»Klar Dad, wird in ein paar Minuten fertig sein«, sagte sie, den Blick immer noch auf Drake gerichtet.
Zwischen ihnen bestand eine fühlbare Spannung, und Drake musste sich mit Gewalt losreißen, um Jack nach drinnen zu folgen.
Die Inneneinrichtung des Hauses war genau so, wie das Äußere vermuten ließ. Die spartanischen Möbel eines hart anpackenden Arbeitsmenschen, völlig frei von dekorativen Elementen; alles eher praktisch und abgenutzt. Jack warf seine schwere Jacke auf einen Garderobenhaken und machte es sich in einem alten Ledersessel gemütlich, der neben einem billigen Sofa stand. Er bedeutete Drake mit einer Geste, Platz zu nehmen, und legte dann seinen Hut auf dem Kaffeetisch vor sich ab. Seine grau melierten Haare waren kurz und praktisch geschnitten, vermutlich der 10-Dollar-Schnitt beim örtlichen Friseur, aber Jack war auch wirklich nicht der Typ für irgendwelche Raffinessen.
Drake räusperte sich und begann mit einer Frage, auf die er die Antwort eigentlich schon kannte.
»Warum hast du deinen Namen geändert?«
»Gibt es dagegen ein Gesetz?«, bellte Jack.
»Nein, aber es scheint so, als hätte das jeder in der Familie gemacht. Mein Vater, Patricia, du …«
Jacks Augen verengten sich. »Du weißt also von Patricia. Woher?«
Drake sah keinen Grund, zu lügen. »Ihr Anwalt hat mich nach ihrem Tod kontaktiert.«
Jack schien überrascht. »Sie ist tot? Gott sei ihrer Seele gnädig. Sie war eine gute Frau. Ich habe seit Ewigkeiten nichts von ihr gehört. Woran ist sie denn gestorben, sie war doch erst Mitte fünfzig …?«
»Ein Autounfall.«
»Ein Unfall? Was für eine Schande. Ohne sie ist die Welt schlechter als vorher.«
»Das glaube ich dir, ich habe sie allerdings nie kennengelernt.«
»Doch hast du. Als ganz kleines Kind. Aber wahrscheinlich kannst du dich nicht mehr daran erinnern. Was wollte der Anwalt denn von dir?«
»Sie hat mir Geld hinterlassen.«
»Ja, so war sie – unglaublich gutherzig.« Jack machte eine Pause. »Aber wie hast du mich gefunden, und woher wusstest du, dass ich meinen Namen geändert habe?«
»Sie hat mir auch ein paar Informationen über meinen Vater vererbt, und anscheinend hat sie auch deinen Werdegang verfolgt. Ich schätze mal, sie wollte Kontakt halten. Sie hat deinen neuen Namen erwähnt.«
»Das überrascht mich jetzt, weil sie sich nie gemeldet hat.« Er hielt inne, als Allie mit zwei Tassen Kaffee hereinkam und sie auf den Tisch stellte.
»Ich hoffe, schwarzer Kaffee ist okay. Wir haben leider keine Milch. Möchtest du Zucker?«, fragte sie.
»Nein danke, schwarz ist super«, antwortete Drake.
Sie starrte ihn für einen Moment an, dann überließ sie die Männer ihrem Gespräch und verließ den Raum.
Die beiden schlürften dankbar an dem heißen, kräftigen Gebräu, bevor sie die Tassen wieder abstellten und sich weiter unterhielten.
