157Das Weisungsrecht muss nach billigem Ermessen erfolgen, es hat sich zudem immer im Rahmen der Gesetze, der Kollektivvereinbarungen und des Arbeitsvertrags zu halten; diese gehen also dem Weisungsrecht des Arbeitgebers vor (§ 106 Satz 1 GewO). Für den Arbeitnehmer günstigere Abweichungen von Kollektivnormen sind grundsätzlich zulässig (Preis/Wieg AuR 2016, 314). Bei der Kontrolle des billigen Ermessens hat das Tatsachengericht einen Beurteilungsspielraum (BAG NZA 2017, 152); grundsätzlich sind die beiderseitigen Interessen nach den wesentlichen Umständen des Einzelfalles abzuwägen.
Beispiele: Der Arbeitgeber darf vom Buchhalter nicht verlangen, Urkunden zu manipulieren. Der Pförtner darf nicht angewiesen werden, über die im (Firmen-)Tarifvertrag vorgesehenen Fälle hinaus weitere Torkontrollen durchzuführen. Die als Schreibkraft eingestellte Arbeitnehmerin darf nicht als Vertretung für die ausgefallene Reinigungskraft eingesetzt werden.
158Im Einzelfall kann das Weisungsrecht aus § 106 GewO durch Grundrechte des Arbeitnehmers begrenzt sein, etwa durch Art. 4 Abs. 1 GG (vgl. dazu BAG AP Nr. 9 zu Art. 4 GG; Rdnr. 132). Der Arbeitgeber muss auf das Gewissen der Arbeitnehmer jedoch nur Rücksicht nehmen, wenn die zu erledigende Arbeit unproblematisch anderen Arbeitnehmern zugewiesen werden kann. Ist die Weisung allerdings wirksam i. S. v. § 106 GewO, ist der Arbeitnehmer auf sein Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 3 BGB angewiesen (Rdnr. 122). Auch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hindert grundsätzlich das Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich der krankheitsbedingt ausfallenden Haupt- und Nebenleistungspflichten (BAG NZA 2017, 183); nur ausnahmsweise darf der Arbeitnehmer zur Sicherung wichtiger betrieblicher Abläufe und Vorgänge und unter Berücksichtigung seiner krankheitsbedingten Interessen in Anspruch genommen werden. Vielfach, etwa bei der Anordnung von Überstunden, ist das Weisungsrecht des Arbeitgebers durch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eingeschränkt (vgl. § 87 BetrVG; Rdnr. 1088 ff.).
159Grundsätzlich kann der Arbeitgeber eine erteilte Weisung wieder zurücknehmen oder ändern (vgl. BAG NZA 2017, 1452). Eine weitere Einschränkung kann sich aber daraus ergeben, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum nur mit bestimmten Aufgaben betraut oder ihn an einem festen Ort einsetzt. Hier konkretisiert sich die Arbeitspflicht auf den Aufgabenbereich oder den Einsatzort. Änderungen kann der Arbeitgeber dann nur noch durch Änderungskündigung (Rdnr. 653 ff.) herbeiführen.
Wie weit das Weisungsrecht des Arbeitgebers reicht, lässt sich nicht allgemein festlegen.
Es muss im Einzelfall anhand des Arbeitsvertrags und der Durchführung des Arbeitsverhältnisses geprüft werden, ob sich eine Anordnung noch im Rahmen des Weisungsrechts hält oder ob bereits eine Änderungskündigung erforderlich ist.
160Überschreitet der Arbeitgeber sein Weisungsrecht, darf der Arbeitnehmer nach richtiger Ansicht die zugewiesene Arbeit verweigern; der Arbeitgeber gerät in Annahmeverzug (§ 615 BGB; Rdnr. 449 ff.), wenn er dem Arbeitnehmer keine andere Arbeit zuweist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 315 Abs. 3 BGB (so auch ErfK/Preis, § 106 GewO Rdnr. 7a; diff. Hromadka, NZA 2017, 601 ff., der zwischen unzumutbaren Weisungen i. S. d. § 275 Abs. 3 BGB und „einfach unbilligen“, nicht unzumutbaren Weisungen unterscheidet). Nach vormaliger zweifelhafter Ansicht des 5. Senats des BAG sollte der Arbeitnehmer dagegen derartige Weisungen zunächst befolgen müssen, bis die Unbilligkeit durch Urteil rechtskräftig festgestellt ist (BAG NZA 2012, 858). Diese Rechtsprechung wurde nach der Aufgabe durch den 5. Senat (BAG, Beschl. v. 14.9.2017 – 5 AS 7/17) durch den 10. Senat des BAG korrigiert (BAG NZA 2017, 1452): Arbeitnehmer sind demnach nicht – auch nicht vorläufig – an unbillige Weisungen des Arbeitgebers gebunden.
