Warum tut Gott das? Er bräuchte all diese Hilfsmittel nicht, denn schließlich ist er allmächtig. Er könnte uns mit seiner Güte ganz direkt überschütten.
Die süße Frucht, der Regenbogen, der Matsch. Es ist nicht so, dass in den Dingen dieser Welt eine magische Kraft wohnen würde. Für sich genommen ist all das ganz gewöhnlich. Aber der Gott, den uns die Bibel vorstellt, hat sich entschieden, sie als Mittel zu benutzen, um uns seine Liebe zu zeigen.
Das ist heute nicht anders. Es sind vor allem Wasser, Brot und Wein, die Gott als Mittel benutzt, um Gnade in dein Leben zu schmuggeln. In dem Brot des Abendmahls schenkt Gott dir ewiges Leben. In dem Kelch kannst du seine Vergebung schmecken (vgl. Matthäus 26,28). Durch das Wasser der Taufe fließt seine Erlösung in dein Leben (vgl. Markus 16,16 und 1. Petrus 3,21).
Gott braucht diese Hilfsmittel nicht, aber wir brauchen sie. Unser Herz, das trotzige und verzagte Ding, in dem oft alles durcheinandergeht, braucht das. Wir brauchen etwas, das von außen kommt, an dem wir unseren Glauben festmachen können.
Hammer, Amboss und Steigbügel
Wer mit offenen Augen die Bibel liest, entdeckt auf nahezu jeder Seite Mittel, die Gott benutzt, um Menschen zu beschenken. Doch aus dieser Vielfalt stechen einige hervor, die Gott besonders gern benutzt: Dazu gehören Schwingungen, die durch die Luft gehen, sowie Hammer, Amboss, Steigbügel und all die anderen Feinheiten, die zum menschlichen Ohr gehören. Gottes Lieblingsmittel ist das Wort. Gott kommuniziert am liebsten mit uns, indem er redet.
Das erlebt bereits der Prophet Elia (vgl. 1. Könige 19). An einem Tiefpunkt seines Lebens kann Elia nicht mehr. Er ist mit seinen Kräften am Ende. Er bekommt keinen Fuß mehr vor den anderen. Seine Seele steht an einem Abgrund. Bloß Leere und dieser Wunsch, sein Leben möge enden. Elia fühlt sich nur noch müde. Dann tritt Gott auf den Plan und überschüttet Elia mit seiner Liebe, eingehüllt in die scheinbar einfachen Dinge dieser Welt: Ein geröstetes Brot, ein Krug Wasser, ein paar Stunden guter Schlaf. In all dem ist Gottes Liebe verborgen.
Elia kommt wieder zu Kräften und macht sich auf den Weg zu einem Berg namens Horeb. Der Horeb ist ein besonderer Berg. Es ist der Berg Gottes. Elia wird ihm hier begegnen. Doch Gott kommt anders, als Elia es erwartet. Zunächst einmal pfeift ihm ein starker Wind um die Ohren, sodass er sich kaum auf den Beinen halten kann. Doch darin begegnet Gott ihm nicht. Dann bebt die Erde und Elia droht jeden Halt zu verlieren, doch Gott ist immer noch nicht da. Danach kommt ein helles, gewaltiges Feuer, doch es gibt noch immer keine Spur von Gott. Zuletzt ist da ein »stilles, sanftes Sausen«, das sich in Elias Gehörgang legt. Jetzt fängt Gott an, mit ihm zu reden.
Gott zeigt sich Elia nicht in den beeindruckenden Naturspektakeln, sondern in einer unscheinbaren Stimme, die man leicht überhören kann. Es ist nicht so, dass Gott etwas gegen Wind und Feuer einzuwenden hätte. Im Gegenteil: Ein starkes Windbrausen und Feuerflammen sind die Elemente, mit denen der Heilige Geist an Pfingsten zu den ersten Christen kommt. Aber Gott zeigt Elia an dieser Stelle sein Lieblingsmittel: das Wort.
Ich habe inzwischen etliche Predigten über die Geschichte von Elia und dem »stillen, sanften Sausen« gehört. Oft ging es darum, wie man in seinem Inneren, in seinen Gedanken und seinem Herzen, die Stimme Gottes hören kann. Mir war diese Sicht auf die Geschichte so vertraut, dass ich das Offensichtliche übersah. Gott offenbart sich Elia nicht durch Gedanken oder ein Gefühl in seinem Herzen. Er lässt Elia etwas hören und fängt dann an, zu ihm zu sprechen.
