Schweißnass rollte sie sich von ihm herunter. Sie schmiegte sich an ihn und wartete darauf, dass ihr Puls sich beruhigte. Ihre Gedanken wanderten und sie begann über die Bibliothek nachzudenken. Sie setzte sich auf. »Dieses Manuskript, das ich mir ansehen will …«
Carter wandte sich ihr im Liegen zu. »Was ist damit?«
»Das Original stammt aus dem siebten Jahrhundert. Mohammed gab einem seiner Feldherren eine Kiste. Er wies ihn an, sie weit wegzubringen und zu verstecken. Das Manuskript spricht von einer großen Höhle im Norden. Könnte der Ort sein, an dem sie den Lastwagen versteckt haben. Wo AKIM vielleicht eine Basis betreibt.«
»Was ist in dieser Kiste?«
»Das ist nicht bekannt. Aber die Dschihadisten würden alles haben wollen, was mit Mohammed in Verbindung steht. Ein solches Artefakt würde ihnen Respekt und Glaubwürdigkeit verschaffen.«
»Dazu müssen sie es erst finden. Wenn es überhaupt existiert.«
»Vielleicht ist es ein Mythos. Doch wenn es gefunden würde, dann wäre es ein Zeichen. Vielleicht ist es gefunden worden. Möglicherweise war das der Grund für die Assassinen, aus der Deckung zu kommen.«
»Wie finden wir diese Höhle?«
»Das Manuskript gibt Hinweise. Es ist von Salzminen die Rede. Das bedeutet, dass sie in der Nähe von Taoudenni sein muss. Steph sagte doch, dass sie dort den Kontakt verloren haben. Wenn wir vor Ort den Hinweisen folgen, dann finden wir womöglich auch die Höhle.«
»Nicht übel. Jedenfalls besser, als im Trüben zu fischen.« Er streckte den Arm nach ihr aus. Sie ließ sich hineinsinken.
Auf dem Treppenabsatz wartete Carter auf Harmon. Das Hotel de Colombe lag direkt an Timbuktus Variante des Times Square. Zwei breite Straßen aus festgebackenem Sand formten ein Y und rahmten den ungepflasterten Platz vor dem Hotel ein. Mehrere hohe Bäume wuchsen in dem Dreieck zwischen den Straßen. Flachdachhäuser und Ladenzeilen aus Lehmziegeln reihten sich an den Seiten auf. Eine magere Kuh stand reglos und mit hängendem Kopf mitten auf der Straße. Eine lange Reihe Holzpfosten, die sich in der Ferne verloren, trugen ein einzelnes Stromkabel. Kleine Staubteufel tanzten in der Morgenhitze. Die Sonne brannte auf seinen Kopf herunter. Ein großer, hagerer Mann in einem dunkelbraunen Kaftan und mit weißer Kufi stand wie verzaubert bei einem Haufen Lehmziegel an der Kreuzung. Ein Stück die Straße hinunter lehnte sich ein alter Mercedes schwer in seine durchgeschlagene Federung. Eine echt belebte Gegend. Ein zerbeulter weißer Peugeot hoppelte auf das Hotel zu, eine Staubwolke hinter sich herziehend. Er hielt vor ihm an. Ein junger, dunkelhäutiger Mann stieg aus dem Wagen und lächelte ihn an. Er trug einen langen Kaftan und eine einfache Kopfbedeckung. Carter ging die Treppe hinunter, als Harmon ausstieg.
»Wo ist Ihre Freundin?«
»Sie kommt nicht mit.«
»Das ist Moussa.« Harmon zeigte auf den Fahrer. »Moussa, das ist der Mann, der das Flugzeug deines Onkels mieten möchte.«
»Mein Onkel wird sehr glücklich sein.« Moussas Stimme war tief und freundlich.
Sie zwängten sich gemeinsam in das Auto. Moussa legte den Gang ein. Aus seinem Lächeln wurde ein Grinsen, sein Blick war starr auf die Straße gerichtet. Er sah aus wie ein Kamikaze-Pilot. Sie rasten durch die Stadt, über Schlaglöcher hinweg, um freilaufende Tiere herum und wichen einem wütenden Polizisten aus, der seinen Schlagstock nach ihnen warf. Zwanzig Minuten später hielten sie vor einem großen, dreistöckigen Lehmziegelbau am Rande der Wüste. Alle Ziegel waren mit einem einfachen, geometrischen Muster verziert, welches über das Mauerwerk mäanderte.
