Das Disziplinarrecht wird wegen seiner öffentlich-rechtlichen und einseitigen Ausgestaltung als Bestandteil der „ hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums “ (Art. 33 Abs. 5 GG) angesehen. 1
Das Disziplinarrecht ist in das materielle Disziplinarrecht (Pflichtenkreis des Beamten, vgl. unten 1.4.3.2) und in das Disziplinarverfahrensrecht ( vgl. unten 1.4.2 und 2. bis 5.) gegliedert.
Nachdem sich das „ Dienststrafrecht “ im 19. Jahrhundert zu einem eigenständigen Teil des Beamtenrechts entwickelt hatte 2 , waren bis 1933 verschiedene Bemühungen gescheitert, eine für das ganze Deutsche Reich verbindliche Dienststrafordnung zu erlassen. Im Jahr 1937 erging die Reichsdienststrafordnung 3 , auf der die erste Bundesdisziplinarordnung 4 (BDO) fußte.
Reformbestrebungen, die auf eine Verbesserung des Rechtsschutzes und eine „Humanisierung“ des Disziplinarrechts, einschließlich einer Umbenennung in „ Dienstordnungsrecht “ abzielten, mündeten im Jahr 1967 in eine Neufassung der BDO 5 . Das Verfahrensrecht der BDO war weitgehend an der Strafprozessordnung und am Gerichtsverfassungsgesetz orientiert 6 , auch wenn es auf strafrechtliche Begriffe wie „Beschuldigter“ und „Strafe“ zugunsten von „Beamter“ und „Disziplinarmaßnahme“ verzichtete.
Die BDO galt nach der Wiedervereinigung Deutschlands nach Maßgabe des Einigungsvertrages zunächst auch auf dem Gebiet der ehemaligen DDR einschließlich Berlin/Ost. 7
Nach weiteren 34 Jahren hat sich der Bundesgesetzgeber zu einer vollständigen Trennung des Disziplinarrechts vom Strafprozessrecht entschlossen. In ihrem „Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts“ 8 kritisierte die Bundesregierung, das seit 1967 geltende, nahezu unveränderte Bundesdisziplinarrecht sei „in weiten Teilen sehr unübersichtlich und in verfahrensrechtlicher Hinsicht vielfach nicht praktikabel“. Hierin liege eine wesentliche Ursache für die allseits beklagte lange Dauer der Verfahren. Angesichts dessen liege es sowohl im Interesse des Dienstherrn als auch im Interesse der Betroffenen, „im Zuge der Verwaltungsmodernisierung auch das Disziplinarrecht den Anforderungen einer modernen und effektiven Verwaltung und Rechtspflege anzupassen.“
Diesem Vorhaben verlieh das Bundesdisziplinargesetz (BDG) 9 Gestalt. Die Vielzahl der vorzunehmenden Änderungen machte es aus Sicht des Bundesgesetzgebers erforderlich, von einer Novellierung lediglich einzelner Bestimmungen der BDO Abstand zu nehmen und statt dessen ein nunmehr als „Bundesdisziplinargesetz“ bezeichnetes Gesetzes zu erlassen. Umfassende verfahrensrechtliche und institutionelle Veränderungen schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Disziplinarverfahren künftig effektiver und dadurch auch kostengünstiger abgewickelt werden können. Gleichzeitig wird der rechtsstaatliche Standard für die Betroffenen verbessert. 10 Das Disziplinarverfahren ist nunmehr als reines Verwaltungsverfahren ausgestaltet. Soweit gerichtliche Entscheidungen erforderlich sind, sind ausschließlich die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung anzuwenden. 11 Das Bundesdisziplinargericht und die Institution des Bundesdisziplinaranwalts wurden abgeschafft. 12 Der beabsichtigte Einspareffekt des Gesetzes ist unübersehbar. 13
Das Gesetz trat zum 1. Januar 2002 in Kraft. 14 Gleichzeitig trat die Bundesdisziplinarordnung mit einer Reihe auf ihr beruhender Rechtsverordnungen außer Kraft. 15
Die Neuordnung des Disziplinarrechts ist nicht auf den Bund beschränkt. Rheinland-Pfalz hatte sein Landesdisziplinarrecht bereits vor Inkrafttreten des neuen Bundesrechts grundlegend umgestaltet. 16 Die meisten anderen Länder haben ihr Disziplinarrecht dem Modell des BDG inzwischen angepasst (vgl. unten 1.4.11). Die letzte Änderung erfuhr das BDG im Jahr 2020 durch die Elfte Zuständigkeitsanpassungsverordnung.
