»Nee, Vata«, sagte Kuno-Dieter wieder. »Ick hab Angst, du vajisst et nachher mit dem Bezahln – det Jeld natürlich. Maulschellen wirste schon zum Bezahln haben. Du hast schon ’ne Masse Jeld in diese Sache bekommen und wirst wohl noch mehr dabei erben, denk ick. Ick stehe hier nu schon den janzen Tag for dir rum, ohne Essen, da will ick ooch ma Jeld sehn. Ick habe jedacht, fuffzig Mark …«
»Fünfzig Mark!« Es verschlug Barkhausen fast die Luft, als er diese unverschämte Forderung hörte. »Ick wer dir saren, wat ick dir jebn werde. Ick wer dir fünf Mark jebn, jenau die fünf Mark, die der Lulatsch da haben wollte, und darüber wirste dir jefälligst noch freun! Ick bin nich so, aba …«
»Nee, Vata«, sagte Kuno-Dieter und sah aus seinen blauen Augen Barkhausen trotzig an. »Du vadienst ’ne Stange Jold bei det Jeschäft, ick mach nich die janze Arbeet und lasse mir mit fünf Mark abspeisen, so blau, denn sar ick dir eben jar nischt!«
»Wat willste mir denn noch jroß erzähln!«, lachte Barkhausen spöttisch. »Dass der Kleene in dem Haus da drinsteckt, det weeß ick nu ooch so. Und det andre wer ick schon alleene rauskriegen. Nee, jeh man jetzt nach Hause und lass dir von Mutter wat zu essen jebn! Für janz dumm lässt sich dein Vata doch nich vakoofen! Ihr beiden Helden!«
»Denn jeh ick da ruff«, sagte Kuno-Dieter entschlossen, »und sare dem Kleenen, det de uff ihn passt. Denn vapfeif ick dir, Vata!«
»Du verdammter Rotzjunge, du!«, schrie Barkhausen und schlug nach dem Sohne.
Aber der lief schon, lief in den Nebeneingang des Hauses hinein. Barkhausen lief ihm nach, folgte ihm über den Hof, und auf der untersten Treppe des Hinterhauses holte er ihn ein. Er schlug ihn zu Boden und fing dann an, auf den Liegenden, mit den Füßen Stoßenden einzuprügeln. Es war beinahe so, wie er es sich vorher auf dem Sofa ausgemalt hatte, nur Kuno-Dieter schrie nicht, sondern wehrte sich mit verbissener Wut. Das steigerte Barkhausens Zorn noch. Mit voller Überlegung schlug er dem Jungen ins Gesicht und trat mit den Füßen nach seinem Bauch. »Dir Aas will ick det schon weisen!«, keuchte er, und ein roter Nebel schwamm vor seinen Augen.
Plötzlich fühlte er, wie ihn was von hinten packte, jemand hielt seinen Arm fest. Etwas riss an dem einen, etwas an dem anderen Bein. Er sah sich hastig um: Es war dieser Hitlerjunge, es war eine ganze Rotte Bengels, Halbstarke, vier oder fünf Burschen, die sich da auf ihn gestürzt hatten. Er musste von Kuno-Dieter ablassen, er musste sich dieser Bengels erwehren, von denen er jeden Einzelnen mit einer Hand hätte niederschlagen können, die aber in ihrer Gesamtheit ihm höchst gefährlich werden konnten.
»Ihr verdammte, feige Bande!«, schrie er und versuchte, den Jungen, der ihm auf dem Rücken hing, durch Rammen gegen die Wand loszuwerden. Aber sie rissen ihm die Beine unter dem Leibe weg. Sie brachten ihn zu Fall.
»Kuno!«, keuchte er. »Hilf deinem Vater! Die feige Bande …«
Aber Kuno half seinem Vater nicht. Jetzt hatte er sich aufgerappelt, und er war es, der den ersten Schlag in Barkhausens Gesicht führte.
Ein murrendes Brummen, fast ein tiefes Stöhnen, kam aus der Brust des Mannes. Dann rollte er sich mit den Bengels auf dem Boden, immer bestrebt, die an ihm Hängenden gegen Stufen und Wände zu stoßen, sie zu quetschen, um wieder auf die Beine zu kommen.
