Aktuelle Klassifikation nach ICD-10 (Dilling et al., 2015)
• F 84.0 Frühkindlicher Autismus: Menschen mit Autismus und geistiger Behinderung, oft auch ohne verbale Sprachentwicklung
• F 84.1 Atypischer Autismus: Menschen mit »ungewöhnlichem« Autismus, bei denen einer der Hauptbereiche nicht mit betroffen ist und Informationen fehlen, um eine andere Diagnose stellen zu können aus dem Bereich Autismus
• F 84.5 Asperger-Syndrom: Menschen mit Autismus und normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz, die verbal kommunizieren und deren Sozialverhalten unterschiedlich stark beeinträchtigt ist
In der aktualisierten Version der »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders« (DSM-5; American Psychiatric Association, 2013), ist der Begriff Autismus-Spektrum-Störung bereits enthalten.
Die neue Version des alternativen Diagnostikmanual »International Classification of Diseases«, (ICD), auf dessen Grundlage in Deutschland Diagnosen aufgeschlüsselt werden, befindet sich aktuell in der Überarbeitung. Der Begriff Autismus-Spektrum-Störung wird in die ICD-11 übernommen werden.
Autismus-Spektrum-Störung
Autismus folgt dann keiner kategorialen Diagnostik mehr, in der nach »normal« und »abnormal« unterschieden wird, sondern einer dimensionalen Diagnostik, die zwischen einer schwachen und starken Ausprägung bestimmter vorliegender Merkmale unterscheidet. Alle Menschen mit Autismus werden folglich zusammengenommen und nicht mehr einer der – ohnehin schwierig voneinander abzugrenzenden – Unterkategorien »zugeordnet«. Zudem kann auf diese Weise eine Einschätzung bezüglich des Schweregrades der Störung sowie im Hinblick auf den Grad des Unterstützungsbedarfes getroffen werden (
Abb. 1.1 Abb. 1.1: Grundbereiche der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung nach DSM-5 Abb. 1.2: Das autistische Spektrum in Anlehnung an die Childhood Autism Rating Scale (CARS)
).
Der Beobachtungstest CARS-2 (Schopler, van Bourgondien, Wellmann & Love, 2010) bietet eine Erklärungsmöglichkeit in Form einer Art »Koordinatensystems« an mit den zwei Achsen »Autismus-Ausprägung« (mild–schwer) und »kognitive Fähigkeiten« (beeinträchtigt–intakt) (
Abb. 1.2 Abb. 1.2: Das autistische Spektrum in Anlehnung an die Childhood Autism Rating Scale (CARS)
). Bei einer milden Form von Autismus beeinträchtigen soziale und verhaltensbezogene Schwierigkeiten die Anpassung nur minimal, bei einer schweren Form sind die Auswirkungen schwerwiegen. Beeinträchtige kognitive Fähigkeiten zeigen sich durch eine intellektuelle Behinderung und fehlende verbale Fähigkeiten wohingegen Personen mit intakten kognitiven Fähigkeiten einen (über)durchschnittlichen IQ und verbale Kompetenzen aufweisen. Je nach Ausprägung auf den beiden Achsen lassen sich unterschiedliche Personen bildlich gesprochen wie »Koordinatenpunkte« auf dem Spektrum abbilden.

Abb. 1.1: Grundbereiche der Diagnose Autismus-Spektrum-Störung nach DSM-5

Abb. 1.2: Das autistische Spektrum in Anlehnung an die Childhood Autism Rating Scale (CARS)
Veränderung des Verständnisses von Autismus und Verschiebung des Hauptfokus innerhalb des Spektrums
Menschen mit hochfunktionalem Autismus, die Partnerschaften führen und einem Beruf nachgehen, werden innerhalb des Autismus-Spektrums »miterfasst«. Die Grenze zum »Anders-sein« in Bezug auf die entsprechenden Besonderheiten ist insgesamt fließend.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich die Aufmerksamkeit in Bezug auf das autistische Spektrum geändert hat. Standen früher Menschen mit Autismus und geistiger Behinderung besonders im Fokus der Aufmerksamkeit, hat sich diese Aufmerksamkeit aktuell stärker in Richtung des Asperger-Syndroms verschoben, d. h. auf Menschen mit normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz. Die aktive Teilnahme an der Diskussion um das Thema Autismus durch selbst betroffene Menschen ist hier als ein möglicher Grund zu nennen.
