SWEN ENNULLAT
Thriller
mitteldeutscher verlag
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Titel SWEN ENNULLAT Thriller mitteldeutscher verlag
Information Figuren und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig.
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Impressum
Figuren und Handlungen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen wären rein zufällig.
Pattaya war kein Ort, den jemand, der irgendwann eine Nacht hier verbracht hatte, je wieder mit einem typischen Familienurlaub in Verbindung bringen würde. Aber Torben war auch nicht nach Kinderlachen oder überdrehten Animateuren zumute. Er reiste allein und war froh, endlich in die Anonymität dieser Stadt abtauchen zu können. Ein Riss ging durch seine ehemals so heile Welt und teilte sein altes, sorgenfreies Leben von den Trümmern seines jetzigen Daseins. Er hatte schreckliche Dinge gesehen und erlebt, hatte Freunde verloren und dem Tod ins Auge gesehen. Sobald er sich daran erinnerte, nahm die Angst wieder Besitz von ihm, Panik stieg in ihm auf und nahm ihm die Luft zum Atmen. Regelrecht verzweifelt suchte er nach einer Möglichkeit, die Gedanken daran endlich auszulöschen. Und es war ihm völlig egal, ob ihm dies in Pattaya oder einer anderen von Gott verlassenen Stadt gelingen würde.
Idyllisch an der Ostküste des Golfs von Thailand gelegen, vereinigte Pattaya zwar mit seinem tropischen Klima, den weiten Ebenen und den langen weißen Sandstränden die Vorzüge eines Badeortes mit den Möglichkeiten zu tauchen oder Golf zu spielen, allerdings war es noch immer eher für sein ausschweifendes Nachtleben berühmt. Alle Versuche, den Sextourismus einzudämmen, der in erster Linie durch eine riesige Anzahl minderjähriger Prostituierter beiderlei Geschlechts gestützt wurde, waren bislang kläglich gescheitert, wohl auch, weil das entsprechende Publikum weiterhin vehement nach der Befriedigung seiner Bedürfnisse verlangte.
Obwohl die konservativen Pauschalurlauber meist mit Phuket und Ko Samui auf andere Touristenzentren des Landes auswichen, fanden so trotzdem mehr als fünf Millionen Besucher aus aller Welt jährlich ihren Weg nach Pattaya und mit ihnen Milliarden an Dollar, die sie hier großzügig ausgaben.
Auf der Suche nach Erholung oder dem schnellen Sex ließen sie sich nicht einmal von Tsunamis oder sozialen Unruhen abschrecken.
Noch vor wenigen Jahrzehnten hatte die Bucht nur aus einer Handvoll Dörfer bestanden. Der Vietnamkrieg führte jedoch dazu, dass GIs, die in der Nähe stationiert waren, die sauberen Strände und das kristallklare Wasser für sich entdeckten. Die erstklassigen Bedingungen, die sie vorfanden, sprachen sich schnell herum. Und so folgten den Soldaten bald Touristen. Kleine Hotels und Pensionen, aus denen später die Ableger der großen Hotelketten hervorgingen, schossen wie Pilze aus dem Boden. Die Einwohnerzahlen verdoppelten sich in der Folge nahezu jährlich und lagen mittlerweile bei mehr als einhunderttausend Menschen. Vor allem junge Leute zog es mit der Aussicht auf ein neues und besseres Leben vom Land in die schillernde Welt der Großstadt, einer Hoffnung folgend, die aber nur in den seltensten Fällen erfüllt wurde. Die meisten von ihnen landeten in einer Welt von brutaler Gewalt und schmutzigem Sex, die oft nur durch den Missbrauch aller erdenklichen Arten von Drogen zu ertragen war. Wahre Liebe, kindliche Unschuld oder einfach nur Seelenheil suchte man in Pattaya vergeblich.
