Vielleicht hätte ich das Rasieren doch nicht auf morgen verschieben sollen. Hol’s der Dunkle! Sie waren nicht hier, um Freundschaften zu schließen. Er wollte Davaron die eigene Klinge zu schmecken geben, aber wie sollten sie ihn finden? »An wen kann man sich hier wenden, wenn man ein wichtiges Anliegen hat?«, fragte er den nächstbesten Elf. Bei seinem ungewollt barschen Ton verhärtete sich die Miene des Fremden.
»Geht zur Halle der Thala und fragt nach Kalianara«, riet er und wies gen Stadtmitte, bevor er sich rasch entfernte.
Sogleich schlug Athanor die angegebene Richtung ein. Die Häuser entlang der Stege waren aus hölzernen Rahmen errichtet, in denen aus Schilf geflochtene Matten die Wände bildeten. Auch darin ähnelten sie den Hütten am Fallenden Fluss, doch während jene grau und armselig gewirkt hatten, bestach das Flechtwerk der Elfen mit kunstvollen Mustern aus gelben, grünen, goldenen und braunen Gräsern. Es ähnelte eher den bunten Wandteppichen im Palast eines Königs als den einfachen Strohmatten eines Fischers.
Die Halle Thalas war nicht zu verfehlen. Umgeben von schwimmenden Plattformen, die einem ganzen Markt Platz geboten hätten, erhob sie sich über alle anderen Gebäude der Stadt. Die Säulen, die das Dach aus Perlmutt trugen, waren wie Fontänen geformt, sodass es wirkte, als schwebte das Dach auf sprudelndem Wasser. Die Elfenkünstler hatten sie aus angespülten Baumstämmen geformt, und Athanor fragte sich allmählich, ob es an diesem Ort überhaupt etwas gab, das nicht dem Wasser entnommen war.
Vor der Halle standen einige vornehm gekleidete Elfen in ein Gespräch vertieft. Als sie Athanor und Vindur bemerkten, verstummten sie und wandten sich ihnen zu. Aus Gewohnheit galt Athanors erster Blick den Gürteln der Versammelten. Wie unter Elfen üblich hingen keine Waffen daran. Sicher hatte Davaron in seiner Rüstung und mit dem Schwert an der Seite genug Aufmerksamkeit erregt, dass seine Ankunft den Würdenträgern zu Ohren gekommen war.
Eine Frau mit entschlossenen Zügen und langem, weißblondem Haar trat ihnen entgegen. Sie trug ein weißes, wie mit glitzernden Fischschuppen besticktes Kleid, das einer Königin zur Ehre gereicht hätte. »Ich grüße Euch, Sohn Kaysas«, sagte sie kühl und vermied es, Vindur anzusehen. Was nicht weiter schwierig war, da sie sogar Athanor um zwei Fingerbreit überragte. »Was führt Euch nach Sianyasa?«
Für einen Moment erwog Athanor, über ihre Unhöflichkeit verärgert zu sein. Das Gastrecht gebot, dem Fremden zunächst Gelegenheit zu geben, sich von der Reise zu reinigen und ihn dann zu einem Mahl zu bitten, bevor man ihn nach dem Anlass seines Besuchs fragte. Doch er hatte es ohnehin eilig, also beschloss er, darüber hinwegzugehen. »Seid Ihr Kalianara?«
Die Elfe nickte. »So ist es.«
»Wir verfolgen einen Mörder. Er hat Elanya …« Bei ihrem Namen wurde ihm die Kehle so eng, dass er das nächste Wort kaum herausbrachte. »… eine Tochter Ardas getötet, und seine Spur führt direkt in Eure Stadt. Er muss vor etwa zwei Tagen hier angekommen sein.«
Kalianara schüttelte den Kopf. »Ihr seid seit über tausend Jahren der erste Sohn Kaysas, der Sianyasa betritt. Ihr müsst Euch irren.«
»Davaron ist ein Elf, ein Sohn Piriths«, erklärte Athanor gereizt. »Er trägt eine schwarze Rüstung und …«
»Dieser Mann ist ein Mörder?«, fiel ihm die Elfe ins Wort.
Treffer! »Dann habt Ihr ihn gesehen?«
Kalianara wich zurück und musterte ihn skeptisch. »Wenn es stimmt, was Ihr sagt, warum wird er dann nur von Euch und einem Zwerg verfolgt? Haben die Ältesten der Abkömmlinge Piriths und Ardas keine Gesandten, um den Frevler vor Gericht zu bringen?«
»Eigentlich hat der Erhabene angekündigt, Boten zu allen Elfenvölkern zu schicken.« Bekam dieser große Redenschwinger nicht einmal das hin?
Die Elfe schürzte die Lippen. »Damit sind demnach wieder einmal nicht die Söhne und Töchter Thalas gemeint.«
Thala?
