Fälle:
171a) Auf eine Zeitungsanzeige, in der eine GmbH einen Schneidermeister zwischen 30 und 40 Jahren sucht, meldet sich X. Er weist dem Personalchef nach, dass er 35 Jahre alt ist, die Meisterprüfung mit „sehr gut“ bestanden und beste Zeugnisse hat. Muss die GmbH ihn beschäftigen?
Wie wäre es, wenn X Schwerbehinderter ist?
b) Frau F hat sich bei K um eine Einstellung als Kfz-Mechanikerin beworben. K verweist in seinem Ablehnungsschreiben darauf, dass für seinen Betrieb nur männliche Bewerber in Betracht kämen. F verlangt Einstellung, jedenfalls den entgangenen Lohn.
c) Der Tarifvertrag sieht für den Abschluss von Arbeitsverträgen Schriftform vor. Dennoch schließen der zum Arbeitgeberverband gehörende X und der gewerkschaftlich organisierte Y den Arbeitsvertrag nur mündlich. X hält den Arbeitsvertrag wegen Formmangels für nichtig; Y meint, der Vertrag sei gültig und verlangt von X eine schriftliche Fixierung des Arbeitsvertrags.
d) Die 17jährige N ist von ihren Eltern ermächtigt worden, als Näherin zu arbeiten. Sie schließt mit einem Textilunternehmen einen Arbeitsvertrag und tritt der fachlich zuständigen Gewerkschaft bei. Dann kündigt sie bei dem Textilunternehmen, weil es ihr dort nicht gefällt, und verdingt sich bei einer großen Diskothek als DJane. Wirksam?
e) Der Schlossermeister M will seinen 15jährigen Sohn S in die Lehre nehmen. Er möchte wissen, wer den S beim Abschluss des Berufsausbildungsvertrags vertritt.
f) X stellt den Y in seiner Falschmünzerwerkstatt bei elfstündiger täglicher Arbeitszeit ein. Y will nur acht Stunden arbeiten. Mit Recht?
Wie wäre es, wenn es sich um eine Schlosserwerkstatt handelt?
g) A hat die B als Kassiererin eingestellt. Nach zwei Monaten erfährt er, dass die B wegen fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr/Diebstahls dreimal vorbestraft und nunmehr im siebten Monat schwanger ist. Deshalb ficht A den Vertrag an. Mit Recht? Mit welcher Folge?
Wie wäre es, wenn B vor ihrer Einstellung die in einem ihr vorgelegten Fragebogen enthaltenen Fragen nach Vorstrafen und Schwangerschaft wahrheitswidrig verneint hätte?
h) In einer Stellenanzeige heißt es am Schluss: „Vorstellung erbeten am 1.10. von 9 bis 11 Uhr im Personalbüro unseres Werkes.“ X, der zu dem Vorstellungstermin angereist ist, verlangt Ersatz der Fahrtkosten, zumal er erfährt, dass er als Bewerber nicht in Betracht kommt.
I.Abschluss des Arbeitsvertrags
1.Einigung
172Niemand kann gezwungen werden, überhaupt einen Vertrag oder einen Vertrag mit einer bestimmten Person abzuschließen. Das gilt auch für den Arbeitsvertrag. Dieser besteht – wie jeder andere Vertrag auch – aus inhaltlich übereinstimmenden Willenserklärungen, nämlich Angebot und Annahme (§§ 145 ff. BGB; ErfK/Preis, § 611a Rn. 240; zu den allgemeinen Vertragsvoraussetzungen Brox/Walker, BGB AT, § 8 Rdnr. 1). Das Zustandekommen eines Arbeitsvertrags setzt eine Vereinbarung über die zu erbringende Arbeitsleistung und grundsätzlich auch über die Vergütung voraus (§ 611a Abs. 1 BGB; vgl. Brox/Walker, BS, § 19 Rdnr. 18). Die Arbeitspflicht wird im Einzelnen durch das Weisungsrecht des Arbeitgebers (Rdnr. 156 ff.) näher bestimmt. Sofern die Höhe der Vergütung im Arbeitsvertrag nicht geregelt ist oder sogar überhaupt keine Vereinbarung über eine Vergütung getroffen wurde, ist nach § 612 Abs. 1, Abs. 2 BGB die taxmäßige bzw. übliche Vergütung als vereinbart anzusehen (zur Frage, ob bei angestellten Rechtsanwälten in Großkanzleien die Vergütung von Überstunden erwartbar i. S. v. § 612 Abs. 1 BGB ist, vgl. BAG NZA 2011, 1335). Ist eine Vergütung unterhalb des Mindestlohnanspruchs vereinbart, nicht jedoch die Grenze zur Sittenwidrigkeit erreicht, ist weiterhin § 612 Abs. 2 BGB anwendbar (ERfK/Preis, § 1 MiLoG Rn. 3 c; Däubler, NJW 2014, 1924, 1927). Allerdings ergibt sich, wie bei jedem Arbeitsverhältnis, der Anspruch auf den unabdingbaren Sockellohn in Höhe des jeweiligen Mindestlohnes aus dem MiLoG.
