers
Die Kuh gräbt nicht nach Gold
Kriminalroman
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © Countrypixel / stock.adobe.com
ISBN 978-3-8392-6730-1
»Der sieht nicht gut aus, wirklich nicht. Irgendwie sehr tot«, meinte Milka und beugte sich gefährlich weit über den Bootsrand des Kanadiers. Es klang nicht nach Meinung, eher nach einer definitiven Feststellung.
»Wenn du dich samt Paddel weiter über den Süllrand hinauslehnst, liegen wir beide gleich neben ihm im Wasser«, mahnte Kriminalhauptkommissar Eichert eindringlich, angesichts der zunehmenden Schräglage des Kanus. »Milka, lass das, der treibt uns sonst weg!«
Dabei hatte der gestrige Tag, ein warmer, sonniger Sommerfreitag, vielversprechend begonnen. Paul Eichert hatte sich mit einer ominösen Andeutung für den Abend angesagt, und Milka Mayr fand am späten Nachmittag, nach Erledigung ihrer Pflichtaufgaben auf dem elterlichen Hofgut in Bühlerzell, tatsächlich eine Stunde Zeit, die sie hingebungsvoll ihrem restaurierten 1965er Käfer, 1200er Maschine, lackiert in L469 fontanagrau, widmete. Eigentlich gab es nichts mehr zu schrauben, allein die Kupplung bereitete einiges Kopfzerbrechen. Zum wiederholten Mal ging sie akribisch ihre Checkliste durch. Die Langenburg Historic Rallye stand kurz bevor – und ihre erstmalige Teilnahme. Das Nenngeld war bezahlt – ein Familiengeschenk zum 37. Geburtstag. Nur der Beifahrer blieb vorläufig offen. Oder die Beifahrerin. In einem kleinen Anfall emotionaler Annäherung hatte Milka vor zwei Wochen ihre Schwägerin Bettina angefragt. Dabei war ihr »Bergprüfung« herausgeflutscht. Ob nun absichtlich oder unabsichtlich, da wollte sie sich nicht festlegen. Jedenfalls winkte Bettina spontan ab, verwies mit ungewöhnlich blässlicher Gesichtsfarbe auf ihre bereits im Kindesalter erlittenen Schwindelanfälle auf dem Pferd im Karussell. Die Besetzung blieb also offen. Milka stellte am getriebeseitigen Ende den Kupplungszug nach, prüfte, und ließ nach einem letzten Blick die Haube ins Schloss fallen.
Zeit, ihrer Mutter Karin, mit 64 gerade mal ein Jahr jünger als ihr Mann Georg, in der Küche zu helfen. Es sollte Maultaschen und ihren traditionell schlotzigen Kartoffelsalat geben. Wie immer bereitete ihre Mutter die Maultaschen selbst zu, nur der Maultaschenteig war fertig gekauft. Und wie immer verscheuchte sie Milka mit einer kurzen Handbewegung aus ihrer Küche. Ihr Reich. Milka deckte den Tisch im Esszimmer, verzog sich dann in den großen Wohnraum und studierte den Prospekt einer Veranstaltung der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft.
Paul Eichert, seit mehreren Jahren schon Kriminalhauptkommissar in Schwäbisch Hall, kam nach leisem Klopfen ins Zimmer. »Dein Bruder Christoph hat mich reingelassen.« Milka schmunzelte, gab ihm einen Kuss. »Du bist hier doch beinahe zu Hause. Also, jetzt raus damit, was ist das Geheimnisvolles, das morgen passieren soll?« Paul strich über Milkas kurze schwarze Haare, entließ sie aus seiner Umarmung. Er öffnete die Sporttasche, die er zuvor auf der Bank des Kachelofens abgestellt hatte, und zog ein kleines Päckchen heraus.