Carters verkrampfte Hände lösten sich von dem Sitz, an den er sich geklammert hatte. Die Vordertür des Gebäudes war aus verwittertem Holz und mit einer komplexen Anordnung von Metallbändern verziert. Ein eindrucksvoller, polierter Messingring diente als Türklopfer. Moussa klopfte an, öffnete die Tür für sie und verbeugte sich, als sie eintraten. Im Inneren war es kühl und dunkel. Sie befanden sich in einem Vorraum mit niedrigen Bänken, Kissen und einem kleinen Holztisch. Schwere Vorhänge aus tiefrotem Stoff trennten ihn vom hinteren Teil des Hauses. Die Vorhänge teilten sich für einen kleinen, dunkelhäutigen Mann, den Carter auf etwa siebzig schätzte. Sein Gesicht war wie die Borke eines knorrigen Baumes. Er hatte kurzgeschnittenes, graues Haar unter einer hellen Kufi. Sein Bart war ordentlich gepflegt, seine Augen jedoch waren milchig weiß. Carter blickte auf seine Hände. Kräftige Finger mit dicken, kurz geschnittenen Nägeln, die Knöchel vernarbt und von Arthritis gezeichnet. Die Hände eines alten Mechanikers.
»Salaam Aleikum, Onkel.«
»Aleikum Salaam, Neffe. Du hast deine neuen Freunde mitgebracht?« Er sprach Englisch mit einem starken Akzent.
»Ja, Onkel.« Moussa stellte sie vor.
»Ich würde mir das Flugzeug gern ansehen«, sagte Carter.
Moussas Onkel blickte einen Moment lang in die Ferne, während der Jüngere auf den Boden starrte.
»Natürlich. Bitte folgen Sie mir.« Ibrahim verschwand hinter dem Vorhang.
»Das war unhöflich«, flüsterte Harmon ihm zu.
»Wieso das?«
»Niemand beginnt hier ein Gespräch mit dem eigentlichen Geschäft«, erklärte er. »Erst plaudert man bei Tee oder Kaffee. Dann kommt man zum Geschäftlichen.« Sie gingen durch den Vorhang und betraten einen kleinen, offenen Innenhof. Wasser plätscherte in ein kleines, gekacheltes Becken, das von roten Blumen eingerahmt war. In drei Richtungen zweigten Türen ab. Moussa und Ibrahim warteten auf sie. Carter ging zu dem alten Mann hinüber.
»Bitte verzeihen Sie meine schlechten Manieren«, sagte er. »Ich kenne Ihre Bräuche nicht. Danke für die Einladung in Ihr Heim.«
Ibrahim entspannte sich sichtlich. Er berührte seine Brust mit der rechten Hand. »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Mein Haus ist Ihr Haus. Vielleicht etwas Tee, bevor wir das Flugzeug besichtigen?«
Harmon warf ihm einen warnenden Blick zu. »Wir wären geehrt«, antwortete Carter.
Nach einer halben Stunde bei süßem Minztee und Small Talk gingen sie durch eine weitere Tür in einen großen, höhlenartigen Raum auf der Rückseite des Gebäudes. Die beiden großen Flügeltüren, die nach draußen führten, standen offen. Das Flugzeug war nur ein dunkler Umriss im gleißenden Sonnenlicht. Harmons Blick wanderte über die unverkennbare Form der freitragenden Flügel.
»Hol mich der Teufel. Es ist eine Mousquetaire.«
»Mausketier? Was ist das denn?«, fragte Carter.
»Mousquetaire. Das bedeutet Musketier auf französisch. Es ist eine Jodel D-140, komplett aus Holz gebaut. Die wurden in den Sechzigern und Siebzigern als fliegende Lazarette genutzt. Kommen mit einer kurzen Startbahn aus. Vier bis fünf Sitze und ein ziemlich ordentlicher Laderaum. Ich kenne einen Kerl in den Staaten, der so eine restauriert hat. Bin sie mal geflogen. Gutes Flugzeug. Perfekt für die Wüste.«
Ibrahim nickte erfreut. Die französische Militärkennung war überpinselt worden, aber noch erkennbar. Das feststehende Landefahrwerk war für die Wüste modifiziert worden: Die Räder waren größer und die Radkästen waren entfernt worden. Dadurch war es möglich, auf Sandpisten zu landen. Sie gingen um das Flugzeug herum. Die Reifen waren alt, verwittert und voller Trockenfäule. Sie hielten noch die Luft, aber es wäre lebensgefährlich, mit ihnen zu starten oder zu landen. Das große Buckelcockpit reflektierte den Sand in allen Facetten. Das Flugzeug war einmal weiß gewesen, doch mittlerweile war der Anstrich fadenscheinig und verblasst und begann an einigen Stellen abzublättern. Harmon öffnete das Cockpitdach. Die Kabine wirkte sauber und aufgeräumt. Das Leder der Sitze war rissig und matt. Im Laderaum war eine aufgerollte Trage über einer rechteckigen Kiste mit Rotkreuzmarkierung befestigt. Eine Feldapotheke, aber mindestens vierzig Jahre alt. Harmon öffnete sie. Leer.
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