1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 »Wie wär’s, wenn du mir einfach aus dem Weg gehst? Dann werden du und deine Freunde auch nicht verletzt.«
In den Schatten bewegte sich etwas. Drei weitere Gestalten, die von Drogen gezeichnet alle gleichermaßen ausgemergelt und dünn aussahen, umringten Kimball.
»Das willst du nicht«, ermahnte er den jungen Mann. »Vertrau mir. Das willst du wirklich nicht.«
Ein Klacken war zu hören, als eine Klinge aus dem Stiletto in der Hand des Ganoven sprang. Die anderen drei folgten seinem Beispiel: Tschick! … Tschick! … Tschick! …
Also hatte es Kimball mit insgesamt vier Messern zu tun.
»Gib mir deine Brieftasche, Kumpel.«
»Wenn du meine Brieftasche willst«, erklärte ihm Kimball, »musst du schon kommen und sie dir holen.«
»Machst du Witze? Wir sind zu viert!«
»Das sehe ich«, antwortete er. »Aber dummerweise stehen die Chancen für mich um einiges besser.«
Der Ganove legte den Kopf leicht schräg und warf ihm einen fragenden Blick zu.
»Letzte Chance«, sagte Kimball ernst. »Geh mir aus dem Weg.«
Der Ganove zögerte keine Sekunde. Ungeschickt und mit geradezu leichtsinniger Unbekümmertheit hielt er auf Kimball zu, die Spitze seiner Klinge zu einem geraden Stoß nach vorn gestreckt.
Kimball wich zur Seite aus. Die Klinge verfehlte ihr Ziel und fuhr ins Leere, der Ganove stolperte und landete mit dem Gesicht voran auf dem Boden. Dabei prallte er mit den Lippen auf und brach sich mehrere Zähne.
Kimball trat einen Schritt zurück, um sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen, und konnte ein Lachen kaum zurückhalten, was die anderen Gangster einigermaßen verunsicherte.
Der Angreifer hatte sich unterdessen wieder aufgerappelt und hielt sich eine Hand vor seinen blutenden Mund. »Fandest du das etwa lustig?«
»Willst du mich auf den Arm nehmen? Das war geradezu zum Totlachen.«
Der Ganove griff ihn wütend an, indem er sein Messer wild hin und her schwang und mit seiner Klinge diagonal immer wieder ein X in die Luft schnitt, hin und her. Kimball ließ sich etwas zurückfallen und wartete.
Und dann schlug der ehemalige Ritter des Vatikan zu.
Kimballs Linke schnellte nach vorn, packte den Ganoven am Handgelenk, drehte es ruckartig herum, auf das die Knochen brachen und dieser sein Messer fallen lassen musste. Dann winkelte er sein rechtes Bein an und trat den Ganoven mit einer solchen Wucht, dass der junge Mann in die Luft flog und in hohem Bogen und beinahe unmöglich weit durch die Gasse segelte, bis er schließlich bewegungslos auf einem Berg aus Mülltüten landete.
Ohne die anderen aus den Augen zu lassen, hob Kimball das Messer auf.
Sie starrten ihn an, und für Kimball war es offensichtlich, dass sie zu der Überzeugung gelangt waren, dass es keine gute Idee wäre, ihn anzugreifen. Um sie in ihrer Entscheidung zu bestärken, ließ Kimball das Messer zwischen seinen Fingern herumtanzen wie eine Tambourmajorette ihren Stab. Die Bewegungen waren fließend und beinahe anmutig, eine Fähigkeit, die viele Jahre des Trainings bedurfte, und etwas, dass keiner der Ganoven zuvor schon einmal zu Gesicht bekommen hatte.
»Eure Entscheidung«, sagte er.
Die Ganoven wichen zurück und zwei von ihnen ließen ihre Messerklingen zurückschnappen und steckten die Waffen ein. Der Dritte war sich noch nicht sicher und hielt sein Messer weiter gezückt.
»Wir wollen nur unseren Freund holen und dann verschwinden«, sagte der dürre Gangster mit dem Messer.
»Mach, was du willst. Ich geb‘ dir dreißig Sekunden.«
Die Halbstarken eilten los und rüttelten ihren Freund auf, der nur halb bei Bewusstsein war und unzusammenhängend vor sich hin stammelte. Als sie ihn auf die Beine zogen, schrie er vor Schmerzen auf. Sein gebrochenes Handgelenk hatte sich schmerzhaft bemerkbar gemacht.
