Hanni Rühm und Attersee. 1965
Was also malen? Trotz seiner durch Reisen und Museumsbesuche erworbenen Kenntnisse war es nie Attersees Interesse, sich mit der Kunstgeschichte ins Benehmen zu setzen. Ich komme nicht aus der Kunstgeschichte, ich komme aus dem Leben. Während alle anderen die Kunstgeschichte auflösen wollten, was immer wieder passiert ist, wollte ich das Leben erneuern . Wasser und Wetter waren die dynamischen Komponenten, die bislang das Leben als Segler bestimmt hatten. Wieso also nicht noch einmal dort beginnen? Und dann die Wetter am Wasser. Über dem Atlantik (…) die Wetter sind ganz nah, auch in meinen Bildern sind ja die Wetter ganz nahe. Zwanzig Regenbogen zugleich, niedrig, die Wolken fünfzig Meter über dem Wasser. Diese Wetterwände, die ich ja auch habe, dieses Gebäudezickzack aus nassem Material, aus Dampf und Wolken (Gemalte Reise 1990, 218). So stand der Regenbogen Pate für die Motivwelt des Frühwerks. Das Licht der Sonne wird ins Farbspektrum zerlegt durch die Wassertropfen, die als Prisma fungieren. Bis heute kann Attersee nicht akzeptieren, dass es nur ein Wetter gibt, es gibt immer tausende Wetter, in Räume gefasst, Wetterzimmer, Wettertüren, Wetterlöcher (ebd., 219), dementsprechend gab es in diesen ersten „Wetterstücken“ und den etwas späteren „Regenbogenanomalien“ meist mehrere der bunten Naturerscheinungen, die sich mitunter recht sonderbar verhielten.
„Prospekt zum Verkauf von Regenbogen (Der kleine Regenbogenverkäufer)“. 1964. Collage mit Regenbogenelementen (Farbstift auf Karton) und Farbstift auf Karton. 42 x 58 cm
Attersee-Konzert anlässlich der Erstpräsentation des Bildes „Wetterwand“ im November 1993. Großwandbild für die Aula des Neubaus der Technischen Universität Graz (Architekt: Günther Domenig). Acryl und Lack auf grundierter Leinwand (Metallspannrahmen). 11,04 x 3,52 m
Jahrzehnte später wird man sehen, wie Attersee – beispielsweise in der monumentalen „Wetterwand“, von 1991 bis 1993 für die Aula im Neubau der Grazer TU gestaltet – seine Wettererfahrungen, -erlebnisse und auch -erfindungen verdichtet. Immer wieder möchte der Künstler Perspektiven schaffen, denen man das Phänomen der tausende Wetter zutraut, Perspektiven, die nahelegen, dass sich hinter ihnen eine ganz andere barometrische Lage verbirgt und hinter dieser nochmals eine andere. In den frühen Collagen indes werden die verschiedenen meteorologischen Konstellationen schlicht nebeneinander gesetzt. Auch wenn man bei den Anordnungen in verschiedene Bildfelder an Comics denken möchte, gibt es keinerlei Hinweise auf Narration oder sonstige chronologisch bedingte Abfolgen: Es sind Montagen von Atmosphären, wenn schon keine Parallelwelten, dann zumindest Parallelwetter.
Diese Arbeiten markieren den Übergang von den Materialbildern, wie das „Hanni-Diptychon“ eines war, zu den „Regenbogenanomalien“, die mit ihrer wohlgeordneten Disposition wissenschaftlichen Schautafeln nahe kommen – und wiederum beinahe nahtlos zur Werkgruppe der „Erfindungen“ übergehen werden. Anfangs, 1964, da musste noch ganz viel auf einmal sein: Der Regenbogen, die ungreifbare, aber mit Sentiment aufgeladene Erscheinung, wird in Kontrast zu abstrakt-geometrischen Motiven gesetzt und diese Collage dann mit triefend nasser und dadurch transparenter Farbe übermalt. Ganz viel auf einmal: „Ich die Operette“ aus dieser Werkgruppe gerät zum Schlüsselbild für das hybride Sowohl-als-auch von Figuration und Abstraktion, von Durchsichtigkeit und Opazität oder von Gefühligkeit und Deutlichkeit (WV 1994, 25). Erstmals hat der eben 23-Jährige hier ein Foto von sich ins Spiel gebracht, und gleichzeitig ist meine gesamte Kunst, die ich damals gemacht habe, dabei . Das Foto eines jungen Mannes, singend am Klavier, die Reproduktion der kulissenartigen Architektur aus dem Hintergrund der sogenannten „Sposalizio“, der Szene der Verlobung von Maria und Joseph, von Raffael – immerhin ein anderer junger schöner Mann – samt spektralfarbigem Baldachin sowie verschiedene Farbkarten aus der Drucktechnik bilden den Fond für einen spärlichen Auftrag sich selbst überlassener Farbe, der die verschiedenen Bereiche mehr verbindet als überdeckt. Die Verlobung, die im Vordergrund des Gemäldes von Raffael zu sehen gewesen wäre, sie findet auf dem Papier statt – in Gestalt der verschiedenen Neigungen, die sich in einer künstlerischen Individualität verbinden.
