Eine Veröffentlichung des
Atlantis-Verlages, Stolberg
August 2020
Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin
Titelbild, Innengrafiken und Umschlaggestaltung: Timo Kümmel
Satz: André Piotrowski
ISBN der Printausgabe: 978-3-86402-743-7
ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-744-4
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Ithara, drei Monate vor Theroias Untergang
»Das hier ist ein Heerlager und kein Hurenhaus!«, brüllte Argos die leicht bekleideten Frauen an, die er am Vorabend noch so großzügig in seinem Zelt bewirtet hatte.
Nun ja, nicht ganz so großzügig , dachte Athanor. Immerhin hatten sie eine Gegenleistung erbringen müssen, auf die sie sich sehr gut verstanden.
»Hinaus mit euch!« Das zorngerötete Gesicht seines Onkels hätte wohl allein schon genügt, um die Huren aus dem Zelt flüchten zu lassen.
»Die Verstärkung wird Ithara nicht retten«, wiegelte Athanor ab. »Es sind nur die Barbaren aus den Wehrdörfern.«
» Nur die Barbaren?«, fuhr Argos auf. »Die Kyperer halten seit Jahrhunderten die Orks von unseren Grenzen ab. Das sind keine verweichlichten Memmen wie die Itharer.« Der Oberste Feldherr fegte die Reste des Frühstücks vom Tisch. Scheppernd landeten goldene Becher und Krüge am Boden, und sofort eilte sein Knappe herbei, um sie aufzusammeln. Argos deutete auf die Karte, die unter dem Geschirr zum Vorschein gekommen war. »Sie werden uns in die Zange nehmen, und zwar genau hier!«
Athanor und sein Freund Theleus traten näher, um zu erkennen, worauf der schwielige Finger des Älteren zeigte. Hinter ihnen schlug jemand den Eingang des Zelts wieder auf.
»Hab ich nicht gerade gesagt …«, rief Argos erbost und verstummte so abrupt, dass sich Athanor über die Schulter nach dem Neuankömmling umsah.
Die schlanke, hochgewachsene Frau hob gerade einen mit goldenen Fäden bestickten Schleier von ihrem Gesicht.
»Anandra!«, entfuhr es Argos. »Hast du den Verstand verloren? Hier ist es nicht sicher.«
Sie bedachte den Obersten Feldherrn mit einem kühlen Blick ihrer eisblauen Augen. »In letzter Zeit erscheint es mir oft, als sei ich die Einzige, die nicht den Verstand verloren hat. Ich muss mit dir reden«, wandte sie sich an Athanor. »Allein.«
Theleus grinste breit und klopfte Athanor auf die Schulter. »Jetzt weiß ich, warum du nicht heiraten willst. Dann hättest du zwei von der Sorte am Hals.«
Athanor erwiderte das Grinsen. »Unsinn. Eine Frau wie Anandra findet man nur einmal.«
Seine Schwester lächelte ironisch, während Theleus in Gelächter ausbrach.
»Schluss jetzt!«, donnerte Argos. »Du kannst hier mit deinem Bruder reden. Ich habe ein Heer in die Schlacht zu führen.« Damit stürmte er hinaus, dass sein Umhang flatterte. »Das gilt auch für dich, Nichtsnutz«, blaffte er Theleus im Vorübergehen an.
»Wir sehen uns später«, versprach Athanors Freund und eilte hinter Argos und dem Knappen her.
»Unser übellauniger Onkel hat nicht ganz unrecht«, stellte Athanor fest. »Auch wenn das Land zwischen hier und Theroia nun uns gehört, ist es noch kein Garten, in dem du lustwandeln kannst. Außerdem muss ich mich auf die Schlacht vorbereiten. Ein bisschen jedenfalls.«
Anandra verzog spöttisch den Mund. »Die neue Narbe steht dir. Sie unterstreicht deine natürliche Arroganz.«
»Bist du den weiten Weg gekommen, um mir zu schmeicheln? Das wäre nicht nötig gewesen. Die Männer feiern mich ständig – obwohl Onkel die ganze Arbeit macht.«
»Immerhin das bemerkst du noch.«
Athanor grinste. »Ich bin nur arrogant, nicht dumm.«
»Wenn du so klug bist, hast du dann über die Berichte nachgedacht, von denen ich dir erzählt habe?«
Ach, darum geht es. Er richtete sich auf. »Dafür habe ich nun wirklich keine Zeit, Anandra. Die Itharer haben ihre Truppen zusammengezogen, und wir müssen sie schlagen, bevor die ungewaschenen Kyperer ihnen den Arsch retten können.«
»Glaubst du, dass du mich mit derber Sprache schockieren kannst?« Seine Schwester hob eine fein geschwungene Braue. »Du solltest mich besser kennen.«
Er seufzte nur. Sie hatte noch nie locker gelassen, wenn sie etwas wollte.
