1 ...8 9 10 12 13 14 ...20 Nach einem späten Mittagessen in einem Fast-Food-Restaurant am Highway legte er die letzten Meilen nach Flatonia zurück, das sich als noch unspektakulärer als in seiner Vorstellung herausstellte. Es waren vielleicht zwei Blocks verloren wirkender Backsteinhäuschen mit geschmacklos grellen Fassaden, die an den alten Highway 90 gebaut worden waren. Drake rollte an einer Apotheke, einem Eisenwarenladen und einem Floristen vorbei, wobei er sich vorkam, als wäre er durch ein Wurmloch in die 1930er Jahre zurückgereist, so ausgestorben wirkte das alles.
Sein Weg führte ihn weiter nach Süden und nach einer Menge Kurven stand er endlich vor einem rostigen Eisentor abseits der Hauptstraße. Ein vergilbtes Plakat identifizierte das Anwesen als die Buckeye Ranch, während ein dickes Vorhängeschloss die Aussage eines auffälligen Schildes mit der Aufschrift ›KEIN ZUTRITT‹ unterstrich. Es klapperte in der leichten Brise, die nach feuchter Erde und Heu roch, als sie durch Drakes geöffnetes Fenster drang.
Er parkte vor dem Tor und stieg aus dem Wagen. Hinter dem Stacheldrahtzaun, der das gesamte Grundstück umgab, sah er eine kleine Ansammlung von Gebäuden. Eine Scheune, eine Garage und das Haupthaus, alle in unattraktiven Brauntönen gestrichen, die dringend mal wieder aufgefrischt werden mussten.
Auf dem angrenzenden Acker fuhr ein Mann in schwerer Arbeitskleidung auf einem Traktor, der etwas über den Boden zerrte. Drake winkte ihm zu. Nachdem zehn Sekunden lang keine Reaktion erfolgte, formte er einen Trichter mit den Händen und schrie.
»Hey, hallo! Ich bin hier drüben! Am Tor!«
Der Treckerfahrer machte weiter, und Drake probierte es noch einmal, wobei er die Arme über dem Kopf schwenkte.
»Hallo, Sie da! Auf dem Traktor!«
Endlich erstarb der Motor mit einem Röcheln und der Mann stieg aus dem Fahrersitz, um sich dann langsam dem Tor zu nähern. Er war klein und dicklich, gebaut wie eine Zündkerze, und seine Haut war zu einem Bronzeton gebrannt. Drake konnte einige silbrige Haare unter dem Stetson erkennen, der die dunkelbraunen Augen von der Sonne abschirmte. Sie waren klar und zeugten von einem scharfen Blick, im Schatten der Hutkrempe wirkten sie fast selbstleuchtend.
»Kann ich helfen?«, fragte eine mit den Jahren gereifte Stimme, die jedoch den langsamen Singsang vermissen ließ, den Drake auf der Fahrt hierher überall gehört hatte.
»Vielleicht. Ich bin auf der Suche nach Jack Brody.«
Der Mann blinzelte, hielt Drakes Blick aber stand. Die Muskeln seines Unterkiefers spannten sich zwar sichtbar, abgesehen davon hätte er aber aus Stein gemeißelt sein können. Langsam zog er seine schweren Lederhandschuhe ab.
»Warum?«
»Ich muss mit ihm reden. Sind Sie es?«
»Wer will das wissen?«
Drake hatte diesen Moment die halbe Reise lang durchgespielt, doch nun war er sich nicht ganz sicher, wie er es angehen sollte. Er studierte die Gesichtszüge des Mannes und traf eine spontane Entscheidung.
»Ich bin Drake. Drake Ramsey.« Gespannt wartete er auf die Reaktion, doch was dann passierte, hätte er nie erwartet.
Der Mann seufzte schwer, ein herzerweichender Klang, der mehr als Erschöpfung oder Resignation ausdrückte. Mit einer sanften Stimme sagte er dann: »Ich habe immer gewusst, dass du eines Tages kommen würdest. Wie hast du mich gefunden?«
»Jack?«
»Gut kombiniert, Sherlock!«
»Ich … ich habe meine üblichen Ermittlungstechniken eingesetzt. Du bist wahrscheinlich ein schlechter Pokerspieler, hast dich am Telefon gleich verraten.«
»Ach ja, der Anruf. Ich wusste es doch, ich hätte mich sofort nach Mexiko absetzen sollen. War auch schon drauf und dran.«
Die beiden Männer starrten sich schweigend an. Ein eisiger Wind peitschte die Straße hinunter und brachte einen kleinen Luftwirbel mit, der den rötlichen Sand aufwirbelte. Jacks Augen folgten dem Weg dieser Mini-Windhose, bevor er sich wieder auf Drake konzentrierte.
