Scheiße. Hilft sie uns, um sich ihren eigenen Problemen nicht zu stellen, sich abzulenken?
Kennedy sagte: »Also wollen die Deutschen und die Kultisten dieses nicht-existierende Grab finden, vermutlich wegen Ruhm und Reichtum? Und um das zu tun, müssen sie Odins neun Teile an einem Ort zusammenfügen, der gar kein Ort ist. Stimmt doch so in etwa, oder?«
Ben verzog das Gesicht. »Na ja, ein Song ist kein Song, solange man ihn nicht auf Vinyl presst – wie mein Vater immer gesagt hat. Soll heißen, wir haben noch eine Menge zu tun.«
»Klingt weit hergeholt.«
»Das ist doch schon besser.« Ben drehte den Laptop um. »Odins neun Artefakte sind hier aufgelistet: Augen, Wölfe, Walküren, Pferd, Schild und Speer.«
Drake hatte mitgezählt. »Das sind nur sechs, Kumpel.«
» Zwei Augen, zwei Wölfe, zwei Walküren.«
»Was davon ist in Uppsala?« Drake zwinkerte Kennedy zu.
Ben scrollte eine Weile und sagte dann: »Es heißt hier, dass der Speer durch Odins Seite gebohrt wurde, als er fastend an der Welteneiche hing und das habe alle seine Geheimnisse seiner Völva offenbart – seiner Seherin. Ein anderes Zitat lautet folgendermaßen: In der Nähe des Tempels in Uppsala steht ein großer Baum mit weit ausladenden Ästen, der im Sommer und Winter immer grün ist. Niemand weiß, was es für ein Baum ist, denn es wurde nie ein zweiter wie dieser gefunden. Das stammt aus einem Text, der hunderte Jahre alt ist. Der Weltenbaum ist – oder war – in Uppsala und ist zentral für die nordische Mythologie. Die Skandinavier im Mittelalter haben das alte Uppsala für einen der wichtigsten Orte in der Gegend gehalten. Der dänische Geschichtsschreiber Grammaticus war der Ansicht, Odin habe selbst vor Urzeiten in Gamla Uppsala gelebt. Es war bekannt als der Sitz schwedischer Könige, und es heißt, um den Weltenbaum herum existieren neun Welten. Oh, noch eine Erwähnung von Uppsala, ich zitiere: Odin verweilte dort, in der Nähe einer riesigen Esche namens Yggdrasil , die von den Bewohnern als heilig betrachtet wurde. Sie ist aber nicht mehr dort.«
Er las weiter. »Skandinavische Forscher halten seit langem Gamla Uppsala für einen der ältesten und wichtigsten Orte in der nordischen Geschichte.«
»Und das ist alles da draußen?«, fragte Kennedy. »Wo jeder es finden kann?«
»Nun«, sagte Ben, »das muss man alles miteinander verbinden. Du solltest meine Fähigkeiten nicht unterschätzen. Ich bin gut in dem, was ich tue.«
Drake nickte zustimmend. »Das ist er, glaub mir. Er hat mir geholfen, mich die letzten paar Monate durch eine Karriere als Fotograf zu mogeln.«
»Man muss eine Menge verschiedener Gedichte und Sagen zusammenstückeln. Eine Sage ist ein Gedicht der Wikinger, in dem es um große Abenteuer geht. Es gibt die sogenannte Lieder-Edda , die von Nachfahren der Menschen geschrieben wurde, die mit Leuten bekannt waren, die die damaligen Chronisten kannten. Man muss sich durch eine Menge an Informationen wühlen.«
»Und wir wissen nichts über die Deutschen und ihre Absichten. Gar nicht zu reden von den Kultisten. Oder wieso Alicia Myles …« Drakes Handy klingelte. »Sorry … ja?«
»Ich bin’s.« Die Stimme am anderen Ende gehörte seinem alten Commander.