Milkas gespannter Gesichtsausdruck wechselte zu Verblüffung. »Wie entzückend von dir, lieber Paul. Du schenkst mir ein Paar Socken?« Milka befühlte das Material. »Neoprensocken? Willst du mit mir unsere arten- und blütenreichen Feuchtwiesen an der Bühler erkunden?«
Der Kriminalhauptkommissar wusste Milkas Neckerei zu nehmen, fixierte ihre tiefblauen Augen. »Wir beide gehen morgen aufs Wasser.«
»Aufs Wasser?«, wiederholte Milka mit fragendem Blick. »Fehlt dir die Elbe oder die Alster? Heimweh?«
Paul grinste spitzbübisch. »Es geht auf die Jagst. Wir machen eine Fahrt mit einem Kanadier.«
»Führt die Jagst überhaupt genügend Wasser?«
»Jo!«
»Und kannst du überhaupt …«
»Jo, kann ich.«
»Was kannst du, bitte?«
»Ich hab in meiner Hamburger Zeit den Sportküstenschifferschein gemacht – und den Sportbootführerschein See.« Pauls Grinsen wurde breiter.
»Auf einem Kanu, ja? Das sind doch diese wackligen Dinger, die bereits kippen, wenn man an Bord geht.«
»Landratte! Bei einem Kanu geht man nicht an Bord.«
»Man entert, ja? Und Neoprensocken! Das kann doch nur bedeuten, dass du mich über Bord werfen willst.«
Milkas Bruder Christoph steckte den Kopf durch den Türspalt und beendete die Kabbelei: »In fünf Minuten gibt’s was zu essen.«
Pauls fragenden Blick richtig deutend, klärte Milka ihn auf: »Es gibt Herrgottsbscheißerle, selbst gemachte.«
Vor zwei Jahren hätte sich Paul Eichert stante pede nach Hamburg zurückgewünscht, inzwischen wusste er, dass es sich um Maultaschen handelte. Und dass zu früherer Zeit der Begriff Maultasche auch für Ohrfeige oder Backpfeife stand.
»Alles eingepackt?«, fragte Paul und deutete auf Milkas prall gefüllte Sporttasche, als er sie am frühen Samstagmorgen abholte. »Auch die Socken?«
»Dank deiner fürsorglichen Beratung am gestrigen Abend habe ich alles dabei. Wo steigen wir ein?«
»In Krautheim. Und dann geht es Jagst abwärts bis zum berühmten Kloster Schöntal, zur Besichtigung. Das sind knapp 16 Kilometer. Wir haben ein klitzekleines Wehr auf der Strecke, da müssen wir eventuell umtragen, je nach Wasserpegel.«
»Umtragen? Das ganze Boot? Wie bist du denn überhaupt auf diese Tour gekommen?«
»Erzähl ich dir später. Wir fahren jetzt erst mal los. Etwa eineinhalb Stunden hier von Bühlerzell aus. Über Vellberg und Künzelsau. Übrigens, wie kommt die Jagst eigentlich zu ihrem Namen?«
»Musste ich auch erst nachsehen. So gegen 770 ist sie als Teil des Gaunamens Jagesgouwe nachgewiesen, und 1024 als Jagas. Der Name ist wohl keltischen Ursprungs.«
»Hm, schon wieder die Kelten. Hast du nicht kürzlich erzählt, Professor Ebert würde irgendwo graben?«
»Heuneburg, in der Nähe von Sigmaringen. Und dieses Krautheim, bietet das was Besonderes?«
»Soll ein nettes mittelalterliches Stadtbild und eine sehenswerte Kirche aufweisen. Und, nicht zu vergessen, eine Burg, zu der es im Jahr 1516 Götz von Berlichingen zog. Der zündete im Tal unterhalb der mainzischen Stadt eine Scheune an, wollte damit den ihm verhassten erzbischöflichen Amtmann Max Stumpf herbeilocken. Der streckte aber nur den Kopf aus dem Burgfenster und schimpfte lautstark hinunter. Darauf sandte der Ritter mit der eisernen Hand seinen berühmten, wortgewaltigen Schwäbischen Gruss (»… er kann mich hinden lekhen«) hinauf zur Burg. Übrigens fand der Ritter im Kloster Schöntal seine letzte Ruhe.«
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