Eine Stellenausschreibung (Zeitungsanzeige im Fall a) ist kein Angebot, sondern nur eine Aufforderung an andere, ihrerseits ein Angebot zu machen ( invitatio ad offerendum) ; denn es fehlt erkennbar ein Rechtsbindungswille (Brox/Walker, AT, § 8 Rdnr. 2). Demnach gibt der Stellenbewerber das Angebot ab, das angenommen oder abgelehnt werden kann. In Fall asteht es also im Belieben der GmbH, das Angebot des X zu akzeptieren oder es abzulehnen.
173 a) Ausschreibung.Schreibt der Arbeitgeber eine offene Stelle durch eine Zeitungsanzeige oder im Betrieb aus, so darf die Ausschreibung niemanden wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmales benachteiligen (§§ 11, 7 Abs. 1 AGG), es sei denn, dass eine unterschiedliche Behandlung unerlässlich ist, weil das Merkmal eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die ausgeschriebene Stelle darstellt (§§ 8 ff. AGG, z. B. Sopranistin, Lehrerin für Nachtaufsichtsdienste in einem Mädcheninternat, Herrenmannequin, männliche bzw. weibliche oder altersabhängige Theaterrolle). Diese Ausnahmen sind eng auszulegen. Nach dem BAG ist auch für Gleichstellungsbeauftragte kein bestimmtes Geschlecht erforderlich (BAG NZA 1999, 371; a. A. Hanau, ZIP 2006, 2189, 2198). Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen § 11 AGG ist nicht unmittelbar sanktioniert. Er kann jedoch ein Indiz für eine verbotene Benachteiligung nach § 7 AGG sein, die ihrerseits Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche gem. § 15 AGG gegen den Arbeitgeber nach sich ziehen kann (hierzu Rdnr. 360). Nicht eingestellte Bewerber haben jedoch keinen Einstellungsanspruch (§ 15 Abs. 6 AGG). Die Entschädigung darf im Falle einer Nichteinstellung zudem drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre (§ 15 Abs. 2 Satz 2 AGG). Die Benachteiligungsverbote des AGG dürfen zu keinem faktischen Kontrahierungszwang führen.
Im Fall ahat der Arbeitgeber mit seinem Inserat „Schneidermeister“ gegen § 11 AGG verstoßen. Durch den Zusatz „(m/w)“ oder durch die Formulierung „Schneidermeister/in“ hätte der Arbeitgeber die Ausschreibung (geschlechts-)neutral gestalten können. Die Vorgabe in der Ausschreibung, wonach der sich bewerbende „Schneidermeister“ zwischen 30 und 40 Jahre alt sein muss, ist zudem eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters.
174 b) Bewerbung.Die Bewerbung begründet ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 2 BGB) zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit beiderseitigen Pflichten, die sich aus den jeweiligen Besonderheiten ergeben, etwa Schutzpflichten, Diskretions-, Offenbarungs- und Kostenerstattungspflichten (Rdnr. 219 f.).
175 c) Abschlussgebote können sich aus Gesetz, Kollektivvereinbarung oder Einzelarbeitsvertrag ergeben.Die Vertragsfreiheit wird durch Abschlussgebote und Abschlussverbote eingeschränkt.
(1) Gesetzliche Abschlussgebote bestehen zugunsten besonders schutzbedürftiger Personengruppen. Allerdings ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, das Angebot eines bestimmten Stellenbewerbers anzunehmen.
Eine Sonderform eines gesetzlichen Abschlussgebots enthält z. B. das SGB IX. Danach sind private und öffentliche Arbeitgeber (mit mindestens 20 Arbeitsplätzen) dem Staat gegenüber verpflichtet, auf wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze Schwerbehinderte zu beschäftigen (vgl. §§ 71 ff. SGB IX); als Druckmittel zum Abschluss von Arbeitsverträgen mit Schwerbehinderten sieht das Gesetz Ausgleichsabgaben (§ 77 SGB IX) und Geldbußen (§ 156 SGB IX) vor. Die Einstellungspflicht besteht als öffentlich-rechtliche Pflicht jedoch nicht gegenüber dem einzelnen Schwerbehinderten. Der schwerbehinderte Bewerber hat also keinen Anspruch gegen einen bestimmten Arbeitgeber auf Abschluss eines Arbeitsvertrags ( Fall a).
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