»Kaum vorzustellen, von diesen Mauern umgeben Eindruck zu erlangen«, antwortete der Bärtige mit knurriger Stimme.
Ihre Schritte klangen hohler als zuvor, die Wände taten sich auf und verloren sich in der Finsternis. Der Fackelträger wurde langsamer, deutete ihnen mit dem Arm, stehen zu bleiben, während er selbst vorausschlurfte, bis ein Geländer seinen Weg versperrte.
»Phindorch Ermon, Quarandor des Hohen Sanglors von Dagosturas, in Begleitung eines Gehilfen und eines Villars.« Die Stimme des Fackelträgers war laut und kräftig. Nichts stand ihr gegenüber, was die Worte zurückwerfen hätte können. Als stünde der Mann vor einem weiten Abgrund und ließe das Gesagte mittels Magie verstärken.
Plötzlich taten sich unzählige kleine Lichter auf, die zu großen Feuern aufflammten, geschlichtetes Holz in Mannshöhe verschlangen und jene Weite erhellten, die in der Schwärze verborgen gelegen hatte.
»Das kann doch nicht …«, verblüfft ließ der Bärtige den Mund offen stehen, während er vorsichtig vortrat und in die gigantische Halle hinabblickte, die ihr Ende weit hinten im Berg verborgen zu nehmen schien. Die Wände waren so hoch wie kein anderes Gebäude im gesamten Königreich, geschmückt mit unzähligen Bildhauereien und Skulpturen. In die steinerne Decke war ein Gewölbe geschlagen, an dem die begabtesten Künstler gearbeitet haben mussten, die Säulen waren mit bemaltem Kalk verziert, bis weit hinauf, wo selbst das beste Auge nichts mehr erkennen konnte.
Der Boden war mit schönsten Steinen ausgelegt, rötlichem und weißem Marmor, bestückt mit Edelsteinen. In der Mitte stand eine Tafel, an der wohl das gesamte Gefolge eines Sanglors Platz finden konnte.
Die vielen Feuerstellen zu beiden Seiten der Tafel erhellten die Halle mit wärmendem Licht und warfen zugleich durch die teils behauenen Säulen unzählige Schattenfiguren, die kriegerische Szenen darstellten, an die Wände der Höhle.
»Phindorch Ermon, Quarandor des Hohen Sanglors von Dagosturas, eine seltene Ehre wird mir zuteil!«, polterte eine laute Stimme von jenseits der prächtigen Halle. »Tretet näher!«
Sie traten gemeinsam die breite Treppe hinab, die zur Halle hinunterführte, wobei Kurus, der Villar, nervös an jeder Stufe schnüffelte. Sein Schwanz zuckte, als wittere er ein fremdes Wesen. Der Fackelträger blieb neben der ersten Säule stehen, neigte sein Haupt und deutete mit dem freien Arm auffordernd zum hinteren Ende der Halle.
Langsam schritten die beiden Gefährten durch die kalte Halle, Kurus huschte von Säule zu Säule, der Bärtige betrachtete beunruhigt die tanzenden Schattenbilder an den Wänden, während der Phindorch mit einem matten Lächeln auf den Lippen zügig voranschritt. Plötzlich blieb der Villar stehen, den Kopf leicht geduckt, das Maul knurrend geöffnet.
Der Bärtige griff nach dem Dolch, den er unter seinem dicken Wams trug, und sah sich nach allen Seiten um, doch Ermon hob abwehrend seinen Stab und deutete ihm, die Klinge nicht hervorzuholen.
»Dein Hund fürchtet sich wohl«, rief die laute Stimme von jenseits der Halle aus dem Verborgenen hervor.
»Mein Villar verachtet feige Männer, die sich hinter schützenden Mauern und Türmen verbergen!«, murrte der Bärtige wütend.
»So zeigt Euch, meine getreuen Diener!«, antwortete die Stimme, woraufhin die tanzenden Schatten an den Wänden erstarrten.
Entsetzt blickte der Bärtige zu den Säulen, wo die in Stein gehauenen Fratzen und Kreaturen nun zum Leben erwachten. Sie traten langsam aus dem Verborgenen hervor, groß gewachsen, von ihren Beinen bis zum Schopf behaart. Die mit Krallen bestückten Pranken waren gehoben, kräftig genug, einen Krieger zu erschlagen. Die Köpfe waren groß und von einer dichten Mähne umgeben. Die Augen leuchteten düster, mit ihrer dicken Zunge leckten sie sich über ihre glänzenden, spitzen Zähne. Selbst die furchtlosen Bären der Berge würden diese Ungeheuer meiden.