Torben starrte gedankenverloren in das halbvolle Bierglas, das vor ihm stand, und blickte nur kurz auf, um ein zierliches, leichtbekleidetes und stark geschminktes Thaimädchen, das ihm auf Englisch ein ziemlich eindeutiges Angebot gemacht hatte, mit einem Kopfschütteln und einer abwehrenden Handbewegung wegzuschicken. Unschlüssig, ob sie sofort aufgeben sollte, spähte sie an ihm vorbei zu einem schmierigen Typen mit rosafarbenem Hawaiihemd und Sonnenbrille, der im Halbdunkel im hinteren Bereich der Bar wartete. Offenbar gab er ihr ein Zeichen, dass sie keine weiteren Mühen in diese armselige Gestalt investieren sollte, denn sie schenkte Torben nur noch ein mitleidiges Lächeln und versuchte ihr Glück danach bei zwei übergewichtigen dänischen oder holländischen Touristen einige Stühle weiter. Die wiederum konnten es offensichtlich kaum fassen, von einer hübschen, jungen Frau angesprochen zu werden, und so schien es für die Kleine oder besser ihren Zuhälter doch noch ein erfolgreicher Abend zu werden.
Als Torben sah, wie die Hände eines der beiden Freier gleich hier in der Bar begannen, gierig ihren zarten, kindlichen Körper zu erkunden, wandte er sich angewidert ab und stürzte den Rest seines Singha-Biers hinunter. Es gab Dinge, die konnte er nicht ändern, ob er es nun wollte oder nicht, eine Einsicht, die er schmerzhaft gewonnen hatte.
Kaum mit seinem Bier fertig, orderte er das nächste bei der pummligen Barfrau, einer Endvierzigerin mit zu viel Make-up im Gesicht und dem deutlichen Ansatz eines Damenbarts. Als er sie so ansah, versuchte er sich zu erinnern, ob er vorher schon einmal hier gewesen war, schließlich trieb er sich bereits seit einer Woche in Pattayas Spelunken herum. Aber die Tage und die Erlebnisse zerflossen in seinem Kopf zu einer großen gallertartigen Masse. Einzelne Erinnerungen darin wiederzufinden war derzeit schier aussichtslos. Er trieb wie ein manövrierunfähiges Schiff ziellos umher und es scherte ihn nicht einmal.
Dass er sich jetzt in Thailand und nicht irgendwo anders auf der Welt befand, war purer Zufall. Eine Laune des Schicksals hatte dafür gesorgt, dass sein Flieger aus Vietnam kurz nach Erreichen der offiziellen Flughöhe wegen eines technischen Defektes der Klimaanlage zwischenlanden musste.
Der Zwangsstopp und eine spontane Eingebung sorgten für seinen Entschluss, das Flugzeug zu verlassen und noch etwas Zeit in Thailand zu verbringen. Es zog ihn ohnehin nichts nach Hause. Die vierwöchige Reise als Rucksacktourist durch Vietnam, die nur ein weiterer Versuch gewesen war, einige Dinge für sich selbst zu verarbeiten, hatte sowieso nicht einmal ansatzweise zum gewünschten Erfolg geführt.
Eigentlich hatte er die Absicht, einen Reisebericht über die weltberühmten Pagoden, die artenreichen Nationalparks oder einfach nur über die Menschen des Landes zu schreiben. Er wollte sich Zeit nehmen und treiben lassen, um so viele Eindrücke wie möglich in sich aufzusaugen und seinen Lesern ein getreues Bild der Lebenswirklichkeit abzuliefern.
Bei der offenen und freundlichen Art der Einheimischen war es ihm sehr leicht gefallen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und etwas über ihr Leben, ihre Ängste und Sorgen zu erfahren. Die meisten Häuser der einfachen Leute besaßen keine Küche. Man bereitete die Mahlzeiten gemeinsam mit der Familie oder Freunden auf der Straße zu und aß auch zusammen. Es war selbstverständlich, Reisende wie ihn zum Essen einzuladen, der schon durch seine Größe von mehr als ein Meter achtzig, der hellen Haut und den dunkelblonden, verwuschelten Haaren auffiel. Aber je länger er blieb und umso weiter er sich ins Landesinnere bewegte, desto mehr wurde ihm bewusst, dass die Menschen große und gastfreundliche Gemeinschaften bildeten, die ihn zwar für eine gewisse Zeit aufnahmen, in denen er aber dennoch stets ein Fremdkörper blieb.
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