In diese Zeit fallen auch zwei einschneidende Erlebnisse, die, auf ihre Art Initiationen, das Leben und Denken des Jungen nachhaltig prägten: als mein vater nach dem blonden knabenschopf einen meter tief in die donaufluten griff, zog er nicht nur seinen ins stromwasser gefallenen sechsjährigen sohn christian ludwig aus dem flußsog, es war gleichsam auch die geburtsstunde der liebe und des vertrauens des jungen zu wasser, zu blau. weder scheu noch angst wirkte aus dem kind, ein nasses stück menschenobst lachte am landshaager donauufer, der sturz ins wasser war schnell vergessen (Archiv Attersee, 1990, unpubliziert). Der Vater hatte seinem Sohn das Leben gerettet, er hatte mit seiner unaufgeregt-schnellen Reaktion dem Jungen dabei auch die Furcht vor dem nassen Element genommen, und ähnlich sollte es auch beim Eintritt in die Schule sein. Christian war der einzige evangelische Schüler in einer sehr ländlich und sehr katholisch geprägten Lehranstalt. Gleich zu Beginn ließ man ihn das merken, der Junge musste woanders sitzen, und er durfte nicht mit den anderen in den Religionsunterricht. „Gott gibt es nicht, aber du musst hier mitmachen“, hatte der Vater seinem Buben mit auf den katechetischen Weg gegeben. Er hat sich plötzlich umgedreht, und durch seine Ausstrahlung habe ich sofort gewusst, das ist das größte Geheimnis, das ich erfahren werde – und so war es auch. Mit dieser Nachricht musste ich leben und ich musste überleben in diesen Schulen . Bald wurde immerhin das zeichnerische Talent des ruhigen, allein durch die Hörprobleme schüchternen Kindes erkannt: Er durfte für den Lehrer alles an die Tafel malen, was im Unterricht an Illustrationen gebraucht wurde.
„Nachtslawin (Der Slawe ist die herrlichste Farbe)“. 1980. Mischtechnik auf Karton. 62,5 x 87,5 cm
„Zärtlich färbt die Slawin, das Wetter füttert (Der Slawe ist die herrlichste Farbe)“. 1979. Mischtechnik auf Karton. 56,5 x 44 cm
Christian Ludwig auf dem Floß. 1951
Nun blieb auch Zeit, musikalische Neigungen bei Christian wahrzunehmen und zu fördern. Blockflöte, Klavier und Okarina, jenes kleine tönerne, meist in Vogelform gestaltete Blasinstrument, wurden eingeübt, später kam Gitarre hinzu. Hatte der Vater Muße, zeichnete er mit ihm, und dann gab es noch das Wasser, den Wind und die Boote: siebenjährig wurde derselbe bub mitten am attersee in eine alte, von südwindwellen umspielte olympiajolle, baujahr 1936, bootsname „thetis“, gesetzt, und ob er wollte oder nicht, alleine sollte er ans festland segeln. eine stunde später legte der junge segler das bugtau der jolle um den alten anlegepöller des union jacht club attersee, ein relikt aus dem alten österreichischen kriegshafen pula und lange zierde des jachtclubufers. es war die erste wetterstunde des später so erfolgreichen seglers, es war aber auch der beginn des knabens liebe zu wetter, zu wetterfarben (Archiv Attersee, 1990, unpubliziert). Das Floß, mit dem man sich nach Westen gerettet hatte, das über die gesamte Zeit an der Donau als Ponton gedient hatte, wurde 1947 an das Ufer des Jachtclubs am Attersee verschifft, wo es, nochmals um eine Plette und einen Raum erweitert, das Sommerdomizil der Ludwigs sowie Anlauf- und Anlegestelle aller Freunde wurde. Ein dramatisches Ende erlitt die „Arche Noah“, wie die Leute es nannten, zwei Jahrzehnte später, als sie bei den Dreharbeiten zu Luchino Viscontis 1969 fertiggestelltem Spätwerk „Die Verdammten“ ihre eigene Götterdämmerung fand und verbrannte.
