»Nein, gar nichts. Und ich verstehe auch alles … Entschuldigen Sie bloß die Mühe, die ich Ihnen gemacht habe, Herr Kommissar.«
»Also denn: Heil Hitler, Herr Kluge!«
»Heil Hitler, Herr Kommissar!«
Und der kleine, schmächtige Enno Kluge trabte los. Er lief in einem richtigen Zuckeltrab durch die Menschen auf der Frankfurter Allee, und der Assistent Schröder sah ihm nach. Er überzeugte sich noch, dass die beiden Leute, die er angesetzt hatte, richtig auf seiner Spur waren, nickte dann und ging zurück auf die Wache.
25. Kommissar Escherich bearbeitet die Sache Klabautermann
»Da, lesen Sie!«, sagte der Kommissar Escherich zu dem Assistenten Schröder und gab ihm das Protokoll in die Hand.
»Tja«, antwortete Schröder und reichte die Bogen zurück. »Da hat er es also doch gestanden und ist nun reif für den Volksgerichtshof und den Scharfrichter. Ich hätte es nicht gedacht.« Er setzte nachdenklich hinzu: »Und so was läuft frei auf der Straße rum!«
»Jawohl!«, sagte der Kommissar, legte das Protokoll in einen Aktendeckel und den Aktendeckel wieder in seine Ledertasche. »Jawohl, so was läuft nun frei auf der Straße rum – aber doch wohl ordentlich beschattet von unseren Leuten?«
»Selbstverständlich!«, beeilte sich Schröder zu versichern. »Ich habe mich selbst davon überzeugt: sie waren ihm beide gut auf der Spur.«
»Und da läuft er rum«, fuhr der Kommissar Escherich, nachdenklich seinen Schnurrbart streichelnd, fort, »läuft und läuft, und unsere Leute laufen hinter ihm drein! Und eines Tages – heute oder in einer Woche oder in einem halben Jahr – läuft unser kleiner, fieser Herr Kluge zu seinem Kartenschreiber, zu dem Mann, der ihm den Auftrag gab: Leg sie da und dort ab. Zu dem führt er uns so sicher, wie das Amen in der Kirche kommt. Und da mache ich schnapp, und dann erst sind die beiden richtig reif für die Plötze und so weiter und so fort.«
»Herr Kommissar«, sagte der Assistent Schröder, »ich kann’s noch immer nicht ganz glauben, dass der Kluge die Karte hingelegt hat. Ich hab’s doch gesehen, wie ich sie ihm in die Hand gab, der hat noch nie was von der Karte gewusst! Das hat sich alles bloß dieses hysterische Frauenzimmer, die Sprechstundenhilfe, ausgedacht.«
»Aber es steht doch im Protokoll, dass er sie hingelegt hat«, wandte der Kommissar ein, doch ohne besonderen Nachdruck. »Im Übrigen möchte ich Ihnen raten, in Ihrem Bericht nichts von hysterischem Frauenzimmer zu schreiben. Keine persönlichen Vorurteile, rein sachlich. Wenn Sie wollen, können Sie ja noch den Arzt wegen der Glaubwürdigkeit seiner Hilfe befragen. Ach nein, lassen Sie das man auch lieber. Das wird auch wieder so ein persönliches Urteil, das können wir dem Untersuchungsrichter überlassen, wie er die einzelnen Aussagen bewertet. Wir arbeiten nur rein sachlich, nicht wahr, Schröder, ohne jedes Vorurteil.«
»Selbstverständlich, Herr Kommissar.«
»Wenn da eine Aussage steht, so steht da eben eine Aussage, und an die halten wir uns. Wie und warum sie zustande gekommen ist, das geht uns nichts an. Wir sind ja keine Psychologen, wir sind Kriminalisten. Crimen, Verbrechen zu Deutsch, Schröder, nur das Verbrechen interessiert uns. Und wenn einer gesteht, er hat ein Verbrechen begangen, so genügt uns das erst einmal. Das ist wenigstens meine Ansicht von der Sache, oder denken Sie anders darüber, Schröder?«