»Also? Was denkst du?«
»Ich weiß nicht, was du von mir erwartest. Wenn Drachen eine Stadt angreifen, steht sie in Flammen. Dann trifft es alle, auch die Frauen und Kinder. Das lässt sich nicht ändern.«
Zorn loderte in Anandras Augen auf, doch ihre Stimme blieb beherrscht. »Du weißt genau, was ich meine.«
Allerdings. Aber er wollte diese Berichte nicht hören. Sie waren verwirrend, beunruhigend und ärgerlich. »Soll sich doch Vater darum kümmern. Wir haben hier andere Sorgen.«
» Hier werden diese Dinge geschehen, sobald du mit deinen versoffenen Freunden weitergezogen bist.«
Die Zeltplanen bauschten sich. War es eine Windböe oder der Flügelschlag eines Drachen?
»Weitergezogen«, wiederholte Athanor triumphierend. »Du sagst es. Deshalb kann ich auch nichts dagegen tun.«
»Du könntest unsere feinen Verbündeten wenigstens zur Rede stellen und deutlich machen, was du von all dem hältst!«
»Ach ja? Und womit soll ich ihnen drohen? Wenn ihr nicht aufhört, mögliche Widerstandsnester auszuräuchern, wollen wir wieder allein in den Krieg ziehen? Das ist lächerlich. Wir brauchen sie!«
Anandra starrte ihn an, als könnte ihr Blick ihn erdolchen. »Du bekommst den Hals also auch nie voll genug. Und ich habe geglaubt, du seiest anders als Vater.«
»Ich bin anders als Vater«, wehrte er ab, doch ihm fiel gerade auch nicht ein, worin sie sich unterschieden. Sie waren eben anders . »Ich muss jetzt gehen, Anandra«, sagte er und ließ sie stehen. »Im Krieg sterben nun einmal Menschen. Gewöhn dich endlich daran.«
»Verbündeten, die gegen die Gebote der Götter verstoßen, kann man nicht trauen!«, rief sie ihm nach.
»Welche Götter meinst du?«, gab er zurück, doch ihre Antwort hörte er nicht mehr.
Draußen atmete er erleichtert auf. Ein frischer Wind hatte die Sommerhitze der letzten Tage vertrieben. Graue Wolken zogen über den Himmel wie eine Herde Schafe, die vor den Wölfen floh. Mochte der Herr des Feuers geben, dass die Itharer bald ebenso hastig vor ihnen davonrannten.
Argos stand nur einen Speerwurf entfernt und gab den Spähern letzte Anweisungen. Überall im Lager ertönten die Kriegshörner wie heisere Rufe eines Stiers. Boten eilten umher, um Befehle zu überbringen. Bewaffnete hasteten zu ihren Kameraden, sammelten sich zum Abmarsch. Es galt, die Itharer zu vernichten, bevor die Kyperer eintrafen.
Inmitten dieser Hektik fiel es Athanor schwer, gemessen zu seinem Zelt zu schreiten, wie es dem Thronfolger eines Reichs zukam, das mittlerweile fast alle Länder der Menschen umfasste. Er war nicht scharf auf eine weitere Schlacht, doch die Vorahnung des Kampfrauschs ließ sein Herz schon jetzt schneller schlagen, als stünde er inmitten von Schreien und spritzendem Blut. Unwillkürlich beschleunigten sich seine Schritte. Zum Dunklen mit dem Anschein! Sollten sie denken, dass er es kaum erwarten konnte, itharische Erde mit Blut zu tränken.
Vor dem Zelt hielt der Pferdeknecht schon den gesattelten Hengst bereit, der bei Athanors Anblick ein leises, dunkles Wiehern ausstieß. Athanor trat so stürmisch ein, dass sein Knappe vor Schreck fast das Geschirr fallen ließ, das er gerade in eine Truhe packte.
»Das hat Zeit«, schnappte Athanor und nahm einen letzten Schluck aus einem Becher Wein. Der Tross würde die Zelte abbrechen und dem Heer langsam folgen, um es nach der Schlacht in einem neuen Lager zu erwarten.
»Ja, mein Prinz.« Der Junge, irgendein entfernter Vetter aus einem theroischen Adelshaus, reichte ihm den runden Schild. Selbst im Halbdunkel des Zelts blitzte das polierte Silber, und die goldenen Beschläge glänzten wie das Antlitz der Sonne, dem sie nachempfunden waren. Achtlos hängte sich Athanor das Meisterwerk über den Rücken. Bis zum Abend würde von der Pracht nicht mehr viel übrig sein. Sein Vater hatte ihm den Schild zur Feier des Triumphs über Nikene geschenkt. Er war zu wertvoll, um ihn in Scharmützeln gegen gewöhnliche Krieger zu verschleißen, doch heute würden sie Etheon, dem Herrscher Itharas, gegenübertreten. Möge ihn das spiegelnde Sonnenlicht auf dem Schild so blenden, dass er Freund nicht mehr von Feind unterscheiden kann!
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