»Hallo Wells.«
»Setz dich mal lieber, Drake.« Wells wartete einen Moment. Anscheinend ging es um etwas Großes. »Die SSG – eine schwedische Spezialeinheit – und Teile der schwedischen Armee wurden von überall auf der Welt zurückbeordert.«
Drake war einen Moment sprachlos. »Du machst Witze, oder?«
»Ich mache keine Witze über die Arbeit, Drake. Nur über Frauen.«
»Ist so etwas schon jemals vorher passiert ?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Haben sie einen Grund genannt?«
»Den üblichen Scheiß, fürchte ich. Nichts Definitives.«
»Sonst noch was?«
Ein Seufzen. »Drake, du schuldest mir auf jeden Fall ein paar Geschichten über Mai, Kumpel. Ist Ben noch da?«
»Ja. Und erinnerst du dich an Alicia Myles?«
»Verdammt, wer würde das nicht. Du glücklicher Bastard. Ist sie bei dir?«
»Leider nein. Ich hab sie vor etwa einer Stunde im Louvre gesehen.«
Zehn Sekunden Stille, dann: »Sie war daran beteiligt? Unmöglich. Sie würde nie ihre eigenen Leute verraten.«
»Wir waren anscheinend nie ihre eigenen Leute .«
»Du meinst, sie hat geholfen, das Museum zu berauben?«
»Allerdings, Sir. Das meine ich.« Drake trat ans Fenster und sah auf die Autoscheinwerfer, die unter ihm vorbeirasten. »Schwer zu verdauen, oder? Ihre neue Berufung besteht wohl darin, möglichst viel Kohle zu verdienen.«
»Erste Berichte sagen, dass sich zwei verfeindete Parteien im Museum bekämpft haben?«
»Ja. Und so wie es sich angehört hat, haben diese Kultisten schon vorher gewusst, was die Deutschen vorhaben.«
Er hörte, wie sich hinter ihm Ben und Kennedy Notizen über die berühmten und die eher obskuren Orte der neun Teile Odins machten.
Wells atmete schwer. »Die verfluchte Alicia Myles! Macht gemeinsame Sache mit dem Feind? Das kann ich einfach nicht glauben, Drake.«
»Ich hab ihr Gesicht gesehen. Sie war es.«
»Unglaublich. Wie sieht dein Plan aus?«
Drake schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Teil des Teams mehr, Wells. Ich habe keinen verdammten Plan. Ich sollte keinen Plan brauchen.«
»Ich weiß. Ich stelle gerade ein Team zusammen, Kumpel, und ich entwerfe von hier aus schon mal eine Strategie. Wir bleiben in Kontakt.«
Die Leitung war tot. Drake drehte sich um. Natürlich hatte er einen Plan, aber Wells musste davon nichts wissen. Seiner Erfahrung nach wurde man mit einem Feind, der einen umbringen wollte, am besten fertig, indem man ihn zuerst erledigte. Dafür brauchte er Hilfe, deswegen würde sich Wells noch als nützlich erweisen. Außerdem war er zunehmend fasziniert von der Jagd nach Odins Artefakten, und jetzt, wo Alicia Myles auch noch ins Spiel kam … das brachte die Sache auf ein ganz anderes Level.
Wells hatte recht. Wieso arbeitete sie überhaupt für den Feind? Steckte sie in Schwierigkeiten? Selbstschutz und der gesunde Menschenverstand sagten Drake, er sollte diesen Wahnsinn nicht weiterverfolgen. Sieben Jahre waren vergangen, und er dachte, er hätte das alte Feuer erstickt, aber die Flammen flackerten noch, im Moment auf Sparflamme, aber stetig flackerten sie höher, wurden drängender, erinnerten ihn an den Nervenkitzel vergangener Tage. Und nun, wo eine alte Kameradin aufgetaucht war, hatte ihn die gespannte Erwartung wieder gepackt, wie früher.
Ben und Kennedy sahen ihn an. »Keine Sorge«, sagte er. »Ich drehe schon nicht durch. Was habt ihr bisher?«
Kennedy klopfte mit einem Löffel auf ein paar Seiten Papier, die sie in der typischen Kurzschrift eines Cops mit Notizen gefüllt hatte.
»Speer – Uppsala. Wölfe – New York. Keine Ahnung, was danach kommt.«
Drake zuckte die Achseln. »Wir können nur mit dem planen, was wir wissen.«
Kennedy lächelte ihn merkwürdig an. »Ein Mann nach meinem Geschmack.«
»Was wir wissen«, wiederholte Ben, »ist, dass Uppsala die nächste Station ist.«
»Ja«, murmelte Drake, »aber ich bin nicht sicher, ob das meine Kreditkarte noch aushält.«
Uppsala, Schweden
Während des Flugs nach Stockholm wollte Drake herausfinden, was genau mit Kennedy los war.
Nach dem Austausch wilder Handzeichen zwischen Drake und Ben saß die Polizistin aus New York schließlich auf dem Fensterplatz und Drake neben ihr. Weniger Fluchtmöglichkeiten.
»So«, sagte er, als das Flugzeug nicht mehr weiter stieg und Ben Kennedys Laptop aufgeklappt hatte. »Ich spüre da so ein paar Schwingungen. Ich will ja nicht neugierig sein, Kennedy, aber ich hab da eine Regel: Ich muss die Leute kennen, mit denen ich arbeite.«
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