Krallen scharrten über den Steinboden, als weitere Wesen neben den Pelzbestien erschienen. Deren Beine waren verkürzt, schmal, als bestünden sie nur aus Knochen, der Rumpf war von einem dicken Panzer umgeben und wo die Arme beginnen sollten, ragten auf jeder Seite zwei Krallen hervor, die wie lange, gelenkige Stacheln wirkten. Ihr Kopf war klein, doch mit großen Augen bestückt. Gierig starrten sie die Fremden an.
Dumpfe Schritte waren hinter ihnen zu vernehmen, als erneut Geschöpfe aus dem Schatten der Säulen traten. Unzählige Figuren in gebückter Haltung, mit schweren Stiefeln, kurzen Beinen und kräftigen Armen kamen langsam auf sie zu. Ihre Häupter waren mit einer Eisenplatte überzogen, die wohl einst mit Nägeln in deren Schädel geschlagen worden waren. Die Augen verbargen sich hinter buschigen Brauen. Die Ohren waren größer als jene der Menschen, die Nase abgeflacht, der Mund schmal. Das Kinn schien in den dicken Hals überzugehen. Panzer aus festem Leder versuchten die muskulösen Schultern und Oberarme zu umschließen, drohten jedoch bei jeder Bewegung an den Nähten zu zerreißen. In ihren schaufelartigen Händen hielten sie Hacken und Hämmer, die sie über den Steinboden schleiften. Die Hosen waren aus dickem Leder und mit unzähligen Taschen bestückt, die allesamt mit kleinen Dingen gefüllt waren. Zwar hatte der Bärtige noch nie zuvor einen von ihnen zu Gesicht bekommen, doch mussten dies die Pogloraen sein, die einst die Berge beherrscht hatten, die ihre Stollen in den Fels geschlagen hatten, um die Passwege auch mit Fuhrwerken befahren zu können.
Trotz ihrer kleinen Erscheinung neben den pelzigen Ungetümen wirkten sie in ihrem Gleichschritt bedrohlicher als alles andere.
»Wie du siehst, Fremder, verstecken wir uns nicht!« Ein fetter Mann trat in den Schein der Feuer. Sein Bart war ergraut, die Hände wulstig, das Haar quoll unter seinem Helm hervor und fiel ihm fettig von den Schultern herab. Ein breites Grinsen lag auf dem Gesicht des mit gierigen Augen starrenden Sanglors und entblößte das dunkel gefärbte, lückenhafte Gebiss. Lediglich die Kleidung, aus prächtigen Stoffen gefertigt, verriet den Stand des Mannes.
»Viele Tage sind vergangen, seitdem Ihr zuletzt unseren Höhlen einen Besuch abgestattet habt! Euer Kommen überrascht uns«, wandte er sich an den Phindorch und Quarandor des Hohen Sanglors von Dagosturas. »Ach, wo bleibt Euer Ehrgefühl! Kaum ein Mensch lässt sich weniger einschüchtern als Ihr, alter Mann! Früher gabt Ihr Euch noch die Mühe, so zu tun, als fürchtet Ihr meine getreuen Diener.«
Der Sanglor wedelte mit der Hand, woraufhin die Pelzbestien, Krallenwesen und Pogloraen nahezu geräuschlos wieder hinter den Säulen verschwanden. Dann wandte er sich um und schritt den Weg bis zu seinem steinernen Thron zurück, der auf einigen Treppen erhöht stand.
»Sanglor Ogondorus, mein Herr und Manarch, schickt mich mit einer traurigen Kunde.« Ermon verbeugte sich, ohne von den getreuen Dienern eingeschüchtert zu wirken.
»Traurig?«, rief der Sanglor überrascht aus, beugte sich auf seinem steinernen Stuhl zur Seite und stieß einen lauten Furz aus. »Ah, ein erleichterndes Gefühl, will ich meinen!« Der Beleibte lachte und fuhr sich mit seiner Hand über den dicken Bauch. »Ah, frisches Roggenbrot, so sehr ich die feste Kruste, das weiche Herz liebe, so sehr stinkt der Atem aus dem Arsch!« Er schüttelte den Kopf. »Traurig ist die Tatsache, dass Euer Herr und Manarch meiner jährlichen Einladung zu den großen Festspielen bereits mehrmals nicht nachgekommen ist. Er fühlt sich nicht einmal bemüßigt, seinen Quarandor zu schicken!«
»Verzeiht meine Direktheit, Sanglor, doch des Königs Seele ist zur Ewigen Halle aufgestiegen.«
Augenblicklich wurde der Sanglor ernst. Er kratzte sich an seinem Kinn, als überlege er seine Worte. »Pah! Ewige Halle. Auch er war nie zu mir gekommen, nicht ein einziges Mal in seiner Zeit als König!«
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