Der Pastor Jonathan Fisk bringt es wunderbar auf den Punkt: »Jesus hat kein grundsätzliches Problem mit Gefühlen. Schließlich hat er sie geschaffen. Aber nicht, um durch sie zu uns zu sprechen. Dafür schuf er Worte.« 5
Gott begegnet Elia in Worten. Dasselbe tut er, wenn wir die Bibel lesen. Aber sogar an dieser Stelle war ich jahrelang auf dem falschen Dampfer unterwegs. Ich hatte die Bibel vor mir aufgeschlagen und fing an zu lesen. Beim Lesen wartete ich darauf, dass es bei einem bestimmten Vers oder Wort »klick« machte. Dass sich ein besonders Gefühl einstellte, das ich zwar nicht genau beschreiben konnte, aber wo ich wusste: Jetzt spricht Gott mich direkt an. Beim Bibellesen ging es letztendlich darum, dass diese besonderen Momente entstanden. Für mich waren die Worte der Bibel nur ein Vehikel, das Gott benutzen konnte, um »richtig« zu meinem Herzen zu sprechen.
Diese besonderen Gefühle sind nichts Schlechtes. Manchmal benutzt der Heilige Geist diese Emotionen, um uns etwas zu verdeutlichen. Aber Gott redet darin nicht »richtiger« oder »direkter«. Am Ende ist entscheidend, was Gott in der Bibel objektiv über mich sagt, und nicht das, was ich subjektiv fühle. Ich weiß zum Beispiel, dass ich ein geliebtes Kind Gottes bin. Ich weiß es nicht, weil mir Gott das regelmäßig als ein Gefühl offenbart, sondern weil er es mir in seinem Wort fest zugesagt hat: »Gott aber erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren« (Römer 5,8). Der Mann von Golgatha ist der Beweis der Liebe Gottes, egal, was in deinem Herzen vorgeht.
Nun kannst du einwenden: Elia konnte Gottes Stimme noch direkt hören, ich muss mich heute mit dem Lesen eines alten Buches begnügen! Aber ganz so ist es nicht. Auch heute liebt Gott es, Hammer, Amboss und Steigbügel in Bewegung zu setzen. Der Gottesdienst am Sonntag ist voll vom Reden Gottes, das ich mit meinen Ohren hören kann. So gibt es in der Liturgie der evangelischen Kirche die Beichte, wo mir ganz direkt die Vergebung Gottes zugesprochen wird. In der alten Beichtliturgie gibt es einen besonderen Moment.
Der Beichtiger spricht: »Glaubst du auch, dass meine Vergebung Gottes Vergebung ist?«
Antwort: »Ja, das glaube ich.«
Darauf spricht er: »Wie du glaubst, so geschehe dir. Und ich, auf Befehl unseres Herrn Jesus Christus, vergebe dir deine Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Gehe hin in Frieden!« 6
Ich liebe diesen Moment. Wenn ich hören darf »Ich vergebe dir deine Sünden«, dann sind es nicht einfach nur die Worte meines Pfarrers. Es sind Jesu Worte. Als würde er selbst leibhaftig vor mir stehen und sprechen. Mein Mitchrist spricht hier nicht aus Willkür, sondern im Auftrag Jesu, der seiner Kirche gesagt hat: »Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen; welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten« (Johannes 20,23). Seine Vergebung ist Gottes Vergebung. Manchmal kommt mein Herz dabei mit und fühlt die Vergebung, manchmal aber auch nicht. Und das ist dann in Ordnung, denn ich weiß, sie gilt in jedem Fall.
Ob Matsch, die Farben des Regenbogens oder das Wort: Gott liebt es, Mittel zu benutzen, um mit uns zu kommunizieren. Weil er weiß, dass unser Herz hin und her geht, gibt er uns in seinem Wort einen deutlichen Einblick in sein Herz.
Aber müssen wir nicht auch daran glauben? Wenn du eben feinfühlig die Beichtliturgie gelesen hast, bist du vielleicht über eine Stelle gestolpert. Du wirst gefragt, ob du daran glaubst und sollst ein »Ja, das glaube ich« sprechen. Doch was ist, wenn du das nicht tust? Was ist, wenn du diesen Glauben nicht mehr in dir findest? Dieser Frage stellen wir uns nun in einem letzten Gedankengang. Wie ist das eigentlich mit dem Glauben?
Wenn es um den Glauben geht, kann uns vieles im Weg stehen. Für manch einen liegen die Zweifel auf der intellektuellen Ebene. Es gibt argumentative Gründe, die gegen das christliche Weltbild sprechen. Für andere sind die Zweifel existenzieller Art, wenn man persönliche Schicksalsschläge nicht mit dem Glauben an einen liebenden Gott vereinbaren kann.
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