Einer der Ganoven trat auf Kimball zu. »Können wir unser Messer wiederhaben?« Dabei hielt er ihm die Hand hin.
Kimball schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, das behalte ich als Andenken.«
Der Ganove ließ sich zu seiner kleinen Gruppe zurückfallen. Dann verschwanden sie durch das andere Ende der Gasse.
Kimball steckte das Messer ein und sah ihnen nach. Als sie um die Ecke verschwunden waren, legte auch er einen Schritt zu. Es lauerten nur allzu oft irgendwelche Geier im Dunkeln, die darauf warteten, sich auf vermeintliches Aas stürzen zu können. Das war nicht die richtige Gegend, um solche Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen oder zu sehr von sich eingenommen zu sein.
Erst, als er in seinem Apartment ankam, fühlte er sich sicher, weil er wusste, dass er hier Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte, um es mit ungewollten Besuchern aufnehmen zu können.
Sein Appartement war klein, aufgeheizt und eng. Die Küche bestand nur aus einem einzelnen Waschbecken und einer Mikrowelle. Das Schlafzimmer war genauso klein und bot gerade genug Platz für ein kleines Einzelbett und einen Nachtschrank. Ihm gegenüber stand eine kleine Kommode mit einem 13-Zoll-Flachbildfernseher darauf. Nebenan befand sich ein Badezimmer, ebenfalls sehr klein, mit Wänden, an denen sich schwarze Schimmelflecken bildeten, die man einmal in der Woche mit einem Schwamm entfernen musste.
Aber all das störte ihn nicht. Für ihn war das nur ein Ort, an dem er sich aufs Ohr hauen konnte.
Er zog das Messer aus seiner Tasche, drückte auf den Knopf und sah zu, wie die Klinge herausfuhr. Das Metall war sauber und auf Hochglanz poliert. Aber es war kein sehr gut gefertigtes Messer. Eher wie eines, dass man drüben in Tijuana herstellte und dann über die Grenze schmuggelte.
Er warf das Messer auf die Kommode, nahm eine schnelle Dusche und fühlte sich erfrischt und wie neu, als er ins Bett ging. In den meisten Nächten lag er einfach nur da und sah Nachrichten, und nicht selten schaltete er mit seiner Fernbedienung im Sekundentakt zwischen den Kanälen hin und her.
Aber in dieser Nacht wollte er einfach nur im Dunkeln daliegen und über das nachdenken, was Louie zu ihm gesagt hatte, dass er in Kimballs Augen den Kampf lodern sehen konnte, was Kimball sich fragen ließ, ob sein Schicksal wirklich vorbestimmt war. Der Hinterhalt in der Gasse schien das zu bestätigen. Der »Kampf« schien für ihn stets greifbar zu sein, egal wie sehr er auch versuchte, ihn zu vermeiden.
Ohne Louies Worten und den Bildern des Handgemenges in der Gasse, die ihm durch den Kopf gingen, hätte er sicher den Fernseher eingeschaltet. Und dann hätte er erfahren, dass Papst Gregor bei einem Sturz von seinem Balkon ums Leben gekommen war.
Was für ein Tag.
Moskau, Russland
Der Mann war um die sechzig, bewegte sich jedoch wie jemand, der weitaus älter war. Mit einem Gehstock in der einen und einem kleinen Beutel mit Brot und Eiern in der anderen Hand lief der alte Mann die kalten Straßen Moskaus entlang. Der Himmel über ihm war grau, so wie er stets grau zu sein schien, wenn der Mann mühsam zu seinem Apartment im dritten Geschoss des Wohnkomplexes zurückkehrte. Jeden Tag erwies sich die Reise die vielen Stufen hinauf als noch schwieriger für seine immer schwächer werdenden Beine.
Wenn seine Beine eines Tages aufgaben, so dachte er bei sich, würde er es ihnen gleich tun.
Später würde er sich mit einer Flasche Wodka ans Fenster setzen und besinnungslos trinken und seine letzten Gedanken würden in den Zeiten des Kalten Krieges schwelgen, als er noch von Wichtigkeit gewesen war. Nun, da die Mauern eingestürzt und der Kommunismus nichts weiter als ein Nachsatz in der Geschichte war, war aus dem alten Mann eine soziale Last geworden, der mit einer mageren Sozialhilfe von umgerechnet vierhundert Dollar im Monat über die Runden zu kommen versuchte. Nicht selten verbrachte er mehrere Tage des russischen Winters, ohne die Heizung einzuschalten, weil er nicht genug Rubel besaß, um die Rechnungen bezahlen zu können.
Читать дальше