»Es gibt ein fünftes Elfenvolk?«, wunderte sich auch Vindur. In Anvalon saßen nur die Vertreter der Abkömmlinge Ardas, Heras, Ameas und Piriths im Rat.
»Wir sind die Söhne und Töchter der See«, antwortete Kalianara stolz. »Die anderen sehen auf uns herab, weil wir einer Verbindung aus Elfen aller Völker, vor allem Ameas und Heras, entstammen.«
Ein Volk von Bastarden. Athanor konnte sich lebhaft vorstellen, wie in Anvalon über sie gesprochen wurde. Hoffentlich bedeutete es nicht, dass sie Davaron deshalb Zuflucht gewährten. »Ich teile die Vorbehalte der anderen Elfenvölker nicht«, versicherte er. »Ich bin nur hier, um den B… Dreckskerl zur Strecke zu bringen, der …«
»… die berühmte Heilerin und Heldin des Heerzugs gegen die Untoten grausam ermordet hat«, beendete Vindur für ihn den Satz.
»Dann seid Ihr sicher der Mensch, der die Trolle befreite, und Ihr der Zwerg, der den Drachen erlegte. Es hat zwar niemand für nötig gehalten, uns von den Ereignissen in Kenntnis zu setzen, aber wir haben von Euch gehört.«
Das erklärt, warum es beim Heer keine Abkömmlinge Thalas gab.
»Athanor, Prinz von Theroia, und Vindur, Prinz von Firondil«, stellte sein Freund sie vor und reichte der Elfe die Hand.
Verblüfft sah Kalianara auf ihn hinab.
»Das ist ein zwergischer Brauch«, eröffnete Vindur ihr großmütig. »Man ergreift die Hand des anderen und bewegt sie auf und ab.«
Athanor sah, wie einige der Umstehenden das Gesicht verzogen. Selbst Elfenbastarde waren eben arrogantes Pack. Doch Kalianara rang sich ein kleines Lächeln ab und schüttelte Vindur die Hand.
»Er hat diese Narben beim Kampf mit dem Drachen davongetragen«, rieb Athanor ihnen unter die hoch getragenen Nasen. »Könnten wir jetzt auf den Mörder zurückkommen, bevor er auf und davon ist?«
»Ich bedaure. Er hat die Stadt bereits verlassen«, sagte Kalianara.
»Was tun wir jetzt?«, rief eine ältere Elfe mit weißem Haar. »Er könnte Eleagon und die ganze Mannschaft ermorden!«
»In welche Richtung sind sie geritten?«, fragte Athanor und spannte sich, um zurück zu den Pferden zu rennen.
Kalianaras Blick verhieß nichts Gutes. »Er befindet sich auf einem Schiff, das gen Dion fährt.«
»Ich habe gleich gesagt, dass ihm sein Name zu Kopf gestiegen ist«, schimpfte einer der Würdenträger, die sich in der Halle Thalas versammelt hatten. Verglichen mit dem Hohen Rat zu Anvalon ging es hier ungezwungen und impulsiv zu. Die Elfen saßen auf Kissen, die auf den blank polierten Dielen verteilt lagen, und niemand musste auf die Erlaubnis der Ältesten warten, um zu sprechen.
Dennoch verlor Athanor allmählich die Geduld. Er leerte einen weiteren Becher Wein, um nicht mit einem Fluch herauszuplatzen. Würden die verfluchten Elfen nun die Verfolgung aufnehmen oder nicht?
»Hätten seine Eltern ihn nicht Eleagon genannt, hielte er sich jetzt nicht für den wiedergeborenen großen Entdecker«, fuhr der empörte Mann fort, dessen Sohn offenbar zur Besatzung des Schiffs gehörte, mit dem sich Davaron gerade immer weiter von ihnen entfernte. Die Versammelten wussten zwar nicht, wie der Bastard den Schiffsführer dazu gebracht hatte, überstürzt in See zu stechen, aber wenigstens hatte einer der Seeleute verraten, dass er den Ozean überqueren wollte.
»Holt Euren Bengel eben zurück, wenn Euch so viel an ihm liegt!«, rief Athanor ungehalten. »Den Mörder halten Vindur und ich Euch schon vom Hals.«
Der Elf hatte nur einen strafenden Blick für ihn.
»Ihr wisst nicht, was Ihr da fordert«, rügte ein weißhaariger Alter. Er musste viel Zeit in Sonne und Wind verbracht haben, denn noch nie hatte Athanor einen wettergegerbten Elf gesehen. »Mein Name ist Thalasar«, stellte er sich vor. »Ihr Fremden kennt mich nicht, aber unter meinesgleichen bin ich als Schiffsführer bekannt.«
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