»Und jetzt?«, fragte er schließlich.
»Ich habe ein paar Fragen.«
Jack nickte. Er rieb sich mit einer Hand übers Gesicht, lehnte sich dann zur Seite und spuckte in das neben ihm liegende Beet voller Unkraut. »Das glaube ich dir.«
»Soll ich sie hier draußen stellen, oder können wir reingehen?«
»Wie wäre es, wenn ich dir sage, dass ich dich erschießen werde, wenn du einen Fuß auf meinen Grund und Boden setzt?«, fragte Jack mit einem vernünftig klingenden Tonfall. Dann spuckte er noch einmal aus, als würde er seine Worte damit unterstreichen wollen.
»Dann warte ich eben hier draußen. Irgendwann musst du ja mal raus.«
Jacks Krähenfüße vertieften sich, als er zu einem mitleidigen Lächeln ansetzte. »Ich bin Selbstversorger. Ich kann es eine ganze Weile hier drinnen aushalten.«
Drake nickte, und stopfte die Fäuste in die Hosentaschen, um sie vor der Kälte zu schützen. »Kein Problem, ich habe Zeit.«
Jack starrte an ihm vorbei zum Horizont, wo sich eine Reihe Bäume wie Pappaufsteller vor dem klaren, blauen Himmel absetzten.
»Irgendwann wirst du auf die Toilette müssen«, stellte er fest.
Drake grinste. »Ich habe ziemich viel Übung darin, in Flaschen zu pinkeln.«
»Tja, ein Mann braucht ein Hobby. Woher hast du diese Ermittlungstechniken, von denen du sprachst?«
»Lange Geschichte.«
»Ich könnte dich auch aus Versehen erschießen. Hier draußen würde mich niemand verurteilen, falls du eine verirrte Kugel fängst.«
»Da müsstest du aber wahrscheinlich mehr als einmal schießen, und das zerstört dann die Geschichte vom Zufallstreffer.«
Der ältere Mann grunzte noch einmal. »Tja, wenn das so ist, kannst du deinen Wagen wohl auch neben dem Haus parken.«
Jack wühlte in einer Hosentasche seiner sonnengegerbten Jeans und förderte einen kleinen Schlüssel zutage. Damit öffnete er das Schloss und anschließend das Tor, das laut quietschend protestierte. Drake kehrte in den Wagen zurück und startete den Motor. Der Kies knirschte unter seinen Reifen, als er dem Weg zum Haus folgte. Im Rückspiegel sah er, wie Jack wieder abschloss und ihm dann hinterherkam. Drake verließ den Wagen und lehnte sich wartend gegen die Motorhaube, die ausströmende Wärme war sehr angenehm. Neben seinem Auto parkte eine halbwegs aktuelle Toyota-Limousine, dahinter ein bestimmt dreißig Jahre alter Pick-up-Truck. Als sich die Eingangstür des Hauses mit einem Quietschen öffnete, zuckte Drake zusammen. Noch überraschter war er dann vom Anblick der Frau, die an ihn herantrat. Sie war mittelgroß, hatte schwarze Haare und trug eng anliegende Jeans, Wanderstiefel und ein buntes Flanellhemd, dass ihre Kurven eher betonte, als sie zu verhüllen. Er schätzte sie auf Anfang zwanzig.
»Wer sind Sie?«, fragte sie in unfreundlichem Ton.
»Ich besuche Jack Brody.«
Ihre Mundwinkel zogen sich weiter nach unten. »Das hat jetzt irgendwie nicht meine Frage beantwortet, oder?«
»Oh, tut mir leid. Ich bin Drake.«
Inzwischen stieß Jack zu den beiden, sein Atem dampfte in der kalten Luft, die Nase war rot vor Kälte.
»Allie? Das ist Drake Ramsey. Drake, meine Tochter Allison.«
Das Gesicht der jungen Frau blieb regungslos, doch ihre strahlend blauen Augen weiteten sich leicht, als Drake ihr die Hand entgegenstreckte. Sie griff zu und schüttelte sie, wobei sie erst ihren Vater anschaute, und dann wieder Drake.
»Schön, dich kennenzulernen. Mich nennen alle Allie«, sagte sie mit einem nervösen Lächeln.
»Allie. Okay, dann nenne ich dich wohl auch so«, sagte Drake. Dann fiel ihm auf, dass er immer noch ihre Hand festhielt, und er ließ eilig los.
Jack räusperte sich. »Dann komm mal raus aus der Kälte, Drake. Ich schätze, du wirst viele Fragen haben, also könnte das etwas dauern.« Er ging an ihm vorbei und erklomm die drei Stufen der Veranda. »Allie, könntest du uns einen Kaffee machen? Das Wetter soll ja bald besser werden, aber heute ist es mir ganz schön in die Knochen gefahren!«
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