„Regenbogenanomalien“. 1964. Collage mit Illustriertenabbildungen und Regenbogenelementen (Farbstift auf Karton) auf Karton. 70 x 100 cm
„Nach dem Regen“. 1964. Collage mit eingefärbtem Papier, Spektralelementen (Farbstift auf Karton) und Kasein auf Karton. 44 x 62 cm
„Seitenraum der Metropolitan Opera“. 1964. Collage mit Regenbogenteilstücken (Farbstift auf Karton), eingefärbtem Papier und Kasein auf Karton. 44 x 63 cm
„Draußen im Garten“. 1964. Collage mit Regenbogenteilstücken (Farbstift auf Karton) und Kasein auf Karton. 44 x 62 cm
Ganz viel auf einmal: War dem Künstler das Zusammentreffen von malerischer Geste mit der Idee, Naturphänomene zu verändern, vielleicht selbst zu viel an Information geworden? Als hätten sich die trüben Wolken nach einem Gewitter verzogen, erscheinen die anschließenden, 1965 ins Werk gesetzten „Regenbogenanomalien“ in der Klarheit, in der sich eine feine Ironie zur Geltung bringt (WV 1994, 29). In einem 1965 verfassten Lebenslauf beschreibt Christian Ludwig die Werkfolge so: das in allen arbeiten erscheinende motiv des regenbogens wird meistens als kontrast zu klaren quadratischen oder tachistischen formelementen verwendet. der regenbogen kann schwarz, weiss oder auch farbig sein, tritt aber auch würfel- oder kugelförmig in diesen bildern auf. meistens verändert der regenbogen seine ursprüngliche form und erscheint schlingenförmig oder schwebt perspektivisch in würfeln aufgelöst über wasserfälle und gebirgslandschaften (Archiv Attersee, unpubliziert). In Schwüngen und Kehrtwendungen, in Schlangenlinien und zum Kreis gebogen, kubisch und mehrere Fotos der Tafeln überspannend, ließ der Wettererfinder seine Regenbogen über die Bildgründe tanzen. Eine Anweisung für derlei naturwissenschaftliche Kuriosa wurde dann auf dem Informationsblatt für die Ausstellung der Berliner Galerie Katz 1966 mitgeliefert. 10 anweisungen zur betrachtung von regenbogenerscheinungen ist es überschrieben, und beinahe möchte man den Anweisungen folgen und beispielsweise die masten der auf hoher see segelnden schiffe erklettern , um in den Genuss zu kommen, den regenbogen als vollen kreis zu beobachten . Nummer 9 nimmt es ganz genau: gelegenheit, einen schwarzen regenbogen zu beschauen, haben sie nur bei besichtigung des bildes „regenbogen in trauer“ von christian ludwig . Die Nummer 10 schließlich bringt die Sache auf den Punkt nonchalanter Eigenwerbung: besuchen sie die ausstellung der bilder christian ludwigs in der galerie benjamin katz. sie werden regenbogenanomalien sowie abbildungen regenbogenförmiger würfel und kugeln betrachten können . Gleichsam zur Bestätigung der Mobilität dieser Himmelserscheinungen war dem Faltblatt eine kleine Zellophantüte, beinhaltend „2 bewegliche Regenbogenteilstücke“ aus Papier, angeheftet. Aber das war Monate später, als der österreichische Künstler seine erste Ausstellung hatte, nicht in Wien, sondern im benachbarten Ausland.
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