Jetzt war nur noch das atemlose Stöhnen der Kämpfenden zu hören, das Geräusch von Schlägen, das Scharren der Füße … Wortlos, in wildester Erbitterung kämpften sie.
Eine alte Dame, die die Treppe hinabkam, blieb vor Entsetzen stehen, als sie den wilden Kampf zu ihren Füßen sah. Sie klammerte sich an das Geländer, sie rief hilflos: »Aber! Aber nein –! In unserm guten Haus!«
Ihr veilchenfarbener Umhang wallte. Dann entschloss sie sich und stieß einen wilden Entsetzensschrei aus.
Die Jungen rissen sich von Barkhausen los und verschwanden. Der Mann setzte sich auf und starrte die alte Dame wild an.
»So ’ne Bande!«, keuchte er. »Wollen ’nen ollen Mann versohlen, und der eigene Junge dabei!«
Auf den Schrei der alten Dame hatten sich ein paar Türen geöffnet, ein paar Nachbarn kamen ängstlich hervor und flüsterten miteinander, auf den sitzenden Mann blickend.
»Die haben sich geprügelt!«, piepste die alte Veilchenfarbene. »Die haben sich in unserm guten Haus geprügelt!«
Barkhausen besann sich. Wenn Enno Kluge jetzt hier wohnte, so war es höchste Zeit für ihn, zu verschwinden. Jeden Augenblick konnte auch er auftauchen, neugierig zu sehen, was dieser Trubel bedeutete.
»Hab nur meinen Jungen ein bisschen abgewackelt«, erklärte er grinsend den ihn schweigend anstarrenden Mietern. »Hat nichts zu sagen. Alles in Ordnung. Alles in bester Butter.«
Er stand auf und ging über den Hinterhof, durch den »Garten«, wieder auf die Straße, wobei er an seinen Kleidern herumstrich und den Schlips neu band. Von den Bengels war natürlich keine Spur mehr zu sehen. Na warte, der Kuno-Dieter sollte ihn heute Abend kennenlernen! Gegen seinen eigenen Vater zu kämpfen, als Erster ihm ins Gesicht zu schlagen! Keine Otti in der Welt sollte sich schützend vor ihn stellen können! Nee, die konnte auch noch eine Wucht beziehen für dieses verdammte Kuckucksei, das sie ihm da ins Nest gelegt hatte!
Während Barkhausen das Haus unter Bewachung hält, steigt sein Zorn gegen diesen Kuno-Dieter immer mehr. Er wird aber fast besinnungslos, als er entdeckt, dass die Bengels ihm beim Kampf das ganze Paket Scheine aus der Tasche gestohlen haben. Nur ein paar einzelne Mark in der Westentasche sind ihm geblieben. So ein Sauvolk, solche verdammte Zucht, ihn so anzuscheißen. Am liebsten stürzte er auf der Stelle los, sie zu finden, Gulasch aus ihnen zu machen, sich sein Geld wiederzuholen!
Und er stürzt auch schon los.
Als er sich besinnt: er kann doch nicht weg! Er muss hier stehen bleiben, sonst laufen ihm die fünfhundert Mark auch noch fort! Es ist ja klar: nie kriegt er sein Geld von diesen Bengels wieder, da will er sehen, dass er wenigstens die fünfhundert rettet!
Er geht, völlig verwüstet von ätzendem Zorn, in ein kleines Café und telefoniert von dort mit dem Kommissar Escherich. Dann geht er auf seinen Beobachtungsposten zurück und wartet ungeduldig auf das Kommen von Escherich. Ach, wie triste ihm ist! Alle diese Mühe, die er sich gegeben hat – und immer ist alles gegen ihn! Anderen gelingt, was sie nur anfassen, solch kleines Biest wie der Enno kriegt ’ne Frau mit viel Geld, einen schönen Laden, so ein Garnichts setzt nur auf ein Pferd, und schon gewinnt er – aber er! Er kann tun, was er will: alles misslingt ihm. Was für ’ne Mühe hat er sich mit dieser Häberle gegeben, hat sich gefreut, ein bisschen Geld in der Tasche zu haben – schon ist es wieder weg! Das Armband damals von der Rosenthal – weg! Der schöne Einbruch, eine ganze Handlung mit Wäsche – weg! Was er auch anfasst, alles misslingt ihm, alles geht ihm schief.
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