Aber solche Sätze, so theologisch korrekt sie auch sein mögen, werden für die Christinas dieser Welt nur wie hohle Formeln klingeln. Darum gehen wir nun weiter in die Tiefe und hoffen, dass dieser schlichte Sachverhalt dabei etwas lebendiger wird.
Dabei werden wir dreierlei tun. In einem ersten Schritt schauen wir uns an, welche Bedeutung der Gefühlswelt im Glaubensleben zukommt. Danach stellen wir uns zweitens der Frage, wie Gott mit uns Menschen kommuniziert. Wir vergleichen unsere Bilder mit dem, was die Bibel dazu erzählt. Zuletzt schauen wir, was den Glauben ausmacht. Stimmt Christinas Eindruck, dass der Glaube tot ist, wenn das Gefühl weg ist? Doch eins nach dem anderen.
Am Ende zählt, was in Gottes Herzen ist
In Christinas Geschichte verbirgt sich so manche unbewusste Annahme darüber, wie ein »normales Leben« als Christ aussieht. Eine davon ist, dass Glaube sich in Emotionen zeigt. Mit Christina denken wir, es sei als Jünger Jesu der Normalzustand, Gottes Gegenwart regelmäßig zu spüren. Christen fühlen doch Gottes Liebe in ihren Herzen!
Ich befürchte, dass wir an dieser Stelle mit einer falschen Erwartung auf unserer geistlichen Reise unterwegs sind. Denn mit solchen Vorstellungen werden wir unsere Herzen und das, was sie vermögen, überschätzen. Etwas ungewohnt spricht die Bibel nämlich in großer Ehrlichkeit von unseren Herzen und benennt die Spannung, die du vielleicht aus eigener Erfahrung kennst.
Auf der einen Seite ist der Mensch mit allem, was er ist und hat, mit seinem Herz und seinen Gefühlswelten, eine wundervolle Schöpfung Gottes. Das Herz ist ein Geschenk des Himmels und Gefühle zu haben, ist ein Privileg. Darum ist völlig klar: Ein lebendiger Glaube, der vor Emotionen strotzt, ist eine feine Sache und ein guter Grund, Gott dankbar zu sein.
Aber Gottes Wort benennt mit großer Deutlichkeit ebenso die andere Seite. Schon früh heißt es im biblischen Drama: »Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf« (1. Mose 8,21).
Ein starker Satz, der beim ersten Lesen reichlich negativ klingen mag. Ist es wirklich so schlimm um mein Herz bestellt? Dieser Vers enthält einen guten Schuss biblischer Nüchternheit, der erste Zweifel daran weckt, ob unser Herz überhaupt dafür geeignet ist, Gottes Gegenwart in einem Dauerzustand zu spüren. Jeremia spitzt es poetisch weiter zu: »Es ist das Herz ein trotzig und verzagt Ding; wer kann es ergründen?« (Jeremia 17,9).
Kennst du das aus eigener Erfahrung? Kannst auch du wie Jeremia dein eigenes Herz nicht immer verstehen? Dann befindest du dich in guter biblischer Gesellschaft. Wenn du nicht verstehen kannst, warum dein Herz so unruhig schlägt, dann geht es dir wie Jeremia. Du bist kein hoffnungsloser Sonderfall, keine einmalige Ausnahme.
In all dem gibt es eine gute Nachricht: Emotionen sind nicht das Fundament des Christentums, mit dem alles steht und fällt. Zumindest sind es nicht deine Emotionen. Denn im Christentum geht es nicht um das, was in deinem Herzen ist, sondern um das, was in Gottes Herzen ist. 2Am Ende ist es nicht entscheidend, ob du etwas fühlst oder nicht, sondern dass Gott etwas fühlt. Darum kann dein Glaubenshaus gar nicht einstürzen, wenn dir die Gefühle wegbrechen. Denn es steht sicher gegründet auf dem Herzen Gottes.
Von diesen wunderbaren Gefühlen Gottes berichtet uns die Heilige Schrift in aller Klarheit und Schönheit. Sie berichtet von Jesus und einem griechischen Wort, das schwer auszusprechen ist: Splanchnizomai. Im Deutschen wird es übersetzt mit »sich erbarmen« oder »Mitleid empfinden«. Luther übersetzt es oft mit: »Es jammerte ihn.« Ganz wörtlich bedeutet es, dass sich einem die Eingeweide umdrehen. Ich fühle so stark mit, dass ich es in meiner Magengegend spüre. Splanchnizomai.