Mit dem Abschluss der Grundschule begann für den gerade Zehnjährigen auch schon die Zeit der Abnabelung. Aus dem Jungen sollte schließlich, wie es sich gehörte, etwas werden, er musste aufs Gymnasium, und das bedeutete, dass er in einem evangelischen Schülerheim in Linz zu wohnen hatte. So hätte er seine Eltern früh verloren, erzählt Attersee heute, vielleicht bezeichnet er auch deshalb die Beziehung speziell zu seiner Mutter als schwierig. Um 36 Jahre überlebte Susanne Ludwig ihren Mann, sie konnte den Lebenslauf ihres Sohnes in allen Facetten verfolgen, und zur Ausstellung anlässlich von dessen 60. Geburtstag erschien die betagte Dame mit sichtlichem Stolz. Der Vater – schwer herzkrank, er starb 1967 – sollte hingegen nur den zaghaften Beginn der Künstlerkarriere erleben. Zweieinhalb Jahre nach Christians Übertritt auf das Linzer Gymnasium zog 1953 dann die gesamte Familie in die Landeshauptstadt. Man wohnte wieder wie vor der Flucht: in einer schönen Gründerzeitvilla. Christian Ludwig senior, vorerst als kommunaler Architekt am Wiederaufbau der Stadt beteiligt, wollte es im Alter von 48 Jahren noch einmal wissen, verabschiedete sich von der sicheren Beamtenlaufbahn und machte sich selbständig.
Das Floß am Attersee mit den Booten „Brummer“ (X 39) und den beiden Piraten „Thetis 2“ (OE 108) und „Wasserfloh 2“ (OE 103). 1953
Für den künstlerisch begabten Sohn organisierte er privaten Zeichenunterricht bei Alfons Ortner, Lehrer an der Kunstschule Linz und Gründungsrektor der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung, die heute Kunstuniversität Linz heißt. Eine Handvoll Streichholzschachteln wurden auf den Tisch geworfen, der Mittelschüler sollte sie originalgetreu und in penibler Perspektive zeichnen. Das Künstlertum war vorgebahnt. Nicht zuletzt weil die Lehrer am Gymnasium wenig Rücksicht darauf zeigten, dass ihr Schüler einseitig taub war, gab es wenig Interesse an den Fächern; motivierter zeigte er sich beim Verfassen kleinerer Theaterstücke, von Partituren für Kurzopern, und auch ein Kriminalroman floss dem Eleven aus der Feder. Englischsprachige Comics, von den US-amerikanischen Soldaten zurückgelassen, faszinierten den Jugendlichen, und der Rock ’n’ Roll, vor allem von Elvis, tat sein Übriges. So bitter für Christian das Regime des Schuljahres gewesen sein muss, im Sommer, am Attersee, war er in seinem Element. Aus der Musicbox des Strandcafés kam Einschlägiges, und neben „She’s Got It“ von Little Richard ist es „Heimweh“ von Freddy Quinn, die die Erinnerung prägen, wie schön die Zeit war. Wenn ihm schon eine Laufbahn als Opernsänger gleich dem Vorbild Mario Lanza versagt war, so blieb dem Teenager zumindest der Traum, als Rock ’n’ Roller zu reüssieren. Bis weit in seine Wiener Studienzeit hing er diesem Traum nach, und als Attersee Jahrzehnte später nach dem Tag gefragt wurde, den er ein zweites Mal erleben wollte, war die Antwort: Als bei meinem Konzert das Publikum tobte (Oberösterreichische Nachrichten, 10. August 1985).
Susanne Ludwig auf dem Floß am Attersee, rundum die Boote der Familie. 1953
Horst Ludwig am Steuer, Christian Ludwig an der Vorschot. 1951
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