C.Grenzüberschreitende Rechtsbeziehungen
Schrifttum: Braun/Gröne , Europäisches IPR des Arbeitsrechts, in Henssler/Braun (Hrsg.), Arbeitsrecht in Europa, 3. Aufl., 2011, S. 59; Deinert , Neues Internationales Arbeitsvertragsrecht, RdA 2009, 144; ders. , Internationales Arbeitsrecht, Deutsches und europäisches Arbeitskollisionsrecht, 1. Aufl., 2013; Henssler , Mindestlohn und Tarifrecht, RdA 2015, 43; Sittard , Voraussetzungen und Wirkungen der Tarifnormerstreckung, 2010.
Fall:
161Monteur A arbeitet seit Beginn seiner Tätigkeit vor 10 Jahren für ein deutsches Großunternehmen in Toronto/Kanada. Da die Niederlassung aus wirtschaftlichen Gründen aufgelöst werden soll, wird dem A von der Unternehmenszentrale in Frankfurt die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen, ohne dass zuvor der am Frankfurter Firmensitz bestehende Betriebsrat gem. § 102 BetrVG angehört worden ist.
I.Anwendungsbereich und Grundsätze
162Die Regeln des Arbeitskollisionsrechts sind einschlägig, wenn arbeitsrechtliche Fragen mit Auslandsberührung beurteilt werden müssen. Das betrifft vor allem die Fälle, in denen ein ausländischer Arbeitnehmer im Inland oder ein deutscher Arbeitnehmer im Ausland beschäftigt wird. Das deutsche Kollisionsrecht wurde zum 17.12.2009 durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) und die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-VO) neu gefasst. Danach können die Arbeitsvertragsparteien grundsätzlich frei bestimmen, welches nationale Arbeitsrecht auf ihr Vertragsverhältnis anwendbar sein soll (Art. 3 Rom I-VO). Eine Grenze für die Wahlfreiheit ergibt sich aus Art. 8 Abs. 1 Rom I-VO. Die Rechtswahl ist unwirksam, soweit dem Arbeitnehmer der Schutz, der ihm durch die zwingenden Vorschriften des Rechts des Staates, das ohne Rechtswahl maßgebend wäre, entzogen würde.
163Fehlt eine solche ausdrücklich oder stillschweigend geschlossene Rechtswahlvereinbarung, kommt das Recht des Staates zur Anwendung, in dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet (Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO). Wird er ständig in verschiedenen Ländern tätig, ohne dass sich ein gewöhnlicher Arbeitsort feststellen lässt, richtet sich das Arbeitsverhältnis nach dem Recht des Staates, in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat (Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO). Ausnahmsweise kann auch das Recht eines anderen Staates einschlägig sein, wenn das Arbeitsverhältnis nach den Gesamtumständen zu diesem Staat engere Verbindungen aufweist (Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO; vgl. BAG NZA 2008, 761).
164Das nach Art. 3 und 8 Rom I-VO anzuwendende Recht gilt grundsätzlich für alle Fragen im Zusammenhang mit der Begründung, Durchführung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Art. 10 ff. Rom I-VO). Problematisch ist die kollisionsrechtliche Behandlung der öffentlich-rechtlichen Arbeitsrechtsnormen und der Kollektivvereinbarungen: Geht es um die Anwendbarkeit öffentlich-rechtlicher Arbeitsschutzvorschriften (z. B. MuSchG, SGB IX, ArbSchG etc.), sind diese unabhängig vom auf den Arbeitsvertrag anwendbaren Recht auf alle Arbeiten in Deutschland anwendbar. Dies ergibt sich aus § 2 AEntG, der die international-zwingende Wirkung bestimmter Arbeitnehmerschutzrechte anordnet. Als sog. Eingriffsnormen i. S. d. Art. 9 Rom I-VO müssen diese Vorschriften in Betrieben auf deutschem Boden auch dann beachtet werden, wenn dort nur Ausländer beschäftigt sind. Wird umgekehrt ein Deutscher dauerhaft im Ausland beschäftigt, ist nach dem jeweiligen Normzweck zu differenzieren. So kann z. B. das MuSchG bei der Kündigung (vgl. § 17 MuSchG) Anwendung finden, nicht aber die öffentlich-rechtlichen Vorschriften zum Arbeitsschutz, die nur für in Deutschland belegene Betriebe gelten können.
Читать дальше