Diese starken Gefühle, die sich hinter jenem altgriechischen Wort verbergen, empfindet Jesus für dich. Matthäus erzählt, wie Jesus mit seiner guten Botschaft von Dorf zu Dorf durch Galiläa zieht. Gottes Sohn begegnet unzähligen Menschen und hört ihre bewegenden Lebensgeschichten. Vielen sieht man es an den Augen an, dass es das Leben nicht immer gut mit ihnen gemeint hat. Einige kommen mit ihren Krankheiten zu Jesus als ihrer letzten Hoffnung.
Und dann schreibt Matthäus: »Als Jesus das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren geängstet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben« (Matthäus 9,36).
Jesus blickt diese Menschen an und er fühlt. Sein Herz brennt. Es verbrennt nahezu. Man sieht es ihm an.
Dieser Jesus Christus ist »gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit« (Hebräer 13,8). Er blickt dich heute mit denselben Augen an. Wenn er dich ansieht, spürt er eine unendlich starke Liebe und es zerbricht ihm das Herz, wenn er dich leiden sieht.
Das Neue Testament kennt viele weitere Geschichten, die erzählen, wie Jesus mit dir fühlt. Diese Liebe ist sogar die Quelle seines Handelns.
Der Anblick einer hungernden Menschenmenge zerreißt Jesus das Herz und darum tut er ein Wunder und vermehrt Brot und Fisch, dass alle satt werden (vgl. Matthäus 15,32). Das Schicksal zweier Blinder jammert Jesus. Darum berührt er ihre Augen und sie können sehen (vgl. Matthäus 20,34). Den Schmerz einer Witwe, die ihren Sohn zu Grabe tragen muss, spürt Jesus an seinem eigenen Leib. Er leidet mit und weckt auf eine wundersame Art und Weise ihren toten Jungen auf (vgl. Lukas 7,13).
Überall Splanchnizomai. Im Christentum geht es um das, was in Jesu Herzen ist. Auch wenn ein Wunder in unserem Leben so oft ausbleiben mag, ändert das nichts am Herzen Jesu. All diese Geschichten, die uns erzählen, was Jesus für uns fühlt, geben uns sogar einen direkten Einblick in das Vaterherz Gottes. Denn es ist die gleiche Liebe, die Gott-Vater für uns empfindet.
Jesus verdeutlicht das mit einer seiner wohl berühmtesten Geschichten. Es ist die Geschichte von zwei egoistischen Söhnen, von denen einer sein Erbe vorzeitig ausgezahlt haben will, um fortzugehen und sein Geld zu verprassen. Aber es ist vor allem die Geschichte von einem Vater, der in seinem Herzen nicht aufhören kann, Liebe für seine Söhne zu empfinden.
Jeden Tag steht dieser Vater vor der Tür und schaut den Weg entlang auf der Suche nach einem Lebenszeichen von seinem Sohn. Er hofft, dass er vielleicht zurückkehrt. Eines Tages ist es endlich so weit. Am Horizont sieht der Vater die vertraute Silhouette. Die unnachahmliche Gangart seines Sohnes.
»Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn« (Lukas 15,20). Wieder Splanchnizomai.
In dem Herzen dieses Vaters brennt eine stets gleichbleibende Liebe für alle seine Kinder. Dein Herz ist nicht der feste Grund für deinen Glauben, auf den du dich verlassen kannst. Es geht in den Stürmen des Lebens oftmals unter und wird von Wellen hin und her geworfen. Anders ist es mit dem Herzen Gottes. Es ist der feste Fels in der Brandung. Seine Liebe bleibt.
Am Ende zählt, was in Gottes Herzen ist. Es gibt viele eindrucksvolle literarische Beispiele, die diesen Gedanken eindrucksvoll entfalten. Eines, das mich nicht mehr loslässt, stammt von dem schwedischen Bischof Bo Giertz. In seinem Meisterwerk »Und etliches fiel auf den Fels« erzählt er von einer wundervollen Begebenheit. Giertz zeichnet das Bild eines kleinen schwedischen Dorfes, das durch die Jahrhunderte verschiedenste geistliche Aufbrüche und Niedergänge erlebte. In einer Episode kommt es zwischen dem Pastor Savonius und einer jungen Frau namens Christina Jonstochter zu einem Gespräch, in dem ihn die Frau fragt:
»Wie soll man sicher wissen können, ob man vom Geist Gottes berufen ist?«
Savonius überlegte einen Augenblick, dann griff er nach dem Hauskatechesenbuch, raschelte mit den Blättern und las:
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