1.3 Zweck des Disziplinarrechts
Das Disziplinarrecht bezweckt keine strafrechtlichen Sanktionen. Das Strafrecht ist darauf ausgerichtet, abzuschrecken (Spezial- und Generalprävention) sowie zu sühnen und zu vergelten. Das Disziplinarrecht bezweckt demgegenüber hauptsächlich die Reinhaltung des Berufsbeamtentums, die Erziehung des Beamten ( Pflichtenmahnung ) und die Wahrung, Festigung und Sicherung der Dienstordnung im Interesse der Gesamtheit. 17 Disziplinarmaßnahmen sind ein Mittel der Personalführung .
Das verfassungsrechtliche Verbot der Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG), das im Disziplinarrecht ebenfalls gilt 18 , wird nicht umgangen, wenn ein Beamter wegen eines Verhaltens sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. 19
Neben einer für alle Bundesbeamten verbindlichen Verfahrensordnung in Form des Bundesdisziplinargesetzes trägt eine Reihe weiterer Vorschriften disziplinaren oder disziplinarähnlichen Charakter oder weist Bezüge zum Disziplinarrecht auf. Beispielsweise befassen sich das Bundesbeamtengesetz, das Bundesbesoldungsgesetz und das Beamtenversorgungsgesetz mit beamten-, besoldungs- oder versorgungsrechtlichen Konsequenzen disziplinarer Natur. Der Überblick über solche Vorschriften ist nicht leicht zu gewinnen. Sie reichen vom Grundgesetz über einfachgesetzliche Regelungen bis hin zu Verwaltungsvorschriften.
Im Folgenden sind die wichtigsten Vorschriften mit disziplinarrechtlichem Bezug zusammengestellt:
Art. 73 Nr. 8 GG weist dem Bund die ausschließliche Gesetzungsgebungskompetenz über „die Rechtsverhältnisse der im Dienste des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen“ zu. Von dieser Kompetenz hat der Bund mit dem BDG – und vorangehend mit der BDO – Gebrauch gemacht. 20
Am 1. September 2006 trat die sogenannte Föderalismusreform 21 in Kraft. Es handelte sich dabei um die größte Verfassungsreform seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland. Kernstück der Reform war die Änderung der Gesetzgebungskompetenzen.
Bis dahin galt Folgendes: Bezüglich der „im öffentlichen Dienste der Länder, Gemeinden und anderen Körperschaften des öffentlichen Rechtes stehenden Personen“ oblag dem Bund eine Rahmenkompetenz (Art. 75 Abs. 1 Nr. 1 GG a. F.), „soweit Artikel 74a GG a. F. nichts anderes bestimmt“. Auf dieser verfassungsrechtlichen Grundlage hatte der Bund das BRRG erlassen, das in seinem § 45 eine dem § 71 BBG vergleichbare Vorschrift über die Nichterfüllung von Pflichten als Dienstvergehen enthielt. § 45 Abs. 3 BRRG, der inzwischen weggefallen ist, enthielt eine Verweisung auf „die Disziplinargesetze“, die „das Nähere über die Verfolgung von Dienstvergehen regeln“.
Art. 74a GG a. F. regelte die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Besoldung und Versorgung im öffentlichen Dienst. Wie noch zu zeigen ist (vgl. unten 1.4.4 und 1.4.5), weisen die besoldungs- und versorgungsrechtlichen Vorschriften des Bundes zum Teil einschneidende disziplinarrechtliche Bezüge auf.
Die konkurrierende Gesetzgebung nach Art. 74 a GG a. F. und die Rahmengesetzgebung nach Art. 75 GG a. F. sind aufgehoben worden. Die Bereiche der Laufbahnen, Besoldung und Versorgung wurden auf die Zuständigkeit der Länder verlagert (Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG n. F.). Das bisher geltende Recht zur Besoldung und Versorgung gilt jedoch als Grundrecht fort, bis es durch Landesrecht ersetzt wird. 22 Auch das BRRG gilt als Bundesrecht fort. 23
Von der durch Art. 96 Abs. 4 GG eingeräumten Möglichkeit, „Bundesgerichte zur Entscheidung im Disziplinarverfahren und Beschwerdeverfahren“ zu errichten, hatte der Bund u. a. in der BDO Gebrauch gemacht. § 42 BDO sah die Errichtung des Bundesdisziplinargerichts (in Frankfurt am Main) vor, dessen Kammern über das gesamte Bundesgebiet verteilt waren. Beschwerde- und Berufungsinstanz war insoweit das Bundesverwaltungsgericht mit seinen beiden Disziplinarsenaten (§§ 55, 79, 80 BDO). Für die Bundeswehr wurden Truppendienstgerichte und beim Bundesverwaltungsgericht Wehrdienstsenate eingerichtet.
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