»Sie hat dir Informationen hinterlassen?«
»Ja, über die Geschichte, wo ihr beide nach Südamerika gereist seid. Wo Dad gestorben ist.«
Jack nickte nachdenklich. »Das war noch so ein tieftrauriger Tag.«
»Was kannst du mir darüber erzählen? Sie schrieb, er sei ermordet worden.«
Jack schaute ins Leere, seine Gedanken schienen abzudriften, dann nahm er noch einen Schluck Kaffee. »Das stimmt. Im peruanischen Dschungel ist er umgebracht worden.«
»Was ist da passiert?«
»Willst du die Kurzfassung oder die ausführliche Version?«
»Ich bin stundenlang hierher gereist. Du musst dich nicht hetzen.«
Jack atmete schwer aus und nickte erneut. »Okay, wie gesagt, ich wusste ja, dass dieser Tag irgendwann kommen würde. Weißt du, ich habe dich eigentlich schon aus 10 Metern Entfernung erkannt. So sehr siehst du ihm ähnlich! Natürlich bist du jünger, aber du hast exakt seine Statur und auch das Gesicht. Es ist schon fast unheimlich, wie geklont!«
»Ja, ich habe Fotos von ihm gesehen, wir ähneln uns schon sehr.«
»Stimmt. Aber ich schätze mal, es nützt nichts, um den heißen Brei herum zu reden. Patricia hat recht. Er wurde wie ein Hund von Russen ermordet.«
Drakes Augen weiteten sich. »Von Russen? Was haben die denn im südamerikanischen Urwald zu suchen? Und warum haben sie ihn getötet?«
»Da wird die Geschichte kompliziert.«
»Das ist mir egal, ich will alles wissen …«
»Dann fange ich ganz am Anfang an. Mit zwei Männern. Vadim Olenksi vom KGB, und seinem Handlanger Sasha Berekov. Zwei der übelsten Gestalten, die je auf unserem Planeten gelebt haben. Gefährlich wie Klapperschlangen, und doppelt so gemein. Sie hatten das gleiche Ziel wie dein Vater. Schätze, sie wollten einfach alle Mitbewerber kaltstellen. Deswegen haben sie ihn umgebracht.« Jack warf ihm einen gequälten Blick zu, als würde er gerade in einer offenen Wunde herumstochern. »Sie haben ihn getötet, ohne mit der Wimper zu zucken. Und deswegen haben wir alle unsere Namen geändert und sind weit weggezogen, wobei wir alles zurückgelassen haben, was wir hatten, damit sie mit uns nicht dasselbe machen.«
»Ich verstehe das nicht. Warum sollten KGB-Agenten jeden töten wollen, der meinen Vater kennt?«, fragte Drake.
»Wegen etwas, von dem sie dachten, dass es einer von uns besitzt: das Notizbuch deines Vaters. Den Schlüssel, um den Schatz zu finden, hinter dem sie her waren.«
»Sein Notizbuch?«
»Genau. Dein Vater hatte praktisch ein fotografisches Gedächtnis, aber er war auch ein Autor und schrieb seine Gedanken gerne nieder. Er hatte alle seine Erkenntnisse und Schlüsse protokolliert; die Ergebnisse seiner Recherche, mit der er Jahre zugebracht hat. Fast ein Jahrzehnt, um genau zu sein. Das war ja noch in Zeiten vor dem Internet, da musste man in Büchereien und Museen in allen möglichen Ländern gehen, um an die Informationen zu kommen. Er muss ein halbes Dutzend mal nach Peru, Bolivien und Brasilien gereist sein, bevor er das Puzzle endlich gelöst hatte. Er war wie besessen davon.« Jack machte eine Pause und überlegte sich seine nächsten Worte gründlich. »Bevor wir aufbrachen, hatte dein Vater seine Aufzeichnungen irgendwo versteckt. Er hat mir nie gesagt, wo.«
»Sein gutes Gedächtnis habe ich anscheinend auch geerbt. Es ist nicht fotografisch, aber nah dran. Doch warum sollte er seine Notizen verstecken?«, fragte Drake.
»Er war sich damals schon selbst darüber im Klaren, dass diese Informationen einen enormen Wert haben, für den einige über Leichen gehen würden.«
»Klingt paranoid.«
»Paranoia ist aber angebracht, wenn eine ernsthafte Bedrohung besteht. Das hat er von mir gelernt. Bei den Special Forces lebt man nach dieser Maxime.«
»Das kann ich mir vorstellen«, entgegnete Drake.
Jack nahm noch einen Schluck von seinem Kaffee. »Was weißt du über das Ziel seiner Bemühungen?«
»Nur das, was Patricia mir hinterlassen hat. Irgendwas über eine Inka-Stadt aus Gold. Hat er wirklich geglaubt, dass die existiert?«
»Am Anfang nicht. Aber mit der Zeit wurde seine Überzeugung immer größer. Paititi. Die letzte Ruhestätte der gesamten Schätze der Inka-Kultur, die für immer von den Spaniern ausgelöscht wurde. Aber dein Vater war nicht der Erste, der daran glaubte, dass diese Legende auf Tatsachen beruht. Viele intelligente Forscher haben sich daran festgebissen, doch niemand hatte Erfolg. Dabei hält das Interesse weltweit bis zum heutigen Tage an.«
»Wahrscheinlich hatte niemand Erfolg, weil Paititi nicht existiert. Genau wie El Dorado und die vielen anderen mythischen Schätze.«
»Das kann sein, aber dein Vater war da anderer Meinung. Und er war der klügste Mann, den ich je kennengelernt habe. Regelrecht besessen war er von dieser Geschichte.«
Drake unterbrach ihn. »Woher kanntet ihr euch?«
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