»Aber selbstverständlich nicht, Herr Kommissar!«, rief der Assistent Schröder aus. Es klang, als sei er maßlos erschrocken über den Gedanken, er könne irgendetwas anders auffassen als sein Vorgesetzter. »Genau, was ich denke! Immer gegen das Verbrechen!«
»Ich wusste es ja«, sagte der Kommissar Escherich und streichelte seinen Bart. »Wir alten Kriminalisten sind doch immer einer Meinung. Wissen Sie, Schröder, es arbeiten jetzt viele Außenseiter in unserm Beruf, aber wir halten doch stets zusammen, und davon haben wir ja denn auch manches Gute. Also, Schröder«, dieses rein dienstlich, »ich bekomme dann heute noch Ihren Bericht über die Verhaftung des Kluge und das Protokoll mit den Aussagen der Sprechstundenhilfe und des Arztes. Ja, richtig, Sie hatten ja auch einen Wachtmeister mit, Schröder …«
»Oberwachtmeister Dubberke hier vom Revier …«
»Kenn ich nicht. Soll aber auch einen Bericht machen über das Ausreißen des Kluge. Kurz, sachlich, kein Geschwafel, keine persönlichen Vorteile, verstanden, Herr Schröder?«
»Zu Befehl, Herr Kommissar!«
»Also denn, Schröder! Wenn Sie die Berichte abgegeben haben, werden Sie ja mit dieser Sache nicht mehr befasst werden, höchstens mal irgendeine Aussage vor einem Richter oder bei uns auf der Gestapo …« Er betrachtete seinen Untergebenen sinnend. »Wie lange sind Sie schon Assistent, Herr Schröder?«
»Schon dreieinhalb Jahre, Herr Kommissar.«
Das Auge des »Bullen«, wie es jetzt auf dem Kommissar lag, hatte etwas Rührendes.
Aber der Kommissar sagte nur: »Ja, dann wird’s ja auch allmählich Zeit«, und verließ das Revier.
In der Prinz-Albrecht-Straße ließ er sich dann sofort bei seinem direkten Vorgesetzten, dem SS-Obergruppenführer Prall, melden. Er musste fast eine Stunde warten; nicht, dass Herr Prall grade sehr beschäftigt gewesen wäre, oder doch, er war grade sehr beschäftigt. Escherich hörte das Klirren von Gläsern, das Schnalzen der Pfropfen, er hörte Gelächter und Geschrei: eine der häufigen Zusammenkünfte höherer Führer also. Geselligkeit, Umtrunk, heitere Zwanglosigkeit, Erholung nach der schweren Mühe, Mitmenschen zu quälen und an den Galgen zu bringen.
Der Kommissar wartete ohne Ungeduld, obwohl er an diesem Tage noch viel vorhatte. Er kannte die Vorgesetzten im Allgemeinen, und er kannte diesen Vorgesetzten im Besonderen. Da half kein Drängeln, und wenn halb Berlin in Flammen stand, wenn der saufen wollte, so soff er erst mal. Das war so!
Nach einem Stündchen wurde Escherich dann aber doch vorgelassen. Das Zimmer mit den deutlichen Spuren eines Trinkgelages sah ziemlich wüst aus, und der Herr Prall, dunkelrot von Armagnac glühend, sah auch ziemlich wüst aus. Aber er sagte leutselig: »Da, Escherich! Schenken Sie sich doch auch ein Glas ein! Das sind die Früchte unseres Sieges über Frankreich: echter Armagnac, zehnmal besser als Kognak. Zehnmal? Hundertmal! Warum trinken Sie nicht?«
»Bitte um Verzeihung, Herr Obergruppenführer, ich habe heute noch ziemlich viel zu tun, möchte einen klaren Kopf behalten. Übrigens bin ich das Trinken nicht mehr gewohnt.«
»Ach was, nicht gewohnt! Klarer Kopf, Flausen! Wozu brauchen Sie einen klaren Kopf? Lassen Sie jemand anders Ihre Arbeit tun, und schlafen Sie sich aus. Prost, Escherich – auf unsern Führer!«
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