Unabhängig davon, welche »Diagnose« genau vergeben wird bzw. wo sich ein Mensch mit Autismus auf dem Spektrum vielleicht auch selbst einordnen würde, bleibt unbestritten, dass Autismus mit Beeinträchtigungen oder Belastungen einhergeht, z. B. aufgrund von Besonderheiten in der Wahrnehmung. Die Suizidrate innerhalb der Gruppe der Menschen mit Autismus ist erhöht (Bölte, 2017). Auch treten komorbide Störungen wie Depression, Angststörungen oder Psychosen gehäuft auf, was durchaus nahelegt, Belastungen weiter als eine mit dem Thema Autismus allgemein eng verknüpfte Thematik zu betrachten (
Kap. 2.1 2 Was bewirkt Autismus? 2.1 Was bewirkt Autismus bei den Betroffenen? »Was ist das Schlimmste, was Sie sich vorstellen können?« »Überraschungen« (Frau mit Autismus) Die diagnostischen Kriterien legen fest, wann eine Autismus-Störung vorliegt. Wie der DSM-5 von einem Autismus-Spektrum zu sprechen, macht allerdings schon deutlich, dass sich auf diesem Spektrum sehr diverse Menschen finden lassen, die ganz unterschiedliche »Besonderheiten« mit sich bringen. Aufgrund ihrer hohen Intelligenz und der im Laufe des Lebens wachsenden Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen, sind Menschen mit dem »Asperger-Syndrom«, vor allem im Bereich der sprachlichen Entwicklung, durchaus lern- und anpassungsfähig (Vogeley, 2016). Sie wissen um ihre Besonderheiten und sind oftmals zu bewundernswerten Leistungen in der Lage. Menschen mit »Frühkindlichem Autismus« verfügen hingegen in der Regel nicht über entsprechende Fähigkeiten. Ihre Entwicklung verläuft anders – vor allem in Bezug auf das selbstbestimmte Erlernen von Bewältigungsstrategien für den Umgang mit Herausforderungen. Wie »schwer« die entsprechenden Menschen beeinträchtigt sind, muss je nach Blickwinkel unterschiedlich beantwortet werden. Zu berücksichtigen bei der Beurteilung des Schweregrades sind auch die vorherrschenden Vorstellungen darüber, welchen Einfluss die Diagnose auf das weitere Leben hat. Wird dieser als gering eingeschätzt, wird eine Person vermutlich angeben, dass sie »leicht betroffen« ist. Geht die Diagnosestellung mit erheblichen (einschränkenden) Auswirkungen einher – z. B. Schwierigkeiten beim Finden einer Anstellung oder Bedarf an intensiver Unterstützung aus dem Umfeld – könnte dies die Einschätzung »schwer betroffen« zur Folge haben Allein anhand der Frage nach dem Vorliegen einer »geistiger Behinderung« oder einer »normalen bis überdurchschnittlichen Intelligenz« lässt sich die Einschätzung bezüglich der »Schwere« der Beeinträchtigung durch die Diagnose Autismus also nicht treffen ( Abb. 2.1 ). Abb. 2.1: Grundbereiche Autismus plus Wahrnehmung/Stress
).
Zur Häufigkeit von Autismus gibt es unterschiedliche Schätzungen (
Tab. 1.1 Tab. 1.1: Geschätzte Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen (Autismus Deutschland, o. D.), Autismus-Spektrum-StörungenHäufigkeit in Deutschland (in Personen) Die Zahl der Autismusdiagnosen wächst (Vogeley, 2016; Bölte, 2015). Dieser Anstieg kann unterschiedliche Gründe haben. Einer davon ist sicherlich, dass es bessere Diagnosemöglichkeiten für die Betroffenen gibt, als noch vor zehn Jahren (Vogeley, 2016). Darüber hinaus stimmen die meisten Fachleute »darin überein, dass es keine gute Erklärung dafür gibt, dass die tatsächliche Zahl autistischer Störungen zunehmen könnte » (Vogeley, 2016, 156).
). Weltweit geht man je nach Quelle davon aus, dass bis zu 1 % der Menschheit betroffen sein könnte. Laut den Angaben von »Autismus Deutschland« (o. D.) gibt es keine genauen Angaben zur Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen in Deutschland. Die entsprechenden Schätzungen beruhen auf Untersuchungen in